Kinder, die Eltern schlagen: Keine Seltenheit

Wenn Kinder in der Trotzphase ausrasten und ihren Aggressionen Taten folgen lassen, können Eltern das oft noch verstehen. Doch auch danach ist es kein seltenes Phänomen mehr, dass Kinder ihre Eltern schlagen.

„Eltern, die sich von ihren Kindern schlagen lassen, sind ein Problem. Das hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen“, so Birgit Kärgel vom Landesverband des Deutschen Kinderschutzbundes gegenüber dem Stern.

1. Wenn Kinder ihre Eltern schlagen – wer ist schuld?

Schuld sind – natürlich – die Eltern selbst. Dabei gibt es zwei kontroverse Theorien. Die eine ist, dass die Eltern heutzutage schon bei der Erziehung ihrer Kleinkinder zu lasch seien. Die 57-jährige Birgit Kärgel ist davon überzeugt. Weil die Generationen vor uns noch die Prügelstrafe als völlig normal erachteten, wollen wir genau das Gegenteil sein. Doch verständnisvoll und bedürfnisorientiert sei nicht die Lösung. Antiautoritäre Erziehung sei nicht hilfreich: „Kinder wollen Eltern spüren, wollen in Kontakt sein und Kraft wahrnehmen. Beziehung bedeutet ein Spiel von Nähe und Distanz. Aber viele Eltern sind heute oft gar nicht in Kontakt zu ihren Kindern.“

Das meint auch Cordula Klaffs, Diplom-Sozialpädagogin und Erziehungsberaterin in Berlin. Sie sieht die Ursache allerdings in der Emanzipation. Die führt schließlich dazu, dass Eltern weniger Zeit mit ihren Kindern verbringen als früher. Darum hätten sie ein schlechtes Gewissen „nicht mehr ausreichend für die Kinder da zu sein. Und aus diesem schlechten Gewissen wird Konfliktvermeidung. In der kurzen Zeit, die Eltern und ihren Kindern nach Job und Ganztagsschule noch bleibt, soll um Himmels willen kein Streit, keine Auseinandersetzung, keine Meinungsverschiedenheit das Klima trüben.“

Darum würden sie ihren Kindern keine Grenzen setzen. Das führe schließlich dazu, dass Kinder keine Grenzen kennen, keine Empathie und deshalb auch nach der Trotzphase ihre Eltern schlagen. Doch selbst das führe nicht dazu, dass sie ihre Erziehung überdenken: „Die Eltern sind verzweifelt, beschämt und hilflos. Sie wehren sich nicht“, sagt Eva Busch.

Dabei sollten sie eigentlich gleich eingreifen: „Sie müssen sofort ernst, aber gelassen klarmachen, dass Sie Schläge nicht dulden. Also laut und bestimmt ‚Nein‘ sagen, dem Kind in die Augen schauen und seinen Arm festhalten.

2. Bedeutet Bedürfnisorientiert = aggressiv?

Etwas anders sehen das logischerweise die betroffenen Eltern. Sie sind sich sicher, dass es trotzdem besser ist, sein Kind bedürfnisorientiert zu erziehen als autoritär. Dass diese Kinder ihren Eltern gegenüber häufiger gewalttätig werden als Kinder aus autoritären Familien, ist für sie völlig verständlich.

Denn mit drei Jahren ist eine Schwelle erreicht, die alles verändert, wie Katja vom gewünschtesten Wunschkind erklärt: „Zunächst einmal ist es so, dass die Kinder nun so gut wie aus dem Kindchen-Schema herausgewachsen sind, d. h sie wirken auf die Erwachsenen nicht mehr so niedlich und beschützenswert, wie mit einem oder zwei Jahren. In vielen Fällen kommt nun ein Geschwisterchen dazu, neben dem die Dreijährigen gleich doppelt und dreifach so erwachsen wirken. Kurz: Die Eltern und Großeltern reagieren nun auf das Kind nicht mehr ganz so nachsichtig und verständnisvoll.“

Kinder spüren das natürlich, werden unsicher und versuchen umso stärker, Aufmerksamkeit zu bekommen. Das gelingt am einfachsten, indem man negatives Verhalten zeigt, das die Eltern fast nicht ignorieren können.

3. Der wahre Grund: Unterbewusstsein ist schuld

Ebenfalls schwer zu ignorieren sind die Stimmen von außen, die alle bedürfnisorientierten Eltern kennen. Die bekommen das nämlich auch mit, und natürlich bekommen Eltern dann den tollsten aller Sätze zu hören: „Ich hab es dir doch gesagt!

Unbewusst, so Katja, versucht man dann, doch ein bisschen mehr der gesellschaftlichen Norm zu entsprechen, dem, was unsere Großeltern noch für richtig hielten. Man wird strenger. Das hilft aber nicht, ganz im Gegenteil. Es verunsichert die Kinder nur noch mehr, was zu noch schlechterem Betragen führt.

Und wenn man nun auch noch anfängt, sie wegen kindlichem Verhalten anzumeckern oder gar zu bestrafen, wird es noch schlimmer. Das Kind fühlt sich als Person herabgewürdigt und wird umso mehr Wut bekommen und diese umso mehr durch Aggressionen abbauen, besonders, weil sie, bis sie drei Jahre alt waren, ein gutes Selbstbewusstsein entwickeln durften.

4. Richtig reagieren: Tipps für Eltern, deren Kinder schlagen:

Laut gewünschtestem Wunschkind gibt es einige Arten, wie Eltern auf ein tobendes, schlagendes, beißendes Kind reagieren sollten. Seinen Arm zu packen und ihn festzuhalten gehört nicht dazu.

Stattdessen sollten sich Eltern bewusst machen, dass dieses Verhalten eine Folge der Beziehung ist und das Kind uns etwas mitteilen möchte. Diese zu verbessern und herauszufinden, was das eigentliche Problem ist, ist die Aufgabe der Erwachsenen. Sie müssen die Beziehung so verändern, dass sich das Kind wieder in seiner Ganzheit, mit all seinen Fehlern, geliebt fühlt.

Das Hauen selbst ist nur ein Symptom. Vielleicht kann man es verhindern, aber das wird die Ursache des Problems nicht beheben: „Es bedeutet jedoch nicht, dem Kind alle Wünsche zu erfüllen, um nur ja einen Wutausbruch zu verhindern. Erwischt ihr euch selbst dabei, auf etwas zu verzichten, oder etwas zu tun, was ihr eigentlich gar nicht machen wolltet, nur, um Schreien oder Hauen seitens eurer Kinder zu vermeiden, dann läuft etwas gewaltig schief. Ihr solltet genau überprüfen, ob ihr eurem Kind etwas erlaubt aus Angst vor seinem Liebesverlust, oder weil ihr mit vollster Überzeugung dahinter steht, dass das, was es möchte, einem wichtigen kindlichen Bedürfnis entspringt.“

Dazu zählt auch, dass Eltern sich nicht von ihren Kinder schlagen lassen dürfen. Schließlich geht es nicht nur um die Bedürfnisse des Kindes, sondern auch um die der Eltern. Dann müssen die Eltern klar machen, dass das Kind die eigene Grenze überschritten hat. Trotzdem muss das Kind sich wertgeschätzt fühlen.

Jesper Juul zeigt das an einem Beispiel. Darin geht es um einen Jungen, der seine kleine Schwester schlägt, die ihm das Spielzeug weggenommen hat.

„’Ich möchte nicht, dass du deine Schwester schlägst, aber ich verstehe, warum du so aufgebracht bist. Ich werde dir beibringen, wie du es anstellen kannst, dass dich deine Schwester respektiert. Aber sie ist noch sehr klein, und es könnte eine Weile dauern, bis sie uns versteht.‘ Mit diesem Satz wirst du mehrere Dinge erreichen: – In dem ersten Satz deiner Aussage hast du gezeigt, dass man Grenzen setzen kann, ohne aggressiv oder gewalttätig zu werden. – In dem zweiten Satz erkennst du die Bedeutung der persönlichen Integrität an, und auf diese Weise bewirkst du, dass sich der Junge wertvoll fühlt. Und durch deinen letzten Satz gelingt es dir schließlich, deine Weisheit mit ihm zu teilen, und lässt ihn noch mal spüren, dass er wertvoll ist.“

Ebenfalls wichtig ist es, seine eigenen Gefühle nicht zu verstecken. So lernen Kinder am Beispiel. Sehen sie, dass Erwachsene einen gewaltfreien Weg finden, mit ihrer Traurigkeit oder Wut umzugehen, ahmen sie sie nach.

Dabei gilt: Es ist in Ordnung, negative Emotionen zu haben, zu zeigen und zuzulassen. Völlig auszurasten, herumzubrüllen, andere zu beleidigen hingegen ist nicht in Ordnung. Auch nicht seitens der Eltern! Merken Eltern, dass sie kurz davon sind, die Kontrolle zu verlieren, sollten sie lieber kurz aus dem Zimmer gehen und sich beruhigen.

Rebecca
Schon seit rund einer Dekade jongliere ich, mal mehr, mal weniger erfolgreich, das Dasein als Schreiberling und Mama. Diese zwei Pole machen mich aus und haben eines gemeinsam: emotionale Geschichten!

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