München
Vernichtung durch Kunstraub

Jan Schleusener befasst sich in seinem Buch mit dem Zugriff des NS-Staats auf jüdischen Kunstbesitz in München

13.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:55 Uhr

Am Central Collecting Point am Münchner Königsplatz wurden die von den Nationalsozialisten geraubten Kunstwerke und ausgelagerten Museumsbestände zentral aufbewahrt. Im Bild ist ein Gemälde von Tiepolo zu sehen. - Foto: München Bayerisches Nationalmuseum

München (DK) Fast ein Polit-Krimi: Als 2007 im Münchner Stadtmuseum ausgesonderte Schreibtische weggeräumt und durchsucht wurden, fand sich ein verstaubtes Aktenkonvolut "Ehem. Judenbesitz" - Initialzündung zu einem seither laufenden Forschungs-, Provenienz- und Restitutions-Projekt: In keiner anderen Stadt wurden in den Monaten nach dem November-Progrom 1938 Kunstsammlungen und Wertgegenstände von jüdischen Mitbürgern so systematisch von Staats wegen geraubt.

Warum das gerade in München aber auch so lange dauerte, bis die Akten "entdeckt" wurden - dazu gaben die Buchpräsentation und Reden von Kunstminister, Kulturreferent, Staatsgemäldesammlungsdirektor und beteiligten Wissenschaftlern keine Auskunft - und somit Raum für parallele Einsichten zur befremdlich späten Aufarbeitung der Münchner NS-Verstrickung samt der fast unendlichen Gründungsgeschichte des NS-Dokumentationszentrums in der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung". Offen blieb, warum weder das Institut für Zeitgeschichte noch die Wissenschaftler des NS-Dokuzentrums in das Projekt eingebunden wurden.

Gehaltvoll waren dagegen die Erkenntnisse aus Jan Schleuseners komprimierter Zusammenfassung seines Buches "Raub von Kulturgut - Der Zugriff des NS-Staats auf jüdischen Kunstbesitz in München und seine Nachgeschichte". Das seit 1900 ja "leuchtende" München umfasste gerade auch kunstsinnige jüdische Familien, gipfelnd im international renommierten Kunsthandelshaus Bernheimer. Schon lange vor, verstärkt aber nach 1933 gärte unter der Leitidee "Hauptstadt der deutschen Kunst" ein Gebräu aus Antisemitismus, Rassismus gegenüber "Entarteter Kunst", Renommiersucht, Sammlungsneid und Imponiergehabe: Die führenden Münchner NS-Größen wollten auch auf diesem Gebiet den "Künstler Hitler" beeindrucken und auch seinem geplanten Museum in Linz Besonderes zuliefern.

Schleusener beschreibt die Vorbedingungen, die Instrumente und die Durchführung des nach dem Progrom 1938 beginnenden und bis 1939 andauernden Raubzugs von 2500 Kunstgegenständen bei 69 jüdischen Familien sehr anschaulich. Erschreckend wird offenbar, dass die Gestapo sich dabei auf Experten aus den Bayerischen Museen stützte, die als "erweiterte GeStaPo" tätig war: Namen von jüdischen Sammlern, auch außerhalb Münchens in Sommer- oder Gästehäusern befindliche Kunstwerke kannte und nannte. Täter und Opfer werden detailliert beschrieben. Erkennbar ist ein fataler Dreischritt: zuerst wurde den jüdischen Mitbürgern mit der Konfiszierung der Kunstgegenstände ein psychisches Zentrum ihrer Identität genommen, das sich in Kunstliebe, Künstlerkontakten und im Sammeln ausdrückte und neben Demütigung auch Traumatisierung zur Folge hatte; den meisten war dann durch den materiellen Verlust die spätere Zahlung der Juden auferlegten NS-Sondersteuern oder Ausreise-Gebühren unmöglich; am Ende stand daraus resultierend die Verhaftung, die Deportierung und die physische Vernichtung.

All das wurde, wie Schleusener belegt, nach 1945 beschwiegen und in Entnazifizierungsverfahren sogar umgedeutet: als "treuhänderische Verwahrung", um "Kriegsfolgen abzuwenden". Derzeit - nach über 70 Jahren! - laufen Provenienzforschung und Restitution. Das "lange 20. Jahrhundert" dauert also an.

Jan Schleusener: Raub von Kulturgut - Der Zugriff des NS-Staats auf jüdischen Kunstbesitz in München und seine Nachgeschichte. Deutscher Kunstverlag, 224 Seiten, 76 Abbildungen, 49,90 Euro.