Weibliche Führungskräfte erleiden häufiger an Burnouts als männliche. Die Pandemie hat dieses Problem noch verstärkt, das zeigt eine neue Studie. Erstaunt Sie das?

Nein, das erstaunt mich überhaupt nicht. Während der Corona-Krise haben die Verpflichtungen immens zugenommen. Insbesondere die Sorgetätigkeiten im Privaten, beispielsweise aufgrund von Schulschliessungen. Dieses Mehr an Sorgearbeiten fangen nach wie vor traditionell Frauen auf – auch wenn sie in Führungspositionen tätig sind.

Das ist nicht nur während der Pandemie so, oder?

Seit der berühmten Studie von Arlie Hochschild aus den Achtzigern wissen wir: Frauen schieben Doppelschichten. Selbst wenn Frauen 100 Prozent erwerbstätig sind, selbst wenn sie in Führungspositionen arbeiten, fällt die Mehrheit der Hausarbeiten auf sie zurück. Deshalb leisten berufstätige Frauen auch ohne Corona Pandemie oft doppelte Arbeit.

Franziska Schutzbach
Frauen schieben Doppelschichten. Selbst wenn Frauen 100 Prozent erwerbstätig sind, selbst wenn sie in Führungspositionen arbeiten, fällt die Mehrheit der Hausarbeiten auf sie zurück.

Es gibt auch Frauen, die in Führungspositionen tätig sind und im Haushalt wenige Verpflichtungen haben. Warum sind auch sie häufiger erschöpft?

Frauen in Führungspositionen stehen generell unter Verdacht, dass sie machtgierig und vermännlicht sind. Umso mehr müssen sie ihre Weiblichkeit beweisen. Das heisst sie stehen oft unter Druck zu beweisen, dass sie sich trotz erfolgreichem Job um das Wohl anderer kümmern. Tun sie dies nicht, müssen sie mit Sanktionen rechnen. Ein Beispiel aus der Politik: Umfragen zeigten, dass Hillary Clinton unter anderem nicht gewählt wurde, weil sie als zu wenig empathisch und fürsorglich eingestuft wurde. Es ist also real, dass es Frauen in Machtpositionen zum Verhängnis werden kann, wenn sie sich nicht weiblich genug benehmen.

Es ist real, dass es Frauen in Machtpositionen zum Verhängnis werden kann, wenn sie sich nicht weiblich genug benehmen.

Tatsächlich zeigt diese Studie auch, dass viele Unternehmen das Wohlbefinden der Mitarbeitenden seit der Pandemie besonders in den Fokus gerückt haben. Die damit verbundenen Aufgaben übernehmen mehrheitlich Frauen im Unternehmen.

Das hat mit historisch gewachsenen Rollenzuschreibungen in der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft zu tun. Frauen werden als gebende Personen gesehen, als Zuständige für Liebe, Fürsorge und Harmonie. Dieses Bild der Frau als gebende Person bleibt in der Berufswelt bestehen. Frauen haben diese Rollenzuschreibung selbst stark verinnerlicht und fühlen sich für das Wohl anderer zuständig.

Übernehmen Frauen diese Aufgaben also häufig freiwillig?

Viele entwickeln ihre Identität basierend auf der Idee, dass eine gute Frau eben auch eine gebende Person ist. Dieses Ideal ist so tief verankert, dass die meisten Frauen es nicht einfach ablegen können und wollen. Würden sie es tun, wäre ihre Daseinsberechtigung in Frage gestellt.

Männliche Identität hingegen ist gleichgesetzt mit Erfolg im Beruf und Geld verdienen. Aus der Forschung weiss man, dass arbeitslose Männer oft in Existenzkrisen geraten, selbst wenn sie finanziell gut abgesichert sind. Allein die Vorstellung, beruflich nicht gebraucht zu werden, stellt ihre Daseinsberechtigung in Frage.

Ist das denn ein Problem, wenn Frauen diese Aufgaben übernehmen?

Nicht per se, es ist ja sehr wichtig, dass sich irgendjemand für das Wohlbefinden anderer Menschen zuständig fühlt. Meine Positionen ist es nicht, dass man Frauen diese Werte abtrainieren sollte. Ich halte es sogar für sehr problematisch, wenn hohe Managerinnen dazu aufrufen, Frauen sollten sich mehr „wie Männer” benehmen, die Ellbogen ausfahren und sich zwischenmenschlich weniger engagieren. Wir wissen ja, dass Menschen und auch das Arbeitsklima stark leiden, wenn sich niemand um das Wohlbefinden der Mitarbeitenden kümmert! Also lieber diese Bedürfnisse sichtbar machen und die Tätigkeit der Empathie und Beziehungsarbeit als generell wichtigen Bestandteil von Arbeitsprozessen aufwerten.

Ich halte es für sehr problematisch, wenn hohe Managerinnen dazu aufrufen, Frauen sollten sich mehr „wie Männer” benehmen, die Ellbogen ausfahren und sich zwischenmenschlich weniger engagieren.

Wie geht das?

Indem man diese Aufgaben als Arbeit wertet, dafür genug Zeit freischaufelt und sie, je nachdem, auch bezahlt. Zudem sollten diese Aufgaben auch gleichmässiger im Unternehmen verteilt werden. Auch Männer in Führungspositionen sollen aufgefordert werden, mehr solche Skills zu entwickeln.

Momentan werden solche Arbeiten von Unternehmen oft nicht honoriert. Weshalb sind Arbeiten, die mehrheitlich von Frauen übernommen werden, unsichtbar?

Es lohnt sich ökonomisch, wenn man diese Arten von Engagement, Beziehungs- oder Gefühlsarbeit, als Gratis-Ressource nutzt. Oft wird argumentiert, Frauen würden das ja intuitiv und  „von Natur aus” sowieso gerne machen. Hier zeigt sich, dass traditionelle und sexistische Weiblichkeitsbilder sehr eng mit kapitalistischen Interessen verbunden sind. Wenn man nämlich diese ganze unsichtbare Arbeit, die für Harmonie und Wohlbefinden an Arbeitsplätzen sorgt, bezahlen müsste, gäbe es eine Umverteilung. Das ist für die Wirtschaft auf den ersten Blick schlecht.

Und auf den zweiten Blick?

Auf den zweiten Blick müsste endlich klar werden: Sorgetätigkeiten, ob sie im Privaten oder in Berufen erledigt werden, sind systemrelevant. Eine Wirtschaft kann gar nicht funktionieren und produzieren, wenn nicht für das Wohlbefinden von Menschen gesorgt ist. Man müsste also eine neue Ethik und neue Wirtschaftsmodelle entwickeln, in denen Sorgetätigkeiten endlich die systemrelevante Bedeutung zugesprochen wird, die sie tatsächlich haben. Das kommt vielleicht teuer. Aber es lohnt sich, weil damit die Ausbeutung der eigenen Grundlagen gestoppt würde. Eine Wirtschaft, die erschöpfte und sozial unterversorgte Menschen hervorbringt, kann auf Dauer nicht produktiv sein.

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Obwohl von Frauen dieses weibliche Benehmen erwartet wird, müssen sie oft auch beweisen, dass sie konkurrenzfähig sind. Geht das gleichzeitig?

Frauen sind in einem permanenten Dilemma. Wenn sich Frauen „zu weiblich” benehmen, laufen sie wiederum Gefahr, nicht ernst genommen zu werden. Somit müssen viele Frauen sich ständig mit dem Thema Geschlecht auseinandersetzen und darauf achten, nicht zu männlich aber eben auch nicht zu weiblich zu sein. Gerade in männerdominierten Berufszweigen erleben Frauen in Führungspositionen oft, dass sie ihre Werte bis zu einem gewissen Grad verraten müssen. Plötzlich sollen sie Werte wie Empathie und Rücksicht, mit denen sie als Mädchen sozialisiert wurden, bekämpfen und ablegen, um konkurrenzfähig zu sein. Das ist ein wichtiger Aspekt bei Burnout: der Verrat der eigenen ethischen Prämissen hat ein sehr grosses Erschöpfungspotenzial.

Müssen sich Frauen mehr beweisen als ihre männlichen Berufskollegen?

Frauen müssen immer mehr leisten, um im Beruf ernst genommen zu werden, um Karrieren zu machen, um befördert zu werden. Beispielsweise werden Lebensläufe von Frauen klar schlechter bewertet als diejenigen von Männern, selbst wenn die Qualifikationen gleich sind. Frauen werden weniger Führungsqualitäten zugetraut. Deshalb müssen sie viel mehr um Geltung ringen, wenn sie führen wollen.

Dürfen sich Frauen auch weniger Fehler erlauben?

Ja, Fehler werden ihnen tendenziell übler genommen als Männern. Das führt bei Frauen unbewusst dazu, dass sie perfektionistisch werden. Diesen Perfektionismus wirft man Frauen oft vor, aber der ist begründet. Denn sie machen eben ganz real die Erfahrung: Wenn ich nicht volle Leistung und Perfektion bringe, erfahre ich dadurch Nachteile. Gleichzeitig ist Perfektionismus unfassbar erschöpfend. Die Erfahrung, sich dauernd beweisen zu müssen, führt dazu, dass Frauen ein schlechteres Selbstwertgefühl haben und sich selber weniger zutrauen. Ich würde sogar von einer verinnerlichten Misogynie sprechen, dass Frauen von sich selbst oft ein schlechtes und abwertendes Bild haben. Dementsprechend neigen sie auch oft dazu, Fehler immer bei sich zu suchen. Es ist ein zentrales Burnout-Merkmal bei Frauen, dass sie sehr auf Fehler fixiert sind. Gelingt ihnen etwas gut, sehen sie das oft als Zufallstreffer und nicht als Ausweis ihrer Kompetenz und Leistungsfähigkeit.

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Stichwort Lebenslauf. Es gibt mittlerweile auch Unternehmen, die sehr gezielt nach Frauen suchen und sie gar bevorzugen. Wie sehen Sie das?

So wie ich das verstehe, werden minorisierte Personen nicht bevorzugt, wenn sie nicht alle notwendigen Qualifikationen erfüllen. Zwar kann das Geschlecht mit ein Grund sein, dass sie eine Stelle erhalten, aber eben nicht ausschliesslich. Ich halte temporäre Quoten deshalb für ein legitimes Mittel, andernfalls dauert es einfach viel zu lange. Es wurde auch juristisch und menschenrechtlich längst geklärt, dass eine bestimmte Gruppe vorübergehend bevorzugt werden darf, wenn sie historisch lange diskriminiert wurde.

Es wurde auch juristisch und menschenrechtlich längst geklärt, dass eine bestimmte Gruppe vorübergehend bevorzugt werden darf, wenn sie historisch lange diskriminiert wurde.

Welche weiteren Lösungsansätze sehen Sie auf Unternehmensebene, um Frauen zu entlasten?

Insgesamt wäre eine Reduktion der Erwerbsarbeit für alle notwendig. Männer und Frauen sollen Teilzeit arbeiten und trotzdem eine Familie über die Runde bringen können. Ich denke, dass wir ohne Teilzeit für alle nicht zu einer gerechten Verteilung von Sorge- und Erwebsarbeiten kommen. So lange Männer Vollzeit in Berufe eingebunden sind, gibt es keine wirkliche Entlastung für die Frauen.

Paare können dieses Problem also nicht individuell lösen?

Ich glaube das passiert nicht von sich aus in einer Kultur und Wirtschaft, die derart erwerbszentriert funktioniert und den Leuten so viel abverlangt. Ich spreche hier auch nicht nur von der Schweiz. In Deutschland kann sich die Hälfte der Bevölkerung mit Vollzeitjobs kaum über Wasser halten. Solange Menschen hundert Prozent ihrer Zeit der Erwerbstätigkeit opfern müssen, sehe ich keine Chance für eine gleichberechtigte Aufteilung der Arbeit.

Sie betonen immer wieder, dass es bei diesen Forderungen vor allem um die Aufwertung der Sorgearbeit geht?

Wir sollten endlich verstehen, dass Sorgetätigkeiten notwendig sind, damit die Wirtschaft produktiv sein kann. Kinder müssen ausgetragen und erzogen werden, Kranke müssen gepflegt werden, das ist wirtschaftsrelevant. Feministische Ökonominnen wie Mascha Madörin oder Ina Praetorius kritisieren schon lange: Bei Sorgearbeit ist es wie mit dem Planeten. Der wird auch als Gratis-Ressource ausgebeutet und bekommt nicht genug Zeit und Achtsamkeit, um sich zu erholen. Am Ende des Tages geht auch diese Rechnung nicht auf. Der Planet schafft es nicht, sich eigenständig zu regenerieren. So ist es auch mit Menschen, die Sorgetätigkeiten leisten. Dafür brauchen sie genug Zeit und Ressourcen.

Gibt es auch etwas, was Frauen auf der Mikroebene tun können?

Frauen haben die Möglichkeit, ihre Arbeiten sichtbar zu machen, gerade in Unternehmen. Beispielsweise könnten Frauen systematisch aufschreiben, wann sie Zeit für Tätigkeiten aufwenden, die nicht als Arbeit gesehen werden. Beispielsweise wenn sie ein Geburtstagsgeschenk für einen Arbeitskollegen organisieren. Ich würde aber vor allem dafür plädieren, dass Frauen sich zusammenschliessen. Es hilft, sich mit Verbündeten auszutauschen und ähnliche Erfahrungen gemeinsam im Unternehmen zu thematisieren. So kann sich vielleicht schon im kleineren Rahmen etwas ändern, indem Tätigkeiten mehr wertgeschätzt werden oder auch Männer sich mehr engagieren. Da ist auf der Mikroebene schon viel möglich, man muss nicht gleich das ganze System über den Haufen werfen.

Danke fürs Gespräch!

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