Ingolstadt
Börse für Rindviecher

Viehauktionen finden stets vor vollen Rängen statt, denn die Landwirtschaft ist in der Region noch immer eine feste Größe

12.01.2012 | Stand 03.12.2020, 1:57 Uhr

Großer Auftrieb: Beim Zuchtviehmarkt in der Donauhalle werden Rinder versteigert. Mit geübtem Auge kann man hier ein gutes Geschäft machen (oben). In einem eigenen Raum sind die Tiere ihrer Nummerierung nach befestigt. So können sich Kaufinteressenten die Bullen und Kühe schon vor der Auktion ansehen (links). Die Züchter säubern die Rinder noch einmal, bevor sie in die Halle kommen (rechts) - Fotos: Rössle

Ingolstadt (DK) Beim Zuchtviehmarkt in der Donauhalle wurden gestern über 100 Rinder zur Auktion freigegeben. Der Markt ist wichtig für die Landwirte der Region: Er fungiert als Preisbörse. Je nachdem, wie sich die Tiere hier verkaufen, entwickeln sich auch die Preise für den privaten Viehhandel.

Die Tribüne rund um die kleine, spanbedeckte Arena ist voller Zuschauer. Alle Augen richten sich auf eine braungefleckte Kuh in der Mitte, Nummer 66. Der Auktionator beginnt mit dem üblichen Startangebot: „1000 Euro! Wer bietet 1000 Euro“ Die Hände von Männern in robusten Jacken und Wollmützen schießen in die Höhe, so dass der Meister der Zeremonie kaum mitkommt. Schließlich kauft ein Herr das Tier für 1800 Euro.

„Viele Dinge sind bei der Auktion wichtig: Die Abstammung, der Körperbau und die Größe. Aber besonders die inneren Werte werden immer wichtiger“, erklärt der Gerolfinger Züchter Hans Estelmann. Damit meint er die Gene. Ein neuer Test kann sie ermitteln: die genomische Selektion. „Dazu entnehmen wir den Bullen Blut. Danach überprüft man das Blut auf bestimmte Gene, die etwa Auskunft über die Milch- und Lebensleistung oder die Fruchtbarkeitsrate geben können“, erläutert der Züchter. Je besser die Werte, desto höher der Preis für das Tier. Das Verfahren wird laut Estelmann seit einem Jahr verwendet.

Trotzdem schauen sich die Landwirte die Rinder noch immer genau an. Vor allem die Euter sind wichtig. So zwängen sich einige wettergegerbte Kaufinteressenten zwischen die Kühe und beugen sich tief herunter, um einen guten Blick zu erhaschen. Zehn der über hundert Rinder sind trächtige Kalbinnen, 60 frischmelkende Jungkühe. Eine Kalbin ist eine geschlechtsreife Kuh, die noch kein Kalb bekommen hat. Eine Jungkuh hat ihr erstes Junges bereits vor einigen Wochen geboren. „Bei den Kalbinnen bekommt der Käufer das Kalb im Bauch quasi geschenkt. Es hat aber Nachteile: Er erkennt das Euter und die Melkbarkeit nicht so klar, wie bei Jungkühen.“

Bei diesen vielen Tieren auf einem Haufen verläuft nicht immer alles nach Plan. Als ein Züchter seine Kuh in die Arena führen will, beschließt sie zu streiken und legt sich auf den Boden. Nachdem drei Männer erfolglos versucht haben, sie aufzurichten, wird schließlich das nächste Tier vor das Publikum geführt. Nach einer viertelstündigen Verschnaufpause auf dem Boden beschließt die Kuh letztendlich doch, in die Arena zu traben. Allerdings ist die störrische Kuh nichts im Vergleich zu dem gereizten Bullen. Er sträubt sich, bäumt sich auf und zerrt an seinem Strick. Sein Züchter kann ihn mit Müh und Not festhalten, aber einige Leute stehen zu nah neben dem Rind. Sie gehen ängstlich in Deckung, und dabei stürzt ein älterer Mann zu Boden. Nach einem kurzen Schreckmoment rappelt er sich auf: Ihm fehlt nichts. „Mei, i war hoit neigierig!“, ruft er und rückt seinen Hut zurecht.

Es komme öfter vor, dass die Tiere gereizt auf die Atmosphäre in der Viehmarkthalle reagieren würden, erzählt Hans Lettmair. Er ist der Vorsitzende des Zuchtverbandes für Fleckvieh, der den Zuchtviehmarkt in der Donauhalle einmal im Monat organisiert. „Die Tiere werden auf den Höfen nicht angebunden, deswegen sind sie den Strick nicht gewöhnt“, erläutert Lettmair. Das Seil mache sie störrisch, aber „irgendwann bewegen die sich schon“. Die erbosten Bullen schrecken Eltern nicht davor ab, ihre Kinder mit zur Auktion zu nehmen. „Bisher ist noch nichts passiert“, versichert der Vorsitzende. Auch Rentner oder „Leit aus da Stod“ würden hin und wieder vorbeischauen – wegen der Unterhaltung.

Den größten Teil der Zuschauer machen freilich die Landwirte aus. „Das ist wie bei der Börse hier. Bei den Viehmärkten bilden sich die Tierpreise für die gesamte Region. Die gelten dann auch für den privaten Handel“, erklärt Lettmair. Deshalb reisen die Züchter schon früh an, um ihre Schützlinge unter den Hammer zu bringen. „Viele stehen um 3 Uhr auf. Dann werden die Rinder hier tierärztlich untersucht und gewaschen. Auch Estelmann hat die Strapazen auf sich genommen. Er rät allen Züchtern und denen, die es werden wollen: „Man braucht ein großes Vermögen, damit man mit der Zucht ein kleines Vermögen machen kann.“