Ballroben: Hochbetrieb im Modesalon

Ballroben Hochbetrieb Modesalon
Ballroben Hochbetrieb Modesalon(c) Teresa Zoetl
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Kurz vor dem Opernball erhalten maßgeschneiderte Ballroben ihren Feinschliff – und die Schneidermeisterinnen Einblicke in Privates und in gesellschaftliche Veränderungen.

Wenn die Damen zu zupfen beginnen, weiß Patrizia Fürnkranz-Markus: Hier wurde schlecht gearbeitet. Für die Schneidermeisterin gibt es kein vernichtenderes Urteil, als das Herumnesteln am Kleid. Denn bei einer gut verarbeiteten Korsage – wenn, dann zwickt es meist dort – wird nicht gezupft, die sitzt einfach. Und zwar den ganzen Abend lang.

Fürnkranz-Markus weiß, wovon sie spricht. Seit 22 Jahren betreibt sie ihr Modeatelier Pollsiri in Wien Neubau. Nebenbei ist sie Innungsmeisterin der Wiener Modemacher, wie sich die Berufsgruppe Bekleidungsgewerbe Wien seit ein paar Jahren nennt. In ihrem kleinen Atelier in der Kaiserstraße herrscht derzeit Hochbetrieb. 15 Aufträge für maßgeschneiderte Ballkleider werden in der heurigen Saison mithilfe zweier Mitarbeiterinnen bearbeitet. Auch wenn die Zahl angesichts der vielen Ballgäste wenig klingen mag, für die höchste Kunst der Schneiderei – die Haute Couture – ist das nicht schlecht.

Ein jüngerer Kollege von Fürnkranz-Markus bringt das ganz gut auf den Punkt. Auf die Frage, wie viele maßgeschneiderte Kleider er in dieser Ballsaison herstellt, meint Jürgen Junger, der seit 2002 hier tätig ist, ganz euphorisch: „Heuer ist die Nachfrage so groß wie noch nie.“ In seinem Fall bedeutet das: neun Kleider.

Für ein kleines Atelier bedeutet das eine Menge Arbeit. Immerhin nimmt eine Ballrobe mehrere Wochen bis Monate in Anspruch. „Es kommt auch vor, dass wir zu dritt bis in die Nacht hinein an einem Kleid arbeiten, wenn es dringend fertig werden muss“, sagt Fürnkranz-Markus, die während des Gesprächs das Dauerklingeln des Telefons in ihrer Werkstatt zu ignorieren versucht.


Opulenz? Nur am Opernball. Natürlich sind bei ihren Aufträgen auch einige Roben für den Opernball dabei. Beim – für viele – wichtigsten Ball des Jahres darf es für die meisten Kundinnen schon etwas üppiger und opulenter sein. Ansonsten beobachtet Fürnkranz-Markus bei ihren Kundinnen eher Zurückhaltung und Understatement. Lieber zeitlos und schwarz – „obwohl das so langweilig ist“ – als ausgefallene Kreationen, damit die Roben nicht nur einmal ausgeführt werden können. „Viele Damen wollen jetzt auch einen Zweiteiler, also Rock und Oberteil. Das kann man dann häufiger kombinieren.“ Heuer sind Kleider, die an das Hollywood der 1930er-Jahre erinnern, en vogue. Auch Tüll und Plissee – gerne in Pastellfarben – wird derzeit gern verwendet.

An die 500 Schneidereibetriebe gibt es in Wien. Wobei in diese Zahl auch alle Damen-, Herren- und Änderungsschneider sowie Designer eingerechnet sind. Nur ein Bruchteil stellt auch Ballroben her. „Das ist jetzt vielleicht gemein, aber es gibt etwa eine Handvoll, die gut sind“, sagt Fürnkranz-Markus. Und unter gut versteht sie nicht nur das Beherrschen der Handwerkskunst und die Verwendung hochwertiger Stoffe, sondern auch die Zeit, die man den Kundinnen widmet. Mindestens drei Mal müssen sie zur Anprobe erscheinen. Beim ersten Termin schlüpft die Dame in ein schlichtes Modell aus einem einfachen Baumwollstoff. „Da geht es nur darum zu sehen, ob der Schnitt auch passt. Viele können sich das am Papier nicht vorstellen.“ Bei den weiteren Anproben wird dann am richtigen Kleid gearbeitet. Je nach Ausführung kann die Kundin das Stück in einer Woche oder erst nach mehreren Monaten abholen. Nach dem Aufwand richtet sich auch der Preis. Fürnkranz-Markus verrechnet für die Arbeitsstunde 40 Euro. Im Schnitt kosten ihre Kleider zwischen 1000 und 2000 Euro. Eine einfache Robe ist schon um 800 Euro zu haben, nach oben hin gibt es naturgemäß kein Limit.


Haute Couture als Statussymbol. Ihre Kundinnen sind meist Frauen zwischen 30 und Mitte 50. „Alles Damen, die voll im Leben stehen und berufstätig sind.“ Neben den Opernball-Besucherinnen setzten auch jene Damen, die auf Branchenbälle gehen, etwa den Ärzte- oder Juristenball, gerne auf Maßanfertigungen. Und es gibt auch Kundinnen, für die Haute Couture ein Statussymbol ist. „Die Birgit Sarata etwa trägt nur Maßanfertigungen. Auch viele Industriellengattinnen, die machen aber lieber ein Geheimnis daraus und wollen auch untereinander nicht verraten, woher die Mode stammt, damit ja niemand das Gleiche trägt.“

Dass Schneiderinnen, ebenso wie Friseurinnen, oft mehr von ihren Kundinnen erfahren, als ihnen lieb ist, ist bekannt. Immerhin hat es ja doch etwas Intimes, wenn die Damen lediglich in Unterwäsche vor ihrer Schneiderin stehen und darüber sprechen, was genau sie an ihrem Körper mögen und was lieber versteckt werden soll. Die Mode ist aber auch in der Haute Couture so etwas wie ein gesellschaftlicher Seismograph. 1989 hat Fürnkranz-Markus ihr Atelier eröffnet. Bis zur Jahrtausendwende lief das Geschäft wie geschmiert. Nahezu 30 maßgeschneiderte Roben pro Ballsaison waren da keine Seltenheit. Ab 2000 war dann aber plötzlich Konfektionsmode von Marken wie Chanel, Dior oder Prada wichtiger als individuelle Anfertigungen. „Jetzt gibt es einen Wertewandel. Viele wollen etwas, das hier produziert wird.“ Da kommt die hauseigene Werkstatt im Atelier nicht ungelegen. Die Kundinnen schätzen es, wenn sie der Schneiderin hin und wieder über die Schulter schauen können.

Das wird auch im Modeatelier Bipone in der Wiener Innenstadt deutlich. Die Inhaber Bilyana und Petar Pelov sind mit ihren neun Aufträgen in der aktuellen Saison recht zufrieden. 70 bis 700 Stunden – Letzteres ist aber die Ausnahme – werken sie an einer Robe. Schauraum und Atelier werden in dem kleinen Geschäft lediglich durch einen Vorhang getrennt. „Es gibt eine Tendenz in Richtung Maßanfertigungen. Derzeit wird das wiederbelebt“, sagt Petar Pelov. Er meint dabei nicht nur die Ballsaison.

Fürnkranz-Markus sieht das ähnlich und findet es umso bedauerlicher, dass in Wien ein Zulieferer nach dem anderen zusperrt. So gibt es etwa nur noch ein einziges Atelier, das Plissee-Stoffe herstellt. „Das ist aber wieder stark im Kommen.“ Und Fischbeine sind ohnehin immer schwerer zu bekommen – und zwar die echten aus Metall, die in BHs und Korsage eingearbeitet werden. Im Gegensatz zu der bei Konfektionsware meist eingesetzten Plastikvariante sind diese nämlich auch biegsam. „Das ist für eine Korsage wichtig. Und sie dürfen nicht zu lang sein, denn sonst stechen sie beim Niedersetzen in die Taille.“ Und dann muss wieder gezupft werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2012)

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