Ein Komitee von angesehenen Juristen wendet sich mit einem Appell an die Öffentlichkeit. Die 2G-Zertifikatspflicht sei verfassungswidrig und Ausdruck von immer totalitärerem Zwang. Ein Paukenschlag – mit guter Begründung.
Inzwischen ist eigentlich jeder Journalist zum Virologen mutiert. Die Task Force, Wissenschaftler auf der Suche nach Ruhm, Ärzte, keiner zu klein, Corona-Ratgeber zu sein.
Nur von Juristen, insbesondere von Staatsrechtlern, hörte man bislang auffallend wenig. Das hat sich geändert. Am 24. Dezember meldete sich ein «Juristen Komitee» mit einer Deklaration zu Wort.
Ihm gehören namhafte Vertreter an, darunter der ehemalige Bundesrichter Karl Spühler, ausserdem Dozenten, Staatsanwälte und zahlreiche Anwälte. Die Liste der Unterzeichner wird täglich länger; am Mittwochabend waren es 222 Juristen, die unterschrieben hatten.
Diese Einleitung ist nötig, denn die Deklaration enthält starken Tobak. Juristischen Sprengstoff. Der Titel lautet: «2G-Zertifikatspflicht ist verfassungswidrig». Wum.
Schon bei der Abstimmung über das verschärfte Covid-Gesetz wurden schwere Bedenken laut: «Die Änderung des Covid-19-Gesetzes ist ein weiterhin verfassungswidriges Vorhaben.» Schrieb Andreas Kley in der NZZ. Der Professor für öffentliches Recht, Verfassungsgeschichte sowie Staats- und Rechtsphilosophie an der Universität Zürich bemängelte, die Bundesversammlung habe «mit dem Covid-19-Gesetz und seinen Änderungen zwei wichtige Artikel der Bundesverfassung missachtet und die schweizerische Demokratie grob beschädigt». Er wurde ignoriert.
Das sollte dieser Menge von Juristen nicht passieren. Denn auch sie begründen ihre klare Ansage ausführlich und verständlich. Die Einleitung:
«Die abermalige Ausweitung und Verschärfung der Zertifikatspflicht stellt einen schweren und dauerhaften Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger dar. Gemäss den Beschlüssen des Bundesrates vom 17. Dezember 2021 werden nun sogar gesunde Menschen, welche ihren Covid-Status BAG-konform als «negativ» nachgewiesen haben, vom Zutritt zu weiten Teilen des öffentlichen (gesellschaftlichen, kulturellen, wirtschaftlichen etc.) und des privaten Lebens ausgeschlossen. Damit werden sämtliche ungeimpften Menschen in der Schweiz, welche nicht das «Glück» haben, als genesen zu gelten, in nie dagewesener Weise diskriminiert.
Für so einmalig schwerwiegende Eingriffe in das Leben so vieler Menschen in der Schweiz müssten die Voraussetzungen gemäss Art. 36 BV (und insbesondere auch der Nachweis des rechtserheblichen Sachverhalts) nach über 20 Monaten «Covid-Krise» an Klarheit und an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: Die Sterbe- und Hospitalisierungszahlen müssten über längere Zeit nie dagewesene Werte erreichen, um so einzigartige Grundrechtsbeschränkungen für einen erheblichen Teil der Bevölkerung zu rechtfertigen.
Doch vorliegend ist nicht eine einzige Voraussetzung für die Einführung eines so rigiden und hochgradig diskriminierenden Regimes gegenüber rund zwei Millionen in der Schweiz lebenden Menschen erfüllt.»
Anschliessend wird stringent und unter ausführlicher Verwendung von Quellen und Begründungen diese Anschuldigung untermauert. Nachlesbar für jeden.
Gerichtet ist dieser Appell an die Präsidenten von National- und Ständerat. Sie werden aufgefordert, den Bundesrat zu fragen, wie er die verfassungsmässige Ordnung wiederherstellen wolle.
Bislang hielt sich das Medienecho in überschaubarem Rahmen, mit lobenswerter Ausnahme NZZ, «Weltwoche» und «Inside Paradeplatz». Aber die drei grossen Medienclan-Konzerne schweigen verkniffen. Obwohl es einmalig sein dürfte, dass eine dermassen grosse Anzahl von Juristen sich hinter einer solch klaren Ansage schart.
Das Komitee bemängelt insbesondere das ungekannte Ausmass der Einschränkungen von fundamentalen Bürgerrechten. Es hält dem Bundesrat vor: um solche Grundrechtsbeschränkungen zu rechtfertigen, müssten die verfassungsmässigen Voraussetzungen – gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit der Massnahmen – «an Klarheit und an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen».
Dem sei aber nicht so, wie ausführlich und detailliert nachgewiesen wird. Zudem biete weder das Pandemie-Gesetz noch das Covid-19-Gesetz eine rechtliche Handhabe für solche drakonischen Massnahmen wie diese 2G-Pflicht.
Verhältnismässigkeit, die Grundlage jedes staatlichen Handelns, sei ebenfalls nicht gewahrt. Und am Schluss kommen die Juristen zu einer Konklusion, die an Schärfe nicht zu überbieten ist. Aber angesichts der vorherigen Beweisführung auch völlig schlüssig erscheint:
«Ziel des Gesamtbundesrats scheint es einzig zu sein, den ‹widerwilligen› ungeimpften Teil der Schweizer Bevölkerung mit immer totalitärer anmutenden Zwängen zur Impfung zu nötigen.»
Auch Juristen können sich irren. Diese Deklaration wird sicherlich auch von Verpeilten missbraucht werden, die damit deren Gegnern wohlfeile Argumente liefern.
Aber wer nicht aus seinem Schützengraben der vermeintlich richtigen Ansicht zurückballern will, muss diese rechtsstaatlichen Einwände ernst nehmen.
Denn was wäre bei der Corona-Bekämpfung gewonnen, wenn dadurch unser Rechtsstaat, das einzige Bollwerk gegen Willkür und Barbarei, Schaden nähme?
Niemals heiligt der Zweck die Mittel. Auch nicht bei der Bekämpfung einer Pandemie. Im besten Fall wird diese Deklaration zur Keimzelle eines Umdenkens. Damit wäre das die beste Nachricht des zur Neige gehenden Corona-Höllenjahres.
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