6 Foto: Felix Groteloh Quelle: Unbekannt

Stuttgart - Vielfalt ist Trumpf beim Deutschen Chorfest 2016, das gestern in Stuttgart begonnen hat und noch bis Sonntag dauert. Heute unterscheidet sich das sichtbare wie hörbare Bild eines solchen Sängerfests markant von den Klängen, Ritualen und Teilnehmern vergangener Jahrzehnte - und von den Klischees, die damit verbunden sein mögen. Neben klassischen Chören und Gesangvereinen prägen längst auch Vokalbands, chorische Projekte, Ethnomusik, ein weites musikalisches Repertoire und vieles andere die Szene. Wir haben einige Sängerinnen und Sänger aus ganz unterschiedlichen Ensembles befragt, was für sie die Faszination des Chorgesangs ausmacht.

David Maack: Was ich am Chorsingen genial finde, ist die unglaublich große Energie, die dabei entsteht und die man gemeinsam spürt. Für mich hat diese Faszination schon begonnen im Kinderchor, den meine Mutter geleitet hat. Seit einem Jahr bin ich jetzt als Bass bei beim Jazzchor Cantaloop dabei und mit meinen 15 Jahren der jüngste Sänger. Es gefällt mir, wie hier mit großen Einsatz an die Grenze gegangen wird, und ich glaube, dass wir eine hohe musikalische Qualität erreichen. Auch wenn wir Pop oder Jazz singen, sind wir ja keine Band, wo vieles improvisiert und nicht exakt festgelegt wird. Im Chor singt jeder in seiner Stimme das Gleiche, und diese Präzision gehört für mich zum Gemeinschaftserlebnis und seiner Energie dazu.

Der von Christoph Gerl geleitete Hamburger Pop-Jazzchor Cantaloop nimmt am Chorfest-Wettbewerb teil (morgen, 12.30 Uhr, Theaterhaus). Außerdem ist er heute im Theaterhaus (12.30 Uhr) und im Stuttgarter Rathaus (14.30 Uhr) sowie morgen beim Nachtklang im Theaterhaus (21 Uhr) zu hören.

Richard Leisegang: Ich singe seit mittlerweile sechs Jahren als Bassbariton in der Vokalband Unduzo. Wir sind im Jahr viel unterwegs, und ich genieße es, mit immer denselben vier Menschen zu singen; unsere Stimmen verbinden sich immer mehr; auf der Bühne verstehen wir uns mittlerweile blind. A-cappella ist ja kein Genre, sondern zunächst mal eine Besetzung. Mit der kann man alle Musik machen, auf die man Lust hat! Deswegen ist die vokale Landschaft ja auch so vielfältig.

Unduzo wurde 2008 in Freiburg gegründet und glänzt nicht nur musikalisch, sondern auch durch die witzig-fantasievolle Art der Darbietung. Dafür erhielten das Quintett den baden-württembergischen Kleinkunstpreis 2016. Beim Chorfest zieht Unduzo mit „Walkappella“ durch Stuttgart und singt beim Nachtklang am Samstag im Theaterhaus.

Dirk Bardelmeier: Beim Singen kann man den Menschen in die Seele schauen. Das ist für mich, besonders in unserem Abseits-Chor, jedesmal ein ganz besonderes Erlebnis. Ich freue mich darüber, dass es über das gemeinsame Singen gelingt, gerade in unserem Chor mit seiner großen Bandbreite des Andersseins jeden in seiner Art und Weise nicht nur zu tolerieren, sondern zu akzeptieren. Denn wie gesagt: Singen heißt für mich, seine Seele zu öffnen.

Susanne Kampling: Durch einen Zufall bin ich zum Abseits-Chor gekommen. Mich berührten die selbstkomponierten Lieder und die Gemeinschaft innerhalb des Chores. Hier im Chor sind alle gleich, ob Wohnungslose, ehemals Wohnungslose, Ehrenamtliche und Mitarbeiter der Tageswohnung. Wir sind vielleicht nicht die besten Sänger, aber wir singen mit viel Herz. Das gemeinsame Singen entspannt mich und macht mich glücklich.

Der Abseits-Chor kommt aus Osnabrück und bringt Wohnungslose, Menschen in schwierigen Lebenssituationen und Ehrenamtliche zum gemeinsamen Singen zusammen. Der Chor singt heute im Hauptbahnhof (10.30 Uhr) sowie im Theaterhaus (15.30 Uhr), morgen im Hospitalhof (12 Uhr).

Franziska Bobe: Singen heißt für mich, Energie und Emotion zu geben und vor allem auch zu erleben. Es ist ein tolles Gefühl, die Energie der anderen Sänger zu spüren, wenn man gemeinsam im Ensemble singt. Man wird davon getragen und motiviert. Eine große Herausforderung ist für mich dabei auch, mit vielen individuellen Sängern ein gemeinsames, homogenes Klangergebnis zu erreichen, in dem zum Beispiel eine Stimmgruppe mit vielen Sängern so rein wie eine einzige Stimme singt, die Stimmen also verschmelzen. Wenn das gelingt, ist das ein absolutes Hochgefühl.

Die Sopranistin Franziska Bobe singt im Solistenensemble Stimmkunst der Stiftsmusik Stuttgart, einem professionellen Spitzenensemble, das seit 2011 in der Leitung von Kay Johannsen die Reihe Bach:vokal mitgestaltet. Stimmkunst gab gestern eines der Eröffnungskonzerte des Chorfests.

Sandra Stupar: Für mich ist das Singen in der serbischen Ethnomusik-Gruppe Gora eine Anknüpfung an meine Herkunft, ein Bewahren alter Traditionen. Ich bin zwar in Deutschland geboren, aber serbischer Abstammung, habe ein paar Schuljahre in Jugoslawien verbracht und bin dann nach Deutschland zurückgekehrt. Später bin ich mit meinem Mann von Hamburg nach Berlin gezogen und suchte dort zunächst einfach nur Kontakte. Die fand ich in der serbisch-orthodoxen Kirchengemeinde, und dort faszinierte mich der Kirchengesang. Das weckte dann auch mein Interesse an der originale serbischen Folklore, die ebenfalls a cappella gesungen wird. So kam es zur Gründung von Gora, zunächst als Duett, dann als Vokalensemble. Wir sind alle sehr gut integriert in Deutschland und bringen unsere eigenen musikalischen Traditionen ein. Das Wunderbare an dem Chorfest-Projekt „Heimatlieder aus Deutschland“ mit Immigranten aus vielen Ländern ist, dass wir mit der ganzen Vielfalt unserer Wurzeln und Hintergründe zusammen Musik machen können.

Gora tritt auf bei „Heimatlieder in Deutschland“ am kommenden Sonntag im Theaterhaus (20 Uhr). Neben der serbischen Ethnomusik-Gruppe sind Ensembles mit Musik aus 14 weiteren Ländern beteiligt.

Die Umfrage führten Thomas Kraz eisen und Martin Mezger durch.