Modekritiker: Die Dompteure der Diktatoren

Modekritiker Dompteure Diktatoren
Modekritiker Dompteure Diktatoren(c) EPA (JENS KALAENE)
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Von Wortklaubern und Kleidermachern: Im Vorfeld der internationalen Fashion Weeks wurde zuletzt der Einfluss von Modekritikern auf die Arbeit omnipotenter Stildiktatoren diskutiert.

Does the fashion critic matter any more?“, posaunte Colin McDowell, langjähriger Modekritiker der „Sunday Times“, heuer ins modische Sommerloch und ging in dem Onlinemagazin „Business of Fashion“ mit seiner Zunft hart ins Gericht. Kleider wie Kunstwerke kritisch bewerten zu wollen, sei schlicht vermessen – und obendrein irrelevant. Zu schnelllebig sei die Mode, und die Konsumenten (um deren Gunst letztlich gebuhlt wird) würden sich herzlich wenig um das Urteil gestrenger Fachjournalisten scheren.

Und doch strafen McDowell jene Brancheninsider Lügen, die gebannt auf die als Stimmungsbarometer geltenden Artikel namhafter Kritiker warten. So liest der „fashion flock“ in Mailand den „Corriere della Sera“ oder die „Repubblica“, in Paris die Zeitungen „Libération“, „Le Monde“ und „Le Figaro“; alle Blätter reservieren dem Thema während der Schauen mindestens eine ganze Seite pro Ausgabe: Schließlich spielt die Mode dort auch in der Nationalökonomie eine wichtige Rolle. „What did Suzy say?“, raunen sich indes rehäugige Presseattachés zu und blättern im „International Herald Tribune“ auf der Suche nach Artikeln von Suzy Menkes, der mit Abstand einflussreichsten Kritikerin. Ihre Kolleginnen Cathy Horyn von der „New York Times“ und Robin Givhan von „Newsweek“ (die bislang einzige Modejournalistin mit Pulitzerpreis-Würden) gelten als streitbar und werden ebenfalls geachtet. Und, angeblich, von manchen gefürchtet. Ist das aber eine Mär, oder fungieren Modekritiker wirklich als Dompteure der Stildiktatoren?

Prophetisch. Schenkt man einem internationalen Forscherteam um Joseph Nunes, Professor an der University of Southern California, Glauben, so üben wortgewaltige Experten nicht unbedeutenden Einfluss aus. In einer universitären Studie untersucht Nunes mit seinen Kollegen „The Effect of Critical Evaluation on Aesthetic Innovation“. Laut Untertitel möchte man den „Mythos des Designers als Diktator“ unterwandern. Auf Einladung des Marketinginstituts der WU Wien war Nunes unlängst in Österreich und erklärte: „Unsere grundlegende These, dass die Meinung von Kritikern die Arbeit von Designern beeinflusst, hat sich bestätigt.“ Besondere Aufmerksamkeit widmet die Studie markanten Veränderungen in der Ästhetik eines Modehauses nach einer Kollektion, die von Kritikern negativ besprochen wurde: Hier kam es zu Häufungen. „Auch der Wechsel von Designern an der Spitze wichtiger Modehäuser wurde laut den uns vorliegenden Daten durch negative Kritiken über einen bestimmten Zeitraum hinweg vorausgesagt“, so Nunes.

Anzweifeln kann man hingegen Nunes' grundlegende Annahme, dass ausgerechnet die Ausführungen von Modekritikern der Anfang einer brancheninternen Informationskette sind und nicht selbst auf bereits bestehenden Gerüchten basieren. Unachtsamkeit leistet sich die Studie auch gegenüber der ökonomischen Seite. Tatsächlich liegen zum Zeitpunkt der Kollektionserstellung noch keine Verkaufszahlen für die aktuelle Saison vor. „Doch die sind der eigentlich wichtige Orientierungspunkt für Designer“, meint die Wiener Modemacherin Cloed Baumgartner. Ein punktuelles Auftauchen in den Medien – und sei es in einer positiven Kritik – spielt ihrer Meinung nach eine untergeordnete Rolle für den Erfolg eines Labels: „Erst wenn man über Jahre mit demselben Statement in den Medien präsent ist, zeigt das Wirkung auf potenzielle Kunden.“

Flop oder top?
Darüber hinaus deckt sich der Geschmack von Modekritikern nicht unbedingt mit jenem der Endverbraucher, das räumt auch Joseph Nunes ein: „Kritikern gefallen oft Kleidungsstücke, die bei den Konsumenten gar nicht gut ankommen – oder umgekehrt. So sind Leggings zunächst bei Journalisten komplett durchgefallen und wurden doch zu einem Riesenerfolg.“ Dem einen oder anderen Kritiker (das trifft übrigens nicht nur in der Mode zu) steigt aber wohl das eigene Machtempfinden zu Kopf. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht eine Episode, an die sich die Wiener Modejournalistin Monique Traska erinnert: „Suzy Menkes, die ja eine sehr interessante und gescheite Frau ist, wiewohl nicht eben von Mannequinstatur, hat einmal, als in Paris bodenlange Röcke gezeigt wurden, die ihr einfach nicht standen und nicht gefielen, vehement gegen diesen Trend angeschrieben. So etwas ist natürlich ganz lächerlich, nicht einmal die Menkes kann ein Phänomen aus der Mode wegschreiben.“

Dass ihre eigenen Worte auf der internationalen Bühne jemals ähnliches Gewicht wie jene der Menkes gehabt hätten, schließt Monique Traska aus. Im Wiener Zusammenhang verhält sich das freilich anders: Traska begann ihre Karriere als Illustratorin der Sendung „Unser Mode-Einmaleins“ im ORF, blieb dem Thema später treu und verfasste ab den späten Siebzigerjahren Modekritiken für die „Presse“ (zu lesen damals übrigens im modeaffinen „Spectrum“). Den Aufstieg von Helmut Lang verfolgte sie aus nächster Nähe, und die Arbeit von Carol Christian Poell schätzt sie ungemein. Aber auch bei Missfallen sieht Frau Traska nicht die Notwendigkeit, beißende Häme zu verbreiten: „Ich habe es immer vorgezogen, das zu beschreiben, was mir gefallen hat. Sich ausgerechnet das Schlechte herauszupicken, finde ich nicht besonders fair.“


Zahnlose Kritik. Dieser Ansatz entspricht einer Tendenz, die der Betreiber der Wiener Boutique „Park“, Markus Strasser, im Großen beobachtet: „In letzter Zeit ist der Großteil der Reviews nur mehr beschreibend; man liest kaum ein kritisches Wort. Ganz verschwunden sind Phrasen wie ,Das erinnert an...‘ oder ,Das schaut aus wie...‘. Kein Hahn kräht mehr danach, ob ein Designer einen anderen zitiert oder gar kopiert.“ Monique Traska findet, dass das Laufstegtreiben heute beliebig geworden ist; von einem Modediktat könne man, so ihre Meinung, seit den Sechzigerjahren nicht mehr sprechen. Und ohnehin gehen alle Versuche wortgewaltigen Domptierens an der pensionierten Journalistin vorüber: Seit der Modezirkus ohne sie durch die Lande tourt, liest sie auch keine Modekritiken mehr.

MQ Vienna Fashion Week
In Wien bietet kommende Woche wieder die MQ Vienna Fashion Week Anlass für akribische Aufmerksamkeit und Stilkritiken. Die Schauen starten am 12. September, ein Ablaufplan findet sich auf
www.mqviennafashionweek.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2012)

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