Gott erkennen

Rezension von Benjamin Schmidt
24. Februar 2021 — 9 Min Lesedauer

Viele Bücher gelten als „Klassiker“, weil sie seit mehreren Jahrhunderten gelesen und immer wieder neu aufgelegt werden. J.I. Packers Buch Gott erkennen gilt als „Klassiker des christlichen Glaubens“ – so sagen es zumindest der Rückentext und zugleich viele andere evangelikale Christen. Und das, obwohl Gott erkennen vor nicht einmal 50 Jahren (1973) geschrieben wurde. Was macht das Buch also – wenn man den Urteilen dieser Leute trauen darf – zu einem „Klassiker“?

Warum Packer dieses Buch schrieb

Packer weist in seinem Vorwort darauf hin, dass es ihm beim Verfassen des Buches Gott erkennen nicht darum ging, eine Abhandlung über Gott zu schreiben. Vielmehr wollte er „eine Reihe kleiner Studien über große Themen“ zu einem großen Thema über Gott und über unser Leben zusammenzufassen (S. 9). Die meisten Abschnitte des Buches waren ursprünglich für eine Artikelreihe des Evangelical Magazine erschienen und wurden für die Buchausgabe noch einmal stark erweitert.

Gott erkennen richtet sich an Menschen, die ein Gespür für den herrschenden Mangel an der Kenntnis über Gottes Wesen (sowohl in Kirche und Gesellschaft als auch im persönlichen Leben) haben, die sich aber mit der Flucht in den Skeptizismus nicht abfinden wollen. Ein großer Vorteil von Gott erkennen ist, dass es sich nicht an Theologen, sondern an gewöhnliche „aufrichtige Leser“ richtete, weshalb die Sprache bewusst einfach gehalten wurde. Dennoch sollte man schon eine gewisse Wertschätzung für – oder zumindest keine Abneigung gegen – handfeste Bekenntnisse haben, wenn man dieses Buch mit Gewinn lesen will. Wer sich aber darauf einlässt, der wird ermutigende und vor allem tragfeste Antworten finden.

„Es ist nötig, Gott selbst zu kennen – ja, man muss von Gott selbst erkannt sein, damit alles Wissen über ihn Sinn und Zweck hat, und wir in ihm Erlösung, Erfüllung und Hoffnung finden können.“
 

Packer (er starb übrigens im Juli 2020, kurz vor seinem 94. Geburtstag) zeigt, dass bekenntnis- und schrifttreue Theologie nicht trocken und lebensfern ist. Er war im Gegenteil davon überzeugt, dass wahre Gotteserkenntnis zu einem veränderten Leben, Wesen und Handeln führt. Daher versuchte er auch, bei Gott erkennen theologisch-systematische Wahrheiten und praktische Ansätze miteinander zu verknüpfen. Sein Ziel war es, Menschen durch sein Buch zur Bekehrung zu führen und in ihrem Glauben zu stärken.

Gott kennen

Das Buch besteht aus drei Teilen. In Teil 1 („Erkenne den Herrn“) geht es Packer vor allem um die Grundlagen der Gotteserkenntnis. Im 1. Kapitel erläutert er die Bedeutung und den eigentlichen Zweck der Theologie, räumt mit falschen Vorstellungen auf und denkt über die Frage nach, was der Unterschied zwischen Wissen und Kennen ist, die er dann in Kapitel 2 beantwortet. Im 2. und 3. Kapitel macht Packer deutlich, dass viel über Gott zu wissen niemals ausreicht und uns in den schweren Herausforderungen des Lebens keinen Halt geben wird. Es ist nötig, Gott selbst zu kennen – ja, man muss von Gott selbst erkannt sein, damit alles Wissen über ihn Sinn und Zweck hat, und wir in ihm Erlösung, Erfüllung und Hoffnung finden können. Die Kapitel 4 bis 6 handeln von Gottes Wesen – davon, wie er sich offenbart hat und was wir von Ihm erkennen können und müssen. Er ist der einzig wahre Gott (Kap. 4) – ein Kapitel in dem Packer eine der interessantesten Darlegungen über Götzendienst geschrieben hat, die ich bisher gelesen habe –; der wahre und ewige Gott wurde Mensch (Kap. 5), um zu sterben. Hier, in Kapitel 5, geht Packer intensiv auf das Evangelium ein, behandelt den Prolog des Johannesevangeliums (Joh 1,1–18) und erklärt, warum Christus arm werden und sich als Sohn Gottes selbst so sehr erniedrigen musste, um uns zu erlösen. In Kapitel 6, „Er wird Zeugnis geben“, spricht Packer von drei primären Aufgaben des Heiligen Geistes, ohne den wir

  1. kein Evangelium und keine schriftlichen Zeugnisse von Jesu Wesen und Handeln hätten,
  2. kein Glaube, keine Wiedergeburt und
  3. keine Evangelisation möglich wären.

Bei diesen Punkten greift Packer entscheidende christliche Lehren auf, die heute vielfach angezweifelt und abgelehnt werden. Packer führt den Leser tief in die Bibel und legt dar, dass die göttliche Inspiration und Irrtumslosigkeit der Schrift und Gottes souveränes Wirken in der Erlösung wundervolle göttliche Wahrheiten sind, die zur Anbetung führen, wenn Gott wahrhaftig erkannt wird.

Wie ist Gott?

Teil 2 „Siehe, dein Gott“ ist der systematischere Teil des Buches. Hier beschäftigt sich Packer mit den „unmittelbaren“ und „mittelbaren“ Eigenschaften Gottes (also Eigenschaften, die er exklusiv innehat und solchen, die er uns Menschen „vermittelt“ oder „übertragen“ hat). Packer hat sich hierbei auf elf Eigenschaften beschränkt und beginnt mit den unmittelbaren Eigenschaften Gottes.

Kapitel 7, „Der unveränderliche Gott“ ist besonders für die heutige Zeit relevant, in der die Gemeinde starken Einflüssen relativistischer Sichtweisen ausgesetzt ist. Bei „Die Majestät Gottes“ (Kap. 8) kommt Packer zum – seiner Ansicht nach – wahren Kern der Gotteserkenntnis. Er ist davon überzeugt, dass „genau diese Erkenntnis … den meisten Christen heutzutage fehlt – und das ist auch einer der Gründe, weshalb unser Glaube häufig so schwach und unsere Anbetung so kraftlos ist.“ (S. 96).

In den Kapiteln 9–11 geht es um Gottes Weisheit und Selbstoffenbarung. „Der allein weise Gott“ ist ein besonders empfehlenswertes Kapitel (Kap. 9), in dem Packer zuerst die menschliche Weisheit der göttlichen gegenüberstellt, um dann zu zeigen, dass Gottes Weisheit so viel höher ist als unsere Vorstellungen und Erwartungen – dass sie uns auch oft verwirrt. Packer macht deutlich: Wer Gott wahrhaftig erkannt hat und ihm vertraut, der wird durch die Erkenntnis der überragenden Weisheit Gottes zwar gedemütigt, aber er wird lernen, dies in Freude und Dankbarkeit anzunehmen. In Kapitel 10, „Gottes Weisheit und die menschliche Weisheit“ geht Packer zu den mittelbaren Eigenschaften über und macht deutlich, dass der Mensch abhängig von der Weisheit Gottes und von Gott, dem Weisheitsgeber ist. Er nennt zwei unverzichtbare Quellen, über die Gott uns wahre Weisheit schenkt: die Gottesfurcht und das Wort Gottes. Allerdings warnt er entschieden vor einer realitätsfernen, überfrommen Vorstellung von Weisheit, so als hätten Christen den vollen Zugang zu aller Weisheit und Erkenntnis. Er schreibt:

„Es ist nicht nur so, dass Weisheit etwas völlig anderes ist, als die Fähigkeit, Gott über die Schulter schauen zu können – wahre Weisheit setzt vielmehr voraus, dass wir uns unserer Unfähigkeit bewusst sind, Gottes Verstand zu erforschen.“ (S. 122).

Den Abschluss dieses Exkurses über die Weisheit bildet das Kapitel „Dein Wort ist Wahrheit“ (Kap. 11). Hier geht Packer neben der Macht des Wortes Gottes, durch das alles erschaffen ist, auch noch einmal intensiv auf die Bedeutung der Bibel als zuverlässiges und inspiriertes Wort Gottes ein; darauf, wie wichtig das Hören auf und das Befolgen des Wortes Gottes ist. Packer macht dieses Kapitel zugleich aber auch zu einer entschiedenen Mahnung an seine Leser, die eigenen Maßstäbe und Lebenswege an Gottes Wort zu prüfen.

„Ohne Zweifel ist es Packers größtes Anliegen, dass die Leser nicht vieles über Gott erfahren, sondern dass sie Gott verehren!“
 

Die Kapitel 12 und 13 („Die Liebe Gottes“ u. „Die Gnade Gottes“) stellen infrage, was heute oft vorausgesetzt wird: dass Gott uns lieben und uns gnädig sein muss. Packer gibt Gottes überwältigender Liebe den richtigen Platz, in Zusammenhang mit seiner souveränen Gnade, und macht sie dadurch noch größer als es die verkürzte Botschaft „Gott liebt dich“ zu tun vermag – indem er deutlich macht, dass beides nur durch den höchstmöglichen Preis des Opfers Jesu bezahlt und ermöglicht wurde. Die folgenden Kapitel (14–17), wo von Gott, dem Richter, dem Zorn Gottes, der Güte und der Strenge Gottes wie auch seiner Eifersucht die Rede ist, ergänzen dies. Hier wird uns der biblische Gott in seinem ganzen Wesen klar und umfassend dargelegt. Packers Buch hilft dem Leser tatsächlich dabei, Gott näher zu kommen, Gott kennen zu lernen, so wie Gott sich offenbart und gekannt und erkannt werden will.

Das Evangelium ist Ausdruck des Wesens Gottes

Teil 3 – „Gott ist für uns“ – richtet sich abschließend an Gläubige. Hier kommt Packer (in Kap. 18) noch einmal auf das „Zentrum des Evangeliums“ zu sprechen – sozusagen um dem Leser deutlich zu machen, was der Kern des bisher Gesagten ist: das Sühnewerk Christi, in allen Feinheiten, und die geforderte Reaktion des Menschen auf dieses Opfer Gottes! „Die Kinder Gottes“ (Kap. 19) gehört zu meinen Lieblingskapiteln. Die darin enthaltene Darlegung der Adoption – der Annahme als Kinder Gottes an Christi Statt – ist beispiellos gut! Die Kapitel 20–22 sind ein wohltuender Abschluss in seelsorgerlichem Ton. Hier wendet sich Packer persönlich dem Leser zu, als würde er, wie ein Lehrer seinem Schüler, beibringen wollen, wie Gott die Gläubigen führt und wie Sein Wille zu erkennen ist (Kap. 20), woran gute und schlechte Verkündigung zu erkennen ist und wie man seinen Glauben richtig ernähren kann (Kap. 21 – „Die inneren Prüfungen“) und abschließend, dass die Gesamtsumme aller Gotteserkenntnis, allen Lernens über ihn, die Freude an seiner Herrlichkeit ist. Und das war ohne Zweifel auch Packers größtes Anliegen mit Gott erkennen, dass seine Leser nicht vieles über Gott erfahren, sondern dass sie Gott verehren!

Gott erkennen ist in über dreizehn Sprachen weltweit erschienen, mit einer Gesamtauflagenhöhe von über 1,5 Mio. verkauften Büchern. Die deutsche Übersetzung des Buches wurde als Hardcover-Version mit Studienführer vom Herold-Verlag veröffentlicht. Ich persönlich empfehle das Buch jedem, der ernsthaft etwas über den biblischen Gott erfahren möchte. Eine gewisse Grundkenntnis in biblischen und theologischen Fachkenntnissen sollte vorhanden sein, ist aber nicht zwingend notwendig. Gott erkennen ist im Bereich der christlichen Literatur zu Recht ein „Klassiker“ in dem Sinne, dass es schwer sein wird, die Bedeutung, den Wert und das, was das Buch über Gott zu sagen hat, zu toppen!

Buch

James I. Packer, Gott erkennenLeun: Herold 2019, 367 Seiten, 14,90 €.

Benjamin Schmidt ist Leiter des Herold Verlags. Er ist in der Immanuel-Gemeinde Wetzlar in der Kinderarbeit tätig. Benjamin ist verheiratet mit Hanna und gemeinsam haben sie drei Kinder.



Bildrechte: Herold Verlag