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© Allef Vinicius / unsplash.com

08.06.2018 / Interview / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Annabel Breitkreuz

Generation Unentschlossen

Weil alles möglich ist, sind wir heillos überfordert: Der Lückenprofi gibt Tipps.

Nichts ist so unangenehm, wie auf die Frage „Was machst du gerade?“ keine zufriedenstellende Antwort zu haben. „Ich orientiere mich gerade um“, klingt genauso wenig ausreichend wie „Ich bin dabei, herauszufinden, wer ich bin.“ Es ist uns wichtig, etwas vorweisen zu können und so stürzen wir uns von Ereignis zu Ereignis: Wir lernen Sprachen, besuchen Weiterbildungen oder fliegen zur Tante nach Amerika – nicht der Tante wegen, sondern um die Lücke im Lebenslauf zu füllen. Wir erlauben uns keine Zeit zum Innehalten und werden immer unzufriedener, weil wir nicht wissen, wo wir hingehören.

Dieser Orientierungslosigkeit möchte Stephan Münch mit dem Angebot Lebenstraum entgegenwirken und motiviert dabei junge Erwachsene, sich 10 Monate mit sich selbst zu beschäftigen. Johannes Sörnsen ist einer seiner ehemaligen Teilnehmer. Im Interview erklären die beiden, wie sie selbst Orientierung im Leben gefunden haben, was Gottes Idee von unserem Leben ist und warum Unentschlossenheit nicht nur ein Thema der jungen Generation ist.
 

ERF: Warum ist es wichtig, sich so viel Zeit zu nehmen, nur um sich selbst kennen zu lernen?

Stephan Münch, Leiter des Lebenstraums (Foto: Lebenstraum)
Stephan Münch, Leiter des Lebenstraums © Lebenstraum

Stephan Münch: Es gibt eine Umfrage, in der die Befragten zwischen 18 und 30 Jahre alt waren und sich einen Generationsnamen geben sollten. Die häufigsten Antworten waren Generation Internet, Generation Smartphone und Generation Unentschlossen. Ich denke, das zeigt sehr deutlich: Es ist einfach zu viel des Guten, wir haben zu viele Möglichkeiten. Das, was früher mal zu wenig war, ist jetzt zu viel. Früher ist man Bauarbeiter geworden, weil der Papa auch Bauarbeiter war. Heute gibt es so viele verschiedene Berufe und Studienmöglichkeiten, dass nicht mal mehr die Berufsberater durchblicken. Deshalb ist eine Umkehr des Denkens wichtig:

Es geht eben nicht mehr darum, nach Möglichkeiten zu suchen, sondern Schritt für Schritt herauszufinden, was ich überhaupt will und dann nach der richtigen Möglichkeit suchen. Genau dafür nehmen wir uns die Zeit im Lebenstraum.


ERF: Wie genau wird den Teilnehmern geholfen, herauszufinden, wer sie sind und was sie wollen?

Was ist Lebenstraum?
Lebenstraum ist ein 10 monatiges Programm für junge Erwachsene, bei dem es darum geht, den eigenen Glauben und die Persönlichkeit zu vertiefen. Neben  Bibelschulkursen, gibt es persönliches Mentoring, Berufsfindungshilfe, Praktika und Workshops. Mehr Informationen gibt es unter www.dein-lebenstraum.com.

Stephan Münch: Es gibt natürlich Seminare, Workshops und Beratungen zum Thema Persönlichkeit. In denen geben wir den Teilnehmern wichtige Tools mit, die sie im Laufe ihres Lebens immer wieder auspacken können. Am wichtigsten ist uns aber das Zusammenleben in Wohngemeinschaften.

Wenn viele unterschiedliche Menschen zusammenleben, entstehen immer Reibungsflächen. Mit diesen Reibungsflächen arbeiten wir dann: Wir reflektieren und schauen, was einen vielleicht an der eigenen Person stört und was man aus der Familie mitgenommen hat.

Johannes Sörnsen: Das war für mich persönlich sehr wichtig: Mal alle Rollen abzulegen, in denen ich bisher drin war. Das funktioniert am besten, wenn man nicht in gewohnter Umgebung ist.
 

ERF: Wie habt ihr persönlich herausgefunden, was ihr beruflich erreichen wollt?

Johannes Sörnsen (Foto: Lebenstraum)
Johannes Sörnsen, hat vor drei  Jahren seine Orientierung im Lebenstraum gefunden. © Lebenstraum

Johannes Sörnsen: In der Schule hatte ich keine Zeit mir Gedanken zu machen, was ich eigentlich will,  deshalb bin ich direkt nach dem Abitur zum Lebenstraum gekommen. Während dieser Zeit habe ich mich durch verschiedene Gespräche und Zusagen für meinen Berufsweg entschieden und schreibe gerade meinen Bachelor in Wirtschaftspsychologie. Eine solche Zeit ist so viel besser, als ständig etwas anzufangen und wieder abzubrechen.

Vorher hatte ich immer eine Art innere Unsicherheit, dass ich keine Ruhe gefunden und mich ständig gefragt habe: Soll ich oder soll ich nicht? Ich habe gelernt, über Probleme zu beten, sodass es mir leichter fällt Entscheidungen zu treffen und Frieden darüber zu finden.

Stephan Münch: Ich hatte keinen geradlinigen Weg. Ich habe erst Elektriker gelernt, was aber nicht meine Leidenschaft war. Doch mein Vater war Ingenieur, meine beiden Brüder sind auch Ingenieure geworden und ich hatte eigentlich geplant, nach der Ausbildung mein Fachabitur zu machen, um dann auch Ingenieur zu werden. Es war wohl so eine Vorbild-Sache und ich wusste nicht, was ich will. Das habe ich erst später herausgefunden und Theologie studiert und den Lebenstraum gemeinsam mit meiner Frau ins Leben gerufen.

Mir hat es vor allem geholfen Gesprächspartner zu haben. Das war je nach Lebenssituation nicht immer dieselbe Person. Aber es ist wichtig, dass jeder eine solche vertrauenswürdige Person hat, die einen reflektiert und darin unterstützt, eine eigene Entscheidung zu treffen; auch mal mutige und unsichere Wege zu gehen. Und man muss sich immer wieder im Laufe des Lebens fragen: Stimmt mein Ziel noch?
 

ERF: Was ist, wenn man weiß, was man will, aber die Umsetzung nicht funktioniert?

Stephan Münch: Das gibt es oft. Selbst wenn man herausfindet, wie man das Leben gestalten möchte, passiert es nicht immer so, wie man es sich vorstellt. Ich hatte immer den Traum, Jugendlichen Orientierung geben zu können und dafür einen Ort zu schaffen. Als ich das im Lebenstraum umgesetzt habe, war nicht plötzlich alles fertig und in Ordnung. Unser Leben ist ständig im Wandlungsprozess, Formen ändern sich und man muss darauf reagieren. Zu Beginn hatten wir zum Beispiel auch ein eigenes Café im Haus. Für uns war es überhaupt nicht angenehm, es nach einem Jahr wieder zu schließen, weil es seit Beginn Teil des Traums war. Aber die Realität sah anders aus und ich musste abwägen, was geht und was nicht.

Man muss immer bereit sein, Wege zu gehen, die zwar dem Ziel entsprechen, aber nicht so sind, wie man es sich vorgestellt hat.Theoretisch wusste ich das, in den vergangenen Jahren habe ich auch erlebt, wie es sich anfühlt.

ERF: Was ist Gottes Idee für unser Leben? Hat er für jeden eine konkrete Berufs- und Lebensvorstellung?

Johannes Sörnsen: Gott weiß ganz genau, wer wir sind und was wir alles können. Dieser Gedanke nimmt mir meinen Druck. Ich muss nicht alles aus eigener Kraft schaffen, weil Gott immer Teil dessen ist.

Stephan Münch: Gott sagt nicht, werde Ingenieur oder Zahnarzt. Das ist etwas, was wir selbst herausfinden dürfen. Gott hat uns Gaben gegeben, die wir an den unterschiedlichsten Orten nutzen können. Die Bibel setzt dafür die Leitpfosten rechts und links vom Weg. Das heißt, ob ich mehr rechts oder links fahre, ist gar nicht so wichtig, ich sollte eben nur nicht in den Graben fahren.

Ich stelle mir Gott so vor, dass er mich sieht und sagt: „Cool, was Stephan aus dem macht, was ich ihm gegeben habe.“ Das hängt aber nicht vom Erfolg der Sache ab! Ich glaube, Gott hat eine Palette von Träumen und du kannst schauen, in welche Richtung du gehen willst.

 Annabel Breitkreuz

Annabel Breitkreuz

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