Trotz Krieg: Bei der Austria rollt der Gazprom-Rubel - FALTER.morgen #354

Versendet am 28.06.2022

Während der Kreml dem Westen das Gas abdreht, nimmt die Wiener Austria weiterhin Geld von Russlands Energiegiganten Gazprom >> Warum eine Siebtklässlerin mit Ende des Schuljahres das Land verlassen muss – und auch zur Matura nicht zurückkehren darf >> Vogel der Woche, Spezialausgabe: Die Nachtigall

Wetterkritik: Heiß. Aber nicht mehr ganz so heiß wie gestern. Dafür morgen wieder heißer als heute.


Guten Morgen,

Über die angespannte wirtschaftliche Lage der Wiener Austria habe ich an dieser Stelle schon öfters geschrieben. Sie erinnern sich vielleicht: Der Traditionsverein war schon vor Corona gewaltig in Schieflage geraten. Ein Großsponsor war ausgefallen, beim Bau des neuen Stadions hat man sich ein wenig verhoben. Anfang 2021 haben sie am Verteilerkreis geglaubt, dass die Rettung den Namen „Insignia“ trägt. So heißt die obskure Unternehmensgruppe des georgischen Geschäftsmannes Michael Surguladze. Der versprach der Austria sieben Millionen Euro. Blöd nur: Das vertraglich zugesicherte Geld ist nie geflossen. 

Wie es mit Fußballclub wirtschaftlich weitergeht, erzähle ich Ihnen weiter unten. Vorweg nur so viel: An die sieben Millionen Euro von Insignia glaubt am Verteilerkreis offenbar niemand mehr. Im Jahresabschluss heißt es dazu: „Sämtliche Forderungen wurden im Geschäftsjahr 2020/21 wertberichtigt.“ Jetzt ruht die Hoffnung des Vereins auf seinen Sponsoren – und einer der größten davon ist ausgerechnet der russische Gasgigant Gazprom.

Außerdem: Soraya Pechtl rollt den Fall der der Siebtklässlerin Ajla O. auf: Die junge Frau würde kommendes Jahr eigentlich in Österreich maturieren – muss jetzt aber das Land wegen eines Vergehens, das ihr Vater begangen hat, das Land verlassen und darf drei Jahre nicht mehr zurückkehren. Und Vogelwart Klaus Nüchtern widmet sich diesmal der Königin derMärchen und Mythen – der Nachtigall. Weil es über sie so viel zu erzählen gibt, hat er auch so viel geschrieben, dass wir den Vogel der Woche diesmal ausnahmsweise als Mini-Serie bringen. Heute erster Teil, morgen Forstsetzung.

Einen schönen Tag wünscht Ihnen

Josef Redl


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Ganz Wien braucht neue Hierarchien

Klimakrise und alles wird teurer: Damit das Leben in Wien leistbar und lebenswert bleibt, muss sich etwas ändern. Zu lange wurden Machterhalt und Gier über das Wohl von Mensch, Tier und Umwelt gestellt. Es wird Zeit für eine neue Ordnung. Es wird Zeit, die Prioritäten zu ändern!

wien.gruene.at

Gazprom-Abhängigkeit

Während der Kreml dem Westen das Gas abdreht, pflegt die Wiener Austria immer noch „eine sehr professionelle Geschäftsbeziehung" mit dem russischen Energieriesen Gazprom – und muss auf Geld von dort hoffen.

Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: Vor wenigen Tagen hat die FK Austria Wien AG den Jahresabschluss für das Vorjahr veröffentlicht. Ich hab ihn mir angesehen und die Lage ist eher trist: Mit Stichtag 30. Juni 2021 steht ein Bilanzverlust von 36,98 Millionen Euro in den Büchern. 7,2 Millionen Euro Verlust sind im Geschäftsjahr 20/21 angefallen, 29,75 Millionen schleppt man schon aus dem Jahr davor mit. Die Verbindlichkeiten liegen bei 73,1 Millionen Euro.

Hoffen auf Gazprom: Die Austria beim Trainingsauftakt vor wenigen Tagen © APA/Georg Hochmuth

Jetzt werden Sie wahrscheinlich sagen: 30. Juni 2021, das ist ja schon ein ganzes Jahr her, was ist in der Zwischenzeit passiert? Eine ganze Menge! Die Austria hat sich Investoren gesucht, die ein bisschen flüssiger sind als die Georgier. Der Verein hat 40 Prozent seiner Anteile an der FK Austria Wien AG – diese Gesellschaft ist für den Profifußball-Betrieb der Austria zuständig – an eine Gruppe von Geschäftsleuten rund um den ehemaligen Spielerberater Jürgen Werner abgetreten und dafür zehn Millionen Euro bekommen. 

Wie aus dem eben gerade veröffentlichten Jahresabschluss hervorgeht, wird die Austria demnächst noch ein Aktienpaket an die Investorengruppe verkaufen. „Eine weitere Transaktion über 2.500.000,- (9,99% der Anteile an der FK Austria Wien AG) ist als Option im Syndikatsvertrag fixiert und im Juli 2022 berücksichtigt“, heißt es da. Damit behält der Verein mit 50,01 Prozent der Aktien die Mehrheit an der FK Austria Wien AG. Die Einnahmen von insgesamt 12,5 Millionen fließen als Zuschuss direkt wieder in die sanierungsbedürftige AG.

Ob das reichen wird? Die Austria sitzt auf Verbindlichkeiten von mehr als 70 Millionen Euro, den Großteil hat sich der Verein bei der Bank Austria für den Bau der Generali Arena ausgeborgt. Aber auch bei dem auf Fußballvereine spezialisierten Risikofinanzierer Quattrex steht die Austria in der Kreide. Beide haben die Tilgung der Kreditraten zuletzt gestundet - bis Juli 2022. „Darüber hinaus hat die Gesellschaft Abgabenstundungen in Höhe von EUR 6.035.943,13 in Anspruch genommen“, heißt es im Jahresabschluss zum 30. Juni 2021. Auch bei der Finanz sind also Rückzahlungen fällig.  

Angesichts dieser Zahlen kann die Austria bei den Einnahmen offenbar nicht wählerisch sein. Einer der größten Sponsoren des Vereines ist ausgerechnet der russische Gaskonzern Gazprom. Das Geld aus Russland – kolportiert werden rund fünf Millionen Euro pro Jahr – wird laut Geschäftsbericht auch bis zum Vertragsende im Sommer 2023 gerne genommen: „Aktuell befindet man sich im regen Austausch mit Gazprom, um an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten. FK Austria Wien und Gazprom pflegen seit Jahren eine sehr professionelle Geschäftsbeziehung und haben trotz der außerordentlich schweren Situation eine gute Gesprächsbasis. Vor diesem Hintergrund geht man aktuell davon aus, dass der auch für die Saison 2022/23 noch rechtsgültig vorliegende Vertrag erfüllt wird.” 

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Coole Kaffeemomente mit Jura

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Stadtnachrichten

Für Kriegsvertriebene aus der Ukraine gibt es zusätzliche Job-Chancen: Die Stadt schafft Arbeitsplätze in Kindergärten. Voraussetzung ist, dass die Geflüchteten Erfahrung in diesem Bereich haben. Zudem werden auch eigene Sprachkurse veranstaltet. Die Lehrgänge, die gemeinsam mit dem Arbeitsmarktservice Wien, dem Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerförderungsfonds (waff) sowie den Kinderfreunden organisiert werden, beginnen im Juli und dauern bis Anfang Dezember.


Ab diesen Freitag fährt die Buslinie 42A eine Schleife nach Gersthof. Bezirksvorsteherin Silvia Nossek (Grüne) sieht darin eine Verbesserung für die Bewohner des Schafbergs: „Der Weg vom Schafberg zum Einkaufen und Umsteigen in Gersthof wird damit wesentlich leichter, und umgekehrt auch der sommerliche Weg ins Schafbergbad", sagt sie.

Die neuen Haltestellen befindet sich unter der S45-Brücke bei der Währinger Straße und in der Kreuzgasse bei der 9er-Haltesetlle.

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Falter Radio

Der große Rückschritt – Abtreibung in Amerika

Warum die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zu einem Generalangriff gegen die Rechte der Frauen wird und wie erzkonservative Trumpisten die USA verändern: In der aktuellen Folge unseres Podcasts debattieren bei Raimund Löw dazu der US-Historiker Mitchell Ash und die ehemalige österreichische Botschafterin in den Vereinigten Staaten Eva Nowotny.


Stadtgeschichten

Verhinderte Reifeprüfung

Eigentlich würde die Siebtklässlerin Ajla O. kommendes Jahr in Österreich die Matura machen. Aber jetzt muss sie Ende Juni das Land verlassen – und darf drei Jahre nicht mehr zurückkommen.  

Die 19-Jährige Ajla lebt seit sechs Jahren in Österreich, besucht die 7D des Oberstufenrealgymnasiums Anton-Krieger-Gasse, ist eine Musterschülerin und hätte im Sommer 2023 maturieren sollen. Aber in wenigen Tagen wird die gebürtige Serbin das Land verlassen. Denn gegen Ajla liegt eine Rückkehrentscheidung vor. Bis Ende Juni hat sie Zeit, freiwillig zu gehen. Dass sie zu Schulbeginn im Herbst zurückkommt, ist unwahrscheinlich.

Ajlas Mitschülerinnen fordern die Abschiebung zu stoppen © FALTER/Pechtl

Rückblick: Den ersten Abschiebebescheid erhielt die gebürtige Serbin im vergangenen Oktober (wir haben berichtet). Der Grund? Ihr Vater hatte das Aufenthaltsrecht für sich und seine Familie mit einer Scheinehe erschwindelt. Ajla, ihren Geschwistern und ihren Eltern wurde das Bleiberecht aberkannt. Bis Dezember 2021 sollte die Schülerin ausreisen, hieß es im Bescheid vom Oktober. Das Schuljahr hätte sie nicht abschließen können. Aber es kam anders. 

Ihre Mitschülerinnen protestierten gegen Ajlas drohende Abschiebung, die Medien berichteten über den Fall und SOS-Mitmensch startete eine Online-Petition

Hinter vorgehaltener Hand war dann aus dem Innenministerium zu hören, man werde die Schülerin nicht vor Ende Jänner des Landes verwiesen. Aber auch in den Semesterferien kamen keine Polizisten. Die Ausreise-Entscheidung wurde schließlich bis zum Ende des Schuljahres aufgeschoben. 

Das wäre unangenehm, aber noch halb so wild. Denn Ajla könnte nach ihrer Ausreise ein Schülervisum beantragen, im Herbst wieder nach Wien zurückkommen und die Matura nachholen. Aber genau hier liegt das Problem: Denn das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat ein dreijähriges Einreiseverbot über die 19-Jährige verhängt. Die Behörden glauben nicht, dass sie ihr Leben in Österreich finanzieren kann. 

Der Anwalt der Familie kann das nicht nachvollziehen: „Dass ein Kind nach Entzug des Aufenthaltsrechtes wegen Aufenthaltsehe des Vaters auch ein Einreiseverbot wegen Mittellosigkeit bekommt, habe ich in meiner 25-jährigen Karriere im Fremdenrecht in Wien noch nie erlebt. Hätte man nur eine Rückkehrentscheidung erlassen, könnte sie zumindest eine Schüleraufenthaltsbewilligung beantragen, damit sie die Schule in Wien fertig machen kann”, sagte er bereits im Dezember zum FALTER.morgen.

Auch Fremdenrechtsanwalt Wilfried Embacher, die ehemalige Höchstrichterin Irmgard Griss und Bildungsexperten kritisieren, die Entscheidung. In einem Appell fordert SOS-Mitmensch ÖVP-Innenminister Gerhard Karner auf, der jungen Frau ein Bleiberecht bis zur Matura zu gewähren. 

Laut Ö1 kann Ajla die Aufhebung des Einreiseverbots aber nur beantragen, wenn sie fristgerecht ausreist.


Frage Des Tages

Welche der folgenden Zutaten sind an einem gutsortierten Wiener Würstelstand nicht zu haben?

1) Krokodil

2) Kinderschas

3) Kanaldeckel

Auflösung von gestern: Wien verfügte Ende des 18. Jahrhunderts als erste Stadt Europas über ein flächendeckend ausgebautes Kanalnetz (und nicht über eine gasbetriebene Straßenbeleuchtung oder über eine zentrale Wasserversorgung).


Event Des Tages

Lisa Kiss

Performance

Hinter dem Titel „Raw ­Matters“ steckt ein ungeschliffener Abend, bei dem Performerinnen und Performer, Tänzerinnen und Tänzer neue Arbeiten im geschützten Rahmen ausprobieren: Das Format wurde 2010 mit dem Ziel gegründet, Künstlerinnen und Künstlern aus den Bereichen Tanz und Performancekunst eine Möglichkeit zu bieten, ihre Ideen sowie ihre Arbeitsprozesse vor und mit dem Publikum zu teilen. Mit inkludiert in der freien Spende ist immer auch das Buffet. Zum Saisonende gibt es das Format gleich als zweitägiges Festival. (Sara Schausberger)

TheaterArche, 19.00


Kinderbuch

Cornelia Franz: Swing High

Darf man in Kriegszeiten sein Leben genießen? Das fragt sich der 15-jährige Henri im August 1939. Seine Freunde und er sind Fans von Louis Armstrong und den Mills Brothers und sie tanzen für ihr Leben gern Swing - mittlerweile auch, um den Nazis eine lange Nase zu drehen.

Den strammen Jungs von der Hitlerjugend sind die Bürgerkinder, die wie Henri nach England auf Urlaub fahren, Plattenspieler besitzen und Partys in den Villen ihrer Eltern feiern, mit ihrem „undeutschen Tun" tatsächlich ein Dorn im Auge. Sie lauern ihnen auf, verprügeln und verpfeifen sie. Dann beginnt der Krieg, Hanna und Edu, die Juden sind, müssen fliehen, andere werden eingezogen und verwundet oder desertieren, wie der Bruder von Inge, Henris erster Freundin.

Auf der zweiten Handlungsebene sitzt Henri mit dem Kommunisten und Arbeitersohn Robby im März 1941 in Gestapo-Haft. Ihre Gespräche bieten Anlass zu reflektieren, was politischer Widerstand genau bedeutet. Ja, gibt Robby am Schluss zu, auch Tanzen oder eine Protestaktion am Bahnhof, wo eine fiktive Delegation den „Feind", nämlich Engländer, empfängt, könne eine Form des Widerstands sein. Ihr setzt dieser spannende Roman ein Denkmal. (Kirstin Breitenfellner)

Die gesamte Rezension und mehr über das Buch unter faltershop.at


Vogel Der Woche

Klaus Nüchtern

Königin der Märchen und Mythen:

Die Nachtigall (Teil 1)

Habe ich mich neulich kurz gehalten, so werde ich mir diesmal etwas mehr Zeit nehmen. Ich kann das auch begründen. Zum einen damit, dass es über die Nachtigall halt doch sehr viel mehr zu sagen gibt als über den Zistensänger; vor allem aber damit, dass sich Silke Kipper auch viel Zeit genommen hat und eigens aus der brandenburgischen Provinz nach Berlin angereist ist, um mit mir am Abend durch den Treptower Park zu spazieren.

„Zielscheibe von klagenden Liebenden, Theaterschreibern, Romantikern, Erzählern, Dichtern und Dichterlingen und Lügnern vieler anderer Professionen“: Die Nachtigall © FALTER/Nüchtern

Der Anlass für das Treffen war Kippers wunderbares Buch „Die Nachtigall. Ein legendärer Vogel uns sein Gesang“, das rechtzeitig zur Rückkehr der Nachtigallen aus ihren Winterquartieren in Afrika erschienen ist. Jetzt, Mitte Juni sei es freilich gar nicht mehr so sicher, ob wir den klassischen Nachtgesang der Nachtigall überhaupt zu hören bekommen würden, dämpft Kipper etwaige überenthusiastische Erwartungen des Besuchers aus Wien. Sind die Küken erst einmal aus dem Nest, huschen sie noch etwa eine Woche mit den Eltern durchs Kraut, die über Rufe Kontakt halten. Sobald die Jungen zu fliegen und selbständig nach Nahrung zu suchen beginnen, wird das Territorium aufgelöst und der Gesang eingestellt.  

Beim Betreten des Parks sind jedenfalls schon mal Warnrufe zu hören. Oder sagen wir so: Silke Kipper hört sie. Der Grund seien die Habichte, die hier nisten. Mit seinen 882.000 Quadratmeter ist der in den 1870er- und 1880ern errichtete Treptower Park zwischen Spree und Bundesstraße 96a („Am Treptower Park“) fast um die Hälfte größer als der Donaupark. Dass er gerade „re-historisiert“, sprich, der Durchwegungsstruktur angepasst wird, die er während der Weltausstellung im Jahr 1879 hatte, ist Kipper, die hier zwanzig Jahre lang Nachtigallenforschung betrieben hat, gar nicht recht. Gerade Kanten oder sauber gemähte Wiesen sind nämlich nicht der Nachtigall ihr Ding. Die hat es gerne unordentlich, mit nicht zu knapp krautigem Unterwuchs und vorzugsweise einem ordentlichen Brennnesselteppich davor.

Nachtigallen sind ausgesprochen standorttreu. Das Forscherteam hat den einzelnen Territorien im Treptower Park – insgesamt sind es 25 bis 30 – Namen wie „Peking“, „Manila“ oder „Idyll“ gegeben. Wenn alles passt, also so bleibt, wie es auch schon im Vorjahr und im Jahr davor war, kehren die Nachtigallen in ihren angestammten Kiez zurück: Nachtigall Peking nach Peking, Nachtigall Idyll nach Idyll. Werden dort allerdings auch nur geringere Flurbereinigungsarbeiten vorgenommen, wird das Territorium aufgegeben.

Über die Nachtigall schrieb der englische Naturkundler James Bolton im Jahr 1794: „[B]is heute war und ist dieser arme Vogel Zielscheibe von klagenden Liebenden, Theaterschreibern, Romantikern, Erzählern, Dichtern und Dichterlingen und Lügnern vieler anderer Professionen.“ Kipper zitiert Bolten in ihrem Buch – und gibt ihm recht. Was an Legenden, Mythen und Märchen um diesen Vogel gewoben wurden, den man oft hört, aber sehr selten zu Gesicht bekommt, hat mit der Realität meist wenig bis gar nichts zu tun. Schon ihr berühmtester literarischer Auftritt ist eigentlich Unsinn, weil die Nachtigall zwar auch, aber keineswegs nur in der Nacht sind; und wer ihren Gesang mit dem der Feldlerche verwechselt, ist entweder ein Schweinsohr oder schwer verliebt.

All die literatur-, kunst- oder musikhistorischen Nachtigallenreferenzen kommen auch in Kippers Buch vor. Vornehmlich aber ist die Biologin, die an der FU Berlin über die Bioakustik des menschlichen Lachens promoviert hat, an exakten Messergebnissen interessiert. Und davon gibt es reichlich. Kaum ein Tier ist bioakustisch so ausgiebig erforscht worden wie die Nachtigall. Wobei es keines sonderlich komplexen Forschungsdesigns bedarf, um festzustellen, dass der Gesang der Nachtigall verdammt laut ist: Mit 70 bis 95 Dezibel erreicht der Gesang der Nachtigall etwa die Lautstärke von Staubsauger, Saxofon oder Ehestreit. Lässt sich jemand ganz hingerissen über den Nachtigallengesang im eigenen Garten aus, dann sitzt die Nachtigall garantiert im hintersten Winkel, wie Kipper weiß. Hat man sie hingegen direkt vor dem eigenen Schlafzimmer, kann man das mit dem Schlaf und dem offenen Fenster gleich wieder vergessen … 

Fortsetzung morgen

Übrigens: Klaus Nüchtern zwitschert als @ClousInTheSky auf Twitter.


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