Arnold Schönberg & Karl Kraus :
Sie teilten einen Zug zur Unerbittlichkeit

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Der Komponist, der auch ein Maler war: Arnold Schönbergs „Hass“, Öl auf Sperrholz, 1910
Zwei Unbeugsame, die ihre Epoche maßgeblich beeinflussten: Eine fesselnde Wiener Ausstellung erinnert an die Verbindung von Arnold Schönberg und Karl Kraus.

Kennengelernt haben sie einander mit Anfang zwanzig, im Café Griensteidl, wo Karl Kraus Hof hielt. Zu ihm vorgelassen zu werden, kam höchsten Weihen gleich. Vermittelt hat die Begegnung Alexander Zemlinsky, der Lehrer und spätere Schwager Arnold Schönbergs. Das war ums Jahr 1895. Schönberg, der gerade sein erstes Streichquartett komponiert hatte, habe wie ein Pierrot ausgesehen und mit Paradoxen um sich geworfen, erinnerte sich der Kritiker Max Graf.

Schönberg bewunderte den gleichaltrigen Publizisten. „Ich habe durch Sie schreiben, ja fast Denken gelernt“, ist nur eine seiner vielen Demutsgesten. Kraus wehrt immer wieder ab, wenn Schönberg versucht, ihm persönlich näher zu kommen. Auch dessen Ansinnen, die „Fackel“ als Publikationsorgan für sich zu erobern, scheitert zunächst. Den Abdruck von Schönbergs aphoristischen Gehversuchen lehnt Kraus rundheraus ab. Die Stimmung in Wien jener Jahre ist aufgeheizt. 1899 wird der junge Komponist Augenzeuge, wie der von Kraus heftig angegangene Journalist Oscar Friedmann sich rächt und Kraus im Café Imperial verprügelt. Schönberg sagt dann als Zeuge vor Gericht für Kraus aus.

Beider Startbedingungen waren unterschiedlich: Kraus war Sohn eines böhmischen Unternehmers und Papierfabrikanten, Schönbergs Vater war ein dem Sozialismus zuneigender Schuhmacher. Im Abstand von vier Monaten anno 1874 in Wien geboren, wurden die beiden niemals Freunde, sondern wahrten stets eine Distanz, die sich erkennbar mehr dem Zögern von Kraus herleitete. Immer wieder schlug der Herausgeber der „Fackel“ Einladungen zu Konzerten aus, kaprizierte sich auf seine angebliche Unmusikalität – was Schönberg partout nicht einleuchten wollte: „Ich halte Sie für eminent musikalisch.“

Ein Zug zur Unerbittlichkeit

Tatsächlich bewies Kraus als Vortragskünstler im Rahmen seiner siebenhundert Vorlesungen, über welch großen Modulationsreichtum seine Stimme verfügte. Schönberg war, wie seine Schüler Alban Berg und Anton von Webern, wie Canetti, Torberg und andere, davon sehr beeindruckt. 1912 zog er mit der Komposition „Pierrot lunaire op. 21“ für Sprechstimme und Kammerensem­ble vor Kraus den Hut. Der aber blieb bei seiner Zuneigung für schöne Melodien – als Propagandist der Operetten von Jacques Offenbach.

Arnold Schönberg, Porträtaufnahme aus dem Jahr 1907
Arnold Schönberg, Porträtaufnahme aus dem Jahr 1907Arnold Schönberg Center, Wien

Rezeptionsgeschichtlich hat Schönberg dagegen die Nase vorn. Als Kraus 1936 stirbt, lebt Schönberg bereits im amerikanischen Exil und wird als Weltstar hofiert – als er in New York von Bord geht, begrüßt ihn die Schlagzeile „The Enigma Of Modern Music Arrives“. Ein solcher Ruhm blieb Kraus nicht nur zu Lebzeiten, sondern im Grunde bis heute verwehrt. Er ist trotz seiner 22.578 „Fackel“-Seiten noch immer eher ein Gerücht als ein wirklich gelesener Autor, daran vermochte auch Jonathan Franzens vor zehn Jahren abgelieferte Verbeugung nicht viel zu ändern.

Beide waren sich ähnlich in ihrer Radikalität, beide einte, wie der Komponist Ernst Krenek befand, ein „Zug zur Unerbittlichkeit und Intransigenz“. ­Anbiederung war nicht im Programm. Beide waren Juden, bei konvertieren. Schönberg zum Protestantismus, Kraus 1911 zum Katholizismus, 1922 tritt er aus der Kirche aus. Schönberg kehrt nach seiner Flucht aus Wien in Paris zum Judentum zurück. Der Komponist hatte mit zwei Frauen fünf Kinder: Zehn Monate nach dem Tod seiner ­ersten Frau Mathilde und ein Jahr vor seinem Fünfzigsten heiratet er die ­sechzehn Jahre jüngere Gertrud Kolisch aus Karlsbad, laut Heiratsurkunde „ohne Beruf“, später Librettistin von Schönbergs Oper „Von heute auf morgen“. Kraus blieb zeitlebens unglücklich verliebt in die böhmische Baronin Sidonie Nádherná von Borutín. Schönberg floh vor den Nazis, Kraus blieb in Wien, er starb keine zwei Jahre vor dem „Anschluss“.

Lernte Schönberg 1895 im Café Griensteidl kennen: der Publizist Karl Kraus, aufgenommen anno 1908
Lernte Schönberg 1895 im Café Griensteidl kennen: der Publizist Karl Kraus, aufgenommen anno 1908Atelier d’Ora Österreichische Nationalbibliothek, Wien

Die Ausstellung im Arnold Schönberg Center am Schwarzenbergplatz, das von einer Privatstiftung der Gemeinde Wien und der Internationalen Schönberg-Gesellschaft getragen wird, ist der Auftakt zum Schönberg-Jahr, das in Wien mit vielen Konzerten, Seminaren, einem Virtual-Reality-Theater und Schwerpunkten beim Festival Wien modern im Herbst gefeiert wird. Der ORF hat für September eine Dokumentation mit neuem Material angekündigt, Dominique Horwitz wird den Komponisten verkörpern. Es wird sich zeigen, ob die Zwölftonmusik mittlerweile ihren Schrecken für ein breites Publikum verloren hat.

Das Schönberg Center verwahrt und erforscht den Nachlass des Komponisten, dazu gehört auch die Rekonstruktion des amerikanischen Arbeitszimmers. In den großzügigen Räumen herrscht eine Stimmung wie in einer ­Fakultätsbibliothek. An den Wänden Bilder von Schönberg und Kokoschka, Porträt-Fotografien sowie die beiden Totenmasken. Auf einem langen, zu einem doppelten Y ausgezogenen Tisch stehen Vitrinen mit Fotos, Programmzetteln, handschriftlichen Notizen und Briefen, Notenblättern, dazu Hörstationen und an der Wand ein reich bebilderte Zeittafel zur Biographie Schönbergs. Die von Therese Muxeneder kuratierte Ausstellung führt mit 115 Exponaten und einer Begleitbroschüre, welche die Handschriften aufschlüsselt, in die Wiener Moderne um 1900.

Abrechnung mit dem Nationalsozialismus

In die Zeit, in der Adolf Loos die Architektur vom Ornament befreien will und Kraus der Verkommenheit der Presse mit seiner von 1911 an allein geschriebenen Zeitschrift „Die Fackel“ zu Leibe rückte. In diesen Kosmos, zu dem auch Oskar Kokoschka sowie die Dichterin und Frauenrechtlerin Marie Pappenheim gehören, fügt sich Schönberg mit seinem Absolutheitsanspruch und der Entwicklung zur Atonalität ein. Zu Vertiefung empfiehlt sich der Begleitband, der unter anderem den gesamten Schriftverkehr von Schönberg und Kraus dokumentiert und einordnet.

Eifriger Leser von Karl Kraus: Ausgaben der „Fackel“, die sich in Schönbergs Nachlassbibliothek befinden
Eifriger Leser von Karl Kraus: Ausgaben der „Fackel“, die sich in Schönbergs Nachlassbibliothek befindenArnold Schönberg Center

Am Ende dieser klugen, in ihren Konzentriertheit fesselnden Ausstellung steht eine unheimliche Parallele. Kraus schreibt 1933 die „Dritte Walpurgisnacht“, eine dreihundertseitige Abrechnung mit dem Nationalsozialismus, die erst postum 1952 veröffentlicht wird. Über jenen könne man nicht mit den Mitteln der Satire verhandeln, befindet er. Der Text beginnt mit dem berühmten Satz, zu Hitler fiele ihm nichts ein. Schönberg veröffentlicht 1938 in Los Angeles sein „Four-Point Program for Jewry“, in dem er die verzweifelte Frage stellt, ob irgendwo auf der Welt Platz für fast sieben Millionen Menschen sei – ahnend, welchem Schicksal die Juden entgegengehen würden.

Eine Fotografie von Kraus’ Arbeitszimmer, die nach seinem Tod entstand, zeigt, dass dort ein Selbstporträt Schönbergs hing. Und im Arbeitszimmer des Komponisten in Los Angeles hing das von ihm gemalte Porträt „Satire“, das Karl Kraus zeigt. Die Kuratorin deutet dies als „Repräsentanz von Nähe auf Distanz“. Es war offenbar genau die richtige Entfernung, um Funken zu schlagen, die bis heute ein Feuer entfachen können.

Arnold Schönberg & Karl Kraus. Arnold Schönberg Center, Wien. Bis 10. Mai. Das empfehlenswerte Begleitbuch von Therese Muxeneder kostet 36 Euro.