TV-Film „Die Liebeskümmerer“ :
Den Kitsch lassen wir jetzt einmal weg

Von Heike Hupertz
Lesezeit: 3 Min.
Etwas entgeistert: Laurence Rupp und Rosalie Thomass
Romantische Komödien, die nicht ins Süßseichte abdriften, sind selten. Der Film „Die Liebeskümmerer“ mit Rosalie Thomass und Laurence Rupp ist so ein Glücksfall. Dahinter steckt eine kluge Produzentin.

Für Karl (Laurence Rupp) dauert Liebeskummer 4000 Gin Tonics. Beziehungen sind für ihn „Sex mit Frühstück“, seine Sehnsucht verbindet ihn mit seinem gelben „1970er-GT“, einem Modellautosammlerstück. Das findet er ausgerechnet in Marias (Rosalie Thomass) „Lass-Los-Box“ in der Berliner Beratungsagentur „Die Liebeskümmerer“ wieder und klaut es, bevor er seine Abrechnungsreportage zum Thema Liebesleid online stellt.

Karl ist, meint sein Redakteur Anton (Jerry Hoffmann) vom Magazin „Splash“, in den Neunzigern stecken geblieben, hat ein „verstaubtes Geschlechterbild“. „Awareness“ für Themen der Gen Z, Respekt, diskriminierungsfreie Sprache? Fehlanzeige. Das sieht Karl anders: „Die Leute lieben mich“, jedenfalls die Krawallbüchsen auf Social Media, außerdem: „Ich gender!“ Dass er wegen eines Artikels über Maria und ihre Lebenshilfe-Agentur freigestellt wird, findet Karl absurd, schließlich produziere er großartige Sätze. „Die moderne Matriarchatsmimose ist schneller in ihrer Nische zurück, als sie sexistische Kacksch**** sagen kann“, zum Beispiel. Maria sei eine „narzisstische Eiskönigin“ mit Scheinqualifikation, geschäftstüchtige Eigenvermarkterin, bei der Frauen erzählen dürfen, „dass Bernd ihre Mumu nicht mehr anmacht“. „Wen schlachten wir heute?“, fragt Karl den Redakteur bestens gelaunt, nachdem sein Artikel viral gegangen ist. „Sorry Karl, dich“.

Das RomCom-Genre hat schon bessere Zeiten erlebt. Man könnte glauben, es sei unmöglich geworden, Filme über roman­tische Liebe zu drehen, jedenfalls ohne Geschlechtsstereotypen zu zementieren. Der Klassiker: zwei Kratzbürsten, beinahe magnetische Abstoßung, unmögliche Situationen, in denen sich herausstellt, wie ähnlich sie sind, rosaroter Sonnenuntergang mit dem Versprechen, alles ganz anders zu machen, Schlussblende.

Variationen des Lebens und der Liebe

So hat das Genre funktioniert, bevor Rosamunde-Pilcher-Filme es sinnentleerten. Heutige romantische Komödien beziehen sich auf das Urmodell der Screwball-Comedy. Auch die Ufa-Produktion „Liebeskümmerer“ schließt hier an, mit Dialogwitz, Situationskomik, Tölpeleien und Lächerlichkeiten – auf allen Seiten. Und sie setzt bemerkenswerte Akzente. Für diese steht die Ufa-Produzentin Nataly Kudiabor mit ihrem Engagement für Diversität. 2020 hat die Ufa das inklusive Abbilden der Gesellschaft in ihre Selbstverpflichtung geschrieben, und sie setzt es um. Kudiabor wurde dafür mit dem Sonderpreis des Robert Geisendörfer-Preises, dem Medienpreis der evangelischen Kirche Deutschlands, ausgezeichnet.

Was in Produktionen wie der Serie „All You Need“ mit ausschließlich schwulen Protagonisten debattenlastig wirkte, ist in den verschiedenen Formen des Liebesfrustes und der Liebeslust, die „Die Liebeskümmerer“ zeigt, unterhaltsam leicht. Der für Netflix entstandene Film will nicht mehr sein, als das Genre benötigt. Es geht um den Lernprozess eines misogynen, sarkastischen aber letztlich liebenswerten Stoffels und den einer überlasteten und überprofessionellen Geschäftsfrau, der im Alltag als alleinerziehende Mutter der Freiheitskitzel abhanden gekommen ist. Rosalie Thomass und Laurence Rupp spielen ihren jeweiligen Wandel überzeugend. Der Film leistet aber mehr. Er stellt gesellschaftsinklusiv Variationen des Lebens und der Liebe dar und dekonstruiert mit Karls Männlichkeitsattitüde Klischees (Re­gie Shirel Peleg, Buch Antonia Rothe-Liermann und Malte Welding, Kamera Stephan Burchardt).

Dass Maria und Karl zunächst verbale Gefechtsstellung beziehen, ist klar. Karl bekommt den Job auf Bewährung zurück. Zur Strafe muss er an einer Liebeskummer-Bearbeitungs-Gruppenreise an der Küste teilnehmen. Die Leiden der Teilnehmer sind vielfältig. Zolt (Jakob Schreier) ist suizidgefährdet, Sibylle (Denise M’Baye) fürchtet, dass ihr mit Anfang vierzig die Felle wegschwimmen, Turgay (Özgür Karadeniz) will seine Verflossene zurück, Suzanne (Charleen Deetz) hat einen Anschwärm-Mechanismus. Karls neuen Artikel („Heulst Du noch oder malst Du schon?“) durchkreuzen Sonnenuntergänge und der wachsende Respekt für Maria. Beide scherzen über Kitsch. Jemand funkt dazwischen, gerade als Marias Tochter Hedi (Cora Trube) und Karl allerbeste Freunde werden.

Das Ende ist zwar vorhersehbar, die Umsetzung des Finales aber erfrischend. Dass jede und jeder nach ihrer und seiner Version glücklich werden kann, und dass manche sich zweimal überlegen sollten, was sie sich wünschen, wie bei Turgay, das zeigt der Film. Die Coachingagentur „Die Liebeskümmerer“ gibt es in Berlin seit 2011 tatsächlich. Elena-Katharina Sohn, die Gründerin, die hier als Beraterin agierte, bietet „professionelle Hilfe bei Kummer mit der Liebe“ an. Singles, Verlassene und Lover finden hier Ansprechpartner. Ei­gentlich aber geht es darum, mehr aus sich machen zu können, als einem bislang bewusst ist, und um ein erfülltes Leben, ei­nes zum Verlieben. So zeigt es auch „Die Liebeskümmerer“.

(Hinweis: Die Autorin ist Mitglied der Jury des Geisendörfer-Preises.)
Die Liebeskümmerer läuft bei Netflix.