Ingolstadt
"Am liebsten würde ich hinfliegen und helfen"

19.01.2010 | Stand 03.12.2020, 4:19 Uhr

Verfolgen fieberhaft die Nachrichten aus Haiti: Benite Jean Baptiste und seine Freundin Jana Guggenmos. - Foto: Rehberger

Ingolstadt (DK) Seit einer Woche ist für Benite Jean Baptiste nichts mehr, wie es war. Am Mittwoch wurde seine Heimat Haiti von dem gewaltigen Erdbeben erschüttert. Der 29-Jährige ist der einzige Ingolstädter, der aus dem armen Staat in der Karibik stammt. Seine Familie lebt noch dort.

Die Situation ist auch 8000 Kilometer entfernt von Haiti zum Verzweifeln. In Ingolstadt bangt Benite Jean Baptiste um seine Angehörigen. Der 29-Jährige hat eine Großfamilie in dem Karibikstaat, der seit der vergangenen Woche in Schutt und Asche liegt. Es ist wie in einem Alptraum: Mit dem gewaltigen Erdbeben brach die gesamte Kommunikation zusammen. Als Jean Baptiste von der Katastrophe hörte, griff er sofort zum Telefon. Es läutete und läutete, aber in der Heimat nahm niemand ab. Die Anspannung wuchs ins Unerträgliche.

Erst am Donnerstagnachmittag rief Jean Baptistes Bruder an, er er lebt in der Dominikanischen Republik. Kurz vorher hatte er eine Tante im Erdbebengebiet erreicht. In einem Kauderwelsch aus Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch wollte er Jana Guggenmos die gute Nachricht übermitteln. "Ich hab nur ,muy bien’ verstanden", sagt die Freundin. Alles gut!

"In der ersten Minute war das natürlich eine große Erleichterung", sagt Jean Baptiste. "Aber was mit dem Land passiert ist, ist der absolute Wahnsinn." Er lebt noch immer in großer Unsicherheit, weil das Telefon nicht geht. Sein sehnlichster Wunsch ist es, mit den Eltern zu sprechen. Sie leben mit sechs Geschwistern etwas außerhalb des Städtchens Jacmel an der Südküste. Die Stadt soll zur Hälfte zerstört worden sein. "Bisher weiß ich ja nur, dass der Familie dort nichts passiert ist. Aber was genau los ist, weiß ich ja nicht."

Jeden Brocken Information haben er und Freundin Jana in den vergangenen Tagen regelrecht in sich aufgesogen. Im Fernsehen und Internet sahen sie zerstörte Gebäude, die Toten, das unvorstellbare Leid. "Ich muss mir die Bilder anschauen, aber ganz ehrlich gesagt, habe ich die Kraft nicht", sagt Jean Baptiste. "Ich habe da Orte gesehen, die ich alle kenne. Jetzt ist alles platt." Er senkt den Kopf. "Oh Mann, oh Mann, es ist der Wahnsinn", sagt er leise.

Die eigene Hilflosigkeit fällt den beiden besonders schwer. "Am liebsten würde ich Urlaub nehmen, hinfliegen und mithelfen", sagt Jana Guggenmos. "Aber das geht leider nicht so einfach." Dafür wollen die beiden möglichst viel Geld spenden. Sie hoffen, dass die Hilfe auch schnell ankommt.

Seine Freundin ist eine große Stütze, sagt Jean Baptiste. "Reden hilft." Auch andere zeigen große Anteilnahme. Jean Baptiste arbeitet als Kellner in einem Ingolstädter Café und wird von Gästen und Kollegen regelmäßig angesprochen. "Wie geht es der Familie? Wie geht es dir" Er fühlt sich in Ingolstadt wohl, sagt der 29-Jährige. Seit gut einem Jahr lebt er hier, seit sechs Jahren ist er in Deutschland. Von hier unterstützt er seine Familie und schickt regelmäßig Geld. "Das machen ganz viele Haitianer im Ausland. Das Land war immer darauf angewiesen."

Seine Eltern sind arme Bauern, pflanzen Bohnen und Mais. Seit frühester Jugend musste Jean Baptiste mithelfen. "Alles ist Handarbeit. Wir sind zehn Kilometer zur nächsten Wasserstelle gelaufen." Er ist der älteste Sohn, das bringt besondere Verantwortung mit sich.

"Man kann sich das als Europäer gar nicht vorstellen. Es war schon vorher schlimm in Haiti. Aber wie es jetzt weitergehen soll, weiß ich nicht. Das weiß wohl niemand. Wer baut das wieder auf"

Wer kann, flieht aus dem gebeutelten Land. Das war aber auch früher schon so, sagt Jean Baptiste. Er verließ die Familie mit 16 und schlug sich ins Nachbarland, die Dominikanische Republik, durch, wo er zwei Jahre im Tourismus arbeitete. Auf verschlungenen Wegen kam er nach Deutschland. "Ich kann mir nicht vorstellen, jemals zurückzugehen."

Mit dem Herzen ist er immer noch in Haiti. Sein 15-jähriger Bruder ist ihm besonders wichtig. Der geht in Port-au-Prince zur Schule, die Hauptstadt hat es wohl am schlimmsten erwischt. Der Bruder wurde nur leicht am Bein verletzt, hat Jean Baptiste erfahren. Jetzt regieren aber Anarchie und Lynchjustiz in weiten Teilen des Landes. "Ich darf nur nicht zu sehr an das alles denken", sagt Jean Baptiste, "sonst werde ich noch verrückt."