Transformation in der Stahlbranche: Es droht eine Überforderung

Möglichst CO₂-frei produzieren und transportieren: Vor dieser Herkulesaufgabe stehen die Unternehmen in der Stahlbranche. Auf dem Netzwerkforum Stahl warnten Industrievertreter und Spediteure davor, die Politik könne die Wirtschaft mit der Klimawende überfordern.

Künftig soll Stahl nicht mehr unter Hinzunahme von Kohle, sondern mit grünem Wasserstoff produziert werden. (Foto: picture alliance/Sven Simon)

Die Stahlindustrie in Deutschland steht vor der womöglich größten Wende, die sie jemals erlebt hat. Sie muss ihre Produktion umstellen: Jahrhundertelang erfolgte die Erzeugung des Stahls mit Hilfe der Kohle. Zukünftig soll Wasserstoff eingesetzt werden, erzeugt nach Möglichkeit mit grünem Strom.

Doch mit dieser neuen Art der Produktion ist ein enorm hoher finanzieller Aufwand verbunden, wie auf dem Netzwerkforum Stahl am Dienstag offensichtlich wurde. Mehr als 120 Teilnehmer waren zu der vom Kompetenznetzwerk Logistik.NRW und dem Verband Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen (VVWL) organisierten Veranstaltung nach Dortmund gekommen.

„Das ist irre viel Geld“

Allein die Errichtung der für die Transformation benötigten Direktreduktionsanlagen, die die Hochöfen ersetzen, verschlingt Gelder in Milliardenhöhe. „Richtig“, sagte Sebastian Bross, Vorsitzender der Geschäftsführung der Salzgitter Mannesmann Handels-GmbH, „dafür bekommen wir eine Förderung in Höhe von 1 Milliarde Euro. Das ist irre viel Geld.“ Er fügte jedoch hinzu, dass die Errichtung der Anlagen insgesamt 2,4 Milliarden Euro kostet. „Wir müssen also 1,4 Milliarden Euro irgendwie selbst verdienen“, so der Manager. Das sei schwierig zu stemmen, weil weitere Belastungen auf die Unternehmen zukommen wie die Umschulung der Mitarbeiter.

Bross ließ keinen Zweifel, dass der eingeschlagene Weg eingehalten werden soll. „Wir stellen um“, sagte er, obwohl: „Derzeit ist die Produktion mit Wasserstoff nicht profitabel. Sonst hätten wir die Umstellung schon längst gemacht.“ Die Industrie könne nicht einfach Stahl 200 oder 300 Euro pro Tonne teurer produzieren und dann denken, damit irgendwie Geld zu verdienen. „Das wird nur klappen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen“, so Bross.

Leitmärkte für grünen Stahl unverzichtbar

Neben der finanziellen Unterstützung braucht es noch mehr. „Der Aufbau von Leitmärkten für grünen Stahl ist unverzichtbar“, sagte Jonathan Weber. Weber ist Vorstand Transformation bei dem viertgrößten Stahlhersteller in Deutschland, der Stahl-Holding-Saar (SHS) bestehend aus Dillinger und Saarstahl. Unter solchen Leitmärkten versteht man Maßnahmen, mit denen der teurere grüne Stahl wettbewerbsfähig gemacht wird im Vergleich zu Stahl, der nach der bisherigen Methode hergestellt wurde und als grauer Stahl bezeichnet wird. „So sollte in staatlichen Ausschreibungen die Vorgabe gemacht werden, dass grüner Stahl zum Einsatz kommt“, schlägt Weber vor.

Die SHS ist in Vorleistung gegangen und hat in Ascorval (Frankreich) bereits ein Stahlwerk errichtet, in dem grüner Stahl für Schienen hergestellt wird. „Aber wir sind zu früh dran mit dem Thema“, sagte Weber. In Frankreich habe die staatliche Bahn SNCF in den Vergabekriterien bereits CO2 eingepreist und deshalb sei man dort auch großer Lieferant von Schienen. „Aber wer ist noch nicht großer Kunde von uns?“ fragte Weber und gab die Antwort: „Die Deutsche Bahn.“

Die Mehrkosten für grünen Stahl will niemand zahlen

Das Thema CO2 ist laut Weber in Einkaufsabteilungen vieler großer Unternehmen noch nicht angekommen. „Da gibt es 10 Prozent Preisunterschied zwischen grauem und grünem Stahl: Dann wird der graue Stahl gekauft“, beklagte der SHS-Vorstand. Das Beispiel mit der grünen Schiene zeige, dass es noch überhaupt nicht passe mit den Rahmenbedingungen. „Wir wollen CO2-arm produzieren, gehen in Vorleistung und machen damit Verluste“, sagte Weber. Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen sei es schwer, Anteilseigner und auch Führungskräfte am Festhalten des CO2-freien Kurses zu überzeugen.

Andererseits aber gibt es auch gute Gründe für ein solches Verhalten der Kunden, wie Bross deutlich machte. Ein relevanter Teil des Stahls, den Salzgitter produziere, würde in Produkte wandern, die exportiert werden. „Dann werden Güter wie Kräne aufgrund des grün erzeugten Stahls teurer und müssen sich im internationalen Wettbewerb dennoch behaupten.“ Bross wies auch auf die Schwierigkeiten in der Umstellung der Produktion hin und bezeichnete dies als eine „Operation am offenen Herzen“. Denn die Umstellung der drei Hochöfen erfolge im laufenden Prozess. „Wir müssen ja weiter Stahl produzieren, einen Produktionsstillstand können wir uns nicht erlauben“, so Bross.

Transformation sorgt für neue Betätigungsfelder in der Logistik 

In gleich zweifacher Hinsicht spielt auch die Logistik im Rahmen der Transformation eine wichtige Rolle. Zum einen verändern sich die Prozesse. Bei SHS wird im Rahmen der Erzeugung von grünem Stahl viel mehr Schrott als bislang benötigt. Durchschnittlich werden 50 Prozent der eingesetzten Mengen Schrott sein. „Je nach Stahlsorte sind es aber mal 10 und dann wieder 90 Prozent“, sagte Weber. „Für die Produktion benötigen wir eine neue Beschaffungs- und Lieferkettenstruktur“, erklärte der SHS-Vorstand. Etwa 1,5 Millionen Tonnen Schrott braucht das Unternehmen jährlich, so die Prognose. Doch dieses Material fällt nicht punktuell an, sondern muss von verschiedenen Lieferanten zusammengesammelt werden. „Dazu müssen neue Logistikmodelle unter Beteiligung von Einzelwagen bei der Bahn und dem Lkw aufgebaut werden“, sagte Weber.

Zum anderen ist es sowohl für Salzgitter Stahl als auch für SHS wichtig, dass die Transportdienstleister möglichst CO2-arm oder gar CO2-frei agieren. Zwar überwiegt der CO2-Austauch in der Produktion deutlich im Vergleich zur Logistik. Doch die Industrieunternehmen müssen ihre CO2-Bilanzen nach Scope 3 bilanzieren – und da gehören die indirekten CO2-Emissionen aus dem Transport dazu.

Rheinkraft testet Wasserstoff-Lkw  

Die Spedition Rheinkraft International in Duisburg befasst sich intensiv mit der Vermeidung von CO2-Emissionen im Transport. Als Project Manager Sustainable Transformation kümmert sich Ann-Kathrin Müller bei Rheinkraft um alternative Antriebe: „Bei uns laufen in diesem Jahr drei Projekt an: Wir bekommen im Juni zwei Elektro-Lkw, im September einen Wasserstoff-Lkw und auch mit dem Thema HVO befassen wir uns intensiv.“ Bei HVO100 ist Rheinkraft bereits relativ weit: „Wir haben unsere eigene Tankstelle umgerüstet und können im Prinzip starten. In Belgien ist bereits ein Lkw im Einsatz, weil dort HVO schon länger erlaubt ist“, sagte Müller auf dem Forum. Auch die Lkw mit den beiden anderen Antrieben seien bereits für Kunden verplant. Dort wären die Kunden bereit, die Mehrkosten zu übernehmen.

Auf die Frage, auf welche Antriebe die Spedition Nikolaus Rein mit Sitz in Saarlouis setzt, antwortete der geschäftsführende Gesellschafter der Spedition, Armin Rein: „Auf Verbrenner.“ Er verwies auf die Fortschritte der Dieseltechnologie in den letzten Jahren und auf um 90 Prozent gesunkene Emissionen. Doch gibt es auch noch einen anderen Grund für seine Wahl: „Ich kann es mir als Unternehmer nicht leisten, auf E-Lkw umzurüsten, weil mir die Mehrkosten keiner zahlt“, sagte Rein. Und doch befasst er sich auch mit alternativen Antrieben. „Wir wollen ebenfalls im zweiten Halbjahr 2024 mit einem Wasserstoff-Lkw loslegen“, so der Spediteur. Aber: „Der Verbrenner ist für uns die Interimslösung und könnte sogar die 100-Prozent-Lösung sein, wenn HVO getankt wird“, so Rein. Dafür bräuchte er dann allerdings zwischen 4 bis 7  Prozent mehr Geld. Diesen Aufpreis wolle kein Kunde zahlen.

Politik als Hemmschuh für einen CO2-armen Transport

Selbst wenn er es sich leisten und den Fuhrpark auf E-Antrieb umstellen würde, wäre das mangels entsprechender Stromleitungen für das Aufladen nicht möglich. „Wir denken grün, aber ich kann als Dienstleister nur das umsetzen, was die Politik mir als Rahmenbedingungen bietet“, sagte Rein. Er zeigte kein Verständnis dafür, dass die Politik für HVO100 nicht den CO2-Anteil der Maut erstattet. „Dann könnten wir CO2-frei fahren, ohne einen höheren Transportpreis zu verlangen“, lautete sein Vorschlag.

Bross kritisierte, dass es zu wenig Flexibilität in der Politik gebe: „Wir dürfen nicht stur an den Regelwerken festhalten, sondern müssen auch mal Ausnahmen zulassen.“ Er sprach sich für ein gemeinsames Vorgehen der Wirtschaft gegenüber der Politik aus. Die Transportunternehmen würden häufig kein Gehör finden, weil sie keine so hohe Bedeutung aus Sicht der Politik hätten. „Wir müssen im Einklang vorgehen, zusammen gegenüber der Politik auftreten und auf die Hürden hinweisen“, lautete sein Vorschlag. So könne man auf die Rahmenbedingungen hinweisen, die notwendig seien, damit die Transformation über alle Prozessketten gelinge.

Konträre Ansichten zu den Möglichkeiten der Schiene

Emissionen könnten auch gespart werden mit einer Verlagerung von Transporten von der Straße auf die Schiene. Sowohl Bross als auch Weber bekräftigten in Dortmund, diesen Weg gehen zu wollen. Müller hingegen zeigte sich skeptisch: „Wir sind eine Lkw-Spedition, daher ist die Bahn für uns keine Alternative. Generell glaube ich, dass das Potenzial der Schiene groß ist. Andererseits gibt es in den nächsten Jahren viele Baumaßnahmen und Umstrukturierungen bei der Bahn. Da werden wir eher sehen, dass man wieder die Zuverlässigkeit des Lkw braucht, wenn teilweise ganze Streckenabschnitte im Bau sind“, sagte Müller.

Auch Rein zeigte sich skeptisch, obwohl er in der Vergangenheit im Auftrag eines Automobilherstellers bereits mehrere Ganzzüge beauftragt hat: „Doch derzeit hat die Bahn nur Probleme: mit der Infrastruktur, mit der Verfügbarkeit von Trassen oder Lokführern. Die haben kein Potenzial, von uns noch Waren aufzunehmen“, schilderte er seinen Eindruck von dem Zustand im Schienengüterverkehr in Deutschland.

Für Bross geht an der Bahn dennoch kein Weg vorbei. „Unter dem Strich ist die Schiene der CO2-ärmere Transport. Wir müssen daran arbeiten, dass wir wieder eine funktionsfähige und zuverlässige Bahn bekommen“, sagte der Salzgitter-Manager. Jeder habe im Transportsystem seinen Platz: Der Lkw sei in seiner Rolle unverzichtbar, die Bahn aber auch. Ähnlich sieht es Weber, der darauf hinwies, dass der Einzelwagenverkehr auf der Schiene für die Stahlindustrie von großer Bedeutung sei.

2024 und auch 2025 „verlorene Jahre“ für die Transformation

Der Vorsitzende des Stahlausschuss des VVWL, Stefan Windgätter, forderte die Politik auf, die Ziele der Transformation realistisch zu setzen. „Wenn die Trauben so hoch hängen, dass ich keine Chance habe, sie zu erreichen, dann springe ich erst gar nicht“, warnte Windgätter. Die Politik habe es mit ihren hohen Vorgaben geschafft, dass derzeit der „Drive“ aus der Transformation bei den meisten der Spediteuren raus ist. Er bezeichnete die Jahre 2024 und wahrscheinlich auch 2025 für die Speditionsbranche als „verlorene Jahre für die Transformationsbemühungen.“

 

 

 

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