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Jesper Juul "Pubertät ist Pay-back-Zeit"

Genervtes Mädchen mit Mutter im Hintergrund
© Kamira / Shutterstock
Pubertät = Schlimme Zeit? Kommt auf die Sichtweise an. Für alle Eltern, die hilflos, wütend oder zumindest rätselnd vor ihren heranwachsenden Kindern stehen, ist das neue Buch von Jesper Juul eine besänftigende Lektüre.

ELTERN FAMILY: "Pubertät ist in vielen Familien eine Krisenzeit. Haben Eltern zu idealistische Vorstellungen vom Erwachsenwerden, wenn sie sich eine pflegeleichte Pubertät wünschen?

Jesper Juul: Auf jeden Fall. Was mit dem Kind und in der Familie passiert - ob es schön ist oder schrecklich -, ist in erster Linie das Resultat der vergangenen gemeinsamen Jahre. Das heißt nicht, dass Eltern "schuldig" sind, wenn Kinder in der Pubertät alles Mögliche ausprobieren. Spätestens jetzt müssen sie aber die Verantwortung dafür übernehmen, dass der Umgang miteinander sich ändert. Damit meine ich, dass Mütter und Väter ihr eigenes Verhalten dem Kind gegenüber überdenken sollen, anders mit ihm reden, es weniger bevormunden.


 

Ist es für Sie normal, dass 13-, 14-, 15-Jährige wissen wollen, wie Erwachsensein sich anfühlt - inklusive Alkohol, Sex, harter Songtexte, brutaler Filme und Computerspiele?

Ja, das ist es. Entscheidend dabei ist, dass Jugendliche ein Selbstwertgefühl haben, das es ihnen erlaubt, die eigenen Grenzen zu erkennen und nicht selbstzerstörend zu handeln. Ob sie das hinkriegen, entscheidet sich in den ersten zehn Jahren ihrer Erziehung. Eltern müssen die Fähigkeit und den Willen haben, ihren Kindern Freiräume zu gewähren, sie ernst zu nehmen. Nur dann wächst Eigenverantwortung. Unglücklicherweise verletzen immer noch eine Menge Eltern mit Maßnahmen wie Strafen, Befehlston, Liebesentzug die persönliche Integrität von Kindern. Auch wenn sie es tun, weil sie das Beste wollen - in der Pubertät ist "pay-back-time", es wird zurückgezahlt.


 

Eltern wollen nicht, dass Jugendliche rauchen, trinken, lieber feiern als lernen. Ist ihr Vorbild ein Wegweiser?

Alkohol, Nikotin, Drogen, Gewaltcomputerspiele und alle anderen Gefahren sind gegenwärtig, sie eine Tatsache. Entscheidend ist, wie man als Person damit umgeht. Ein Kind wird sich vielleicht irgendwann entscheiden, die gleichen Einstellungen dazu zu haben wie seine Eltern. Dazwischen können aber viele Jahre des Ausprobierens liegen. Da kann ich nur empfehlen: durchhalten!


 

Schüler stehen unter wachsendem Leistungsdruck. In sehr vielen Familien sind Noten ein Riesenthema.

Was das deutsche Schulsystem - wie viele andere auch - braucht, sind mutige politische Visionen. Politiker aber leiden unter der "PISA-Psychose". Das Einzige, was ihnen alle zwei Jahre einfällt ist, noch mehr messbare Leistung zu fordern. Das Ergebnis ist, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen an und in der Schule leidet.


 

Eltern leiden mit. Wäre die Pubertätszeit leichter ohne das Thema Zeugnisse?

Viele Eltern versuchen, einen Hilfslehrer-Job zu machen. Sie stecken zu viel wertvolle Familienzeit da hinein. Die wahren Helden sind für mich Jugendliche, die nicht alles dem Leistungsdruck unterordnen, dafür auch schlechte Noten riskieren. Und deren Eltern, die trotzdem zu ihnen stehen. Als Mutter und Vater ist man zuerst der seelischen Gesundheit seines Kindes verpflichtet, nicht der Schule. Eltern haben schreckliche Angst, dass nur gute Schüler eine gute Zukunft vor sich haben. Das stimmt aber nicht. Sehen Sie sich um unter Handwerkern, Künstlern, Autoren, Köchen oder Politkern - und Sie werden sehen, dass viele der Besten in der Schule arm dran waren.




 

Was sind jetzt die wichtigsten Elterngebote?

Genießen Sie Ihr Kind, und seien Sie ihm ein geduldiger Sparringspartner, solange es Sie braucht. Versuchen Sie nicht, es zu verbiegen. Wenn es Veränderungen geben muss in Ihrer Familie, überlegen Sie, wie SIE Ihre Kommunikation mit dem Kind verbessern und gleichzeitig die Nähe zu ihm erhalten können. Sie müssen nicht Ihre Standpunkte aufgeben und Ihre Werte. Aber womöglich die Art, wie Sie diese rüberbringen. Und vor allem: Vertrauen Sie Ihrem Kind und darauf, dass es das Beste aus seinem Leben machen wird. Gerade dann, wenn dieses Leben wie ein einziges Desaster aussieht.


 

Buchtipp

Jesper Juul
"Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht"
Verlag Kösel
16,95 Euro

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Jesper Juul ist in seiner Konsequenz sicher nicht bei allen Eltern unumstritten. Was halten Sie von seinen Ratschlägen, und wie erleben Sie die Pubertät Ihrer Kinder? Schreiben Sie einen Kommentar.

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