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„Promi zu sein reicht nicht“

Von Michael Martens

05.09.2016 · Die preisgekrönte F.A.Z.–Kampagne „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ hat ein neues Motiv (siehe oben). Zeit, mit einem der Macher, Matthias Speatgens, Partner und Chief Creation Officer der Agentur Scholz & Friends, über die Berühmtheiten und deren Inszenierung zu reden – Tricks inklusive.

Herr Spaetgens, mit welchen Argumenten kann man den Präsidenten der Europäischen Kommission, immerhin einen der meistbeschäftigten Politiker des Kontinents, dazu überreden, sich in einer griechischen Taverne beim Lesen der F.A.Z. fotografieren zu lassen?

Soweit wir es mitbekommen haben, hat Jean-Claude Juncker spontan positiv auf unsere Bildidee reagiert und gesagt, er finde sie sehr amüsant. Erstmals stellten wir sie ihm im Sommer 2015 vor, als der Verbleib Griechenlands in der Währungsunion auf der Kippe stand. Da wollte er allerdings zunächst den Ausgang der Verhandlungen abwarten. Wir wollten unbedingt in Griechenland fotografieren, nicht in einer griechischen Taverne in Brüssel – und der Sommer 2016 war der erste Termin, an dem Juncker überhaupt in Athen war. Die Verbindung zum Euro war bei der Bildidee für uns entscheidend. Wichtig war also nicht nur das Motiv einer typisch griechischen Taverne mit dem Mittelmeer im Hintergrund, sondern auch die im Vordergrund zu sehende Speisekarte mit Preisen in Euro.

Keine deutsche Werbekampagne hat mehr nationale und internationale Preise gewonnen als die mit dem Slogan „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“. Gibt es dafür ein Rezept?

Ein Rezept nicht, aber ein Konzept. Eine Motividee soll weder zu vordergründig und erwartbar noch zu verschlüsselt sein. Es ist ja jedes Mal ein kleines Rätsel, das wir dem Betrachter stellen. Der Leser gibt einem Bild nur wenige Sekunden Zeit, seine Neugier zu erregen. In diesen Sekunden muss das Bild den Betrachter dazu bringen, sich länger damit befassen zu wollen. Wir diskutieren viel über die richtige Balance. Das Motiv mit Dieter Zetsche, dem Vorstandschef von Daimler, erreicht diese Balance auf mehreren Ebenen: Da sehen wir den Chef des berühmtesten Autobauers der Welt, des Konzerns mit dem Stern, beim Zeitunglesen – unter einem Sternenhimmel natürlich. Diese Assoziation dürften fast alle verstehen. Wer genauer hinsieht, erkennt dann auch noch, dass Zetsche unter dem Sternbild des Großen Wagens sitzt. Aber selbst wer keine dieser Anspielungen erkennt, empfindet das Bild hoffentlich als ästhetischen Genuss.

Frank Schirrmacher hat einmal gesagt, die Kampagne anonymisiere den Leser hinter der Zeitung, indem sie ihn als einen erfasse, der die Welt um sich vergisst, um sie lesend zu begreifen. Ist das das Konzept?

Der kreative Kniff der Kampagne ist in der Tat, dass man den klugen Kopf nicht sieht. Das unterscheidet sie von allen anderen Kampagnen, die mit Prominenten werben. Wir arbeiten mit herausragenden Persönlichkeiten, aber wir verstecken sie. Den Beweis der Prominenz für sich zu behalten kann sich nur eine Marke leisten, die auch sonst höchstes Vertrauen genießt. Und da zu jedem Motiv umfangreiches Making-of-Material erstellt wird, können wir etwaige Zweifel auflösen: Doch, es sind wirklich die echten berühmten Köpfe hinter der Zeitung.

Es kommt zwar selten vor, doch es gibt auch Kritik an der Kampagne. Es hieß zum Beispiel, die Bilder seien „triumphalistischer Kitsch“.

Die Motive haben eine unterschiedliche Tonalität, aber die meisten haben etwas Ironisches, Verspieltes. Wenn der Präsident der Europäischen Kommission in einer griechischen Taverne die F.A.Z. liest, ist das nicht triumphalistisch.

© F.A.Z. / Scholz & Friends Der vertiefte Leser: Reinhold Messner auf fast 2500 Metern Höhe in einer Felswand in den Dolomiten

Am deutlichsten ist die Idee eines dem Alltag entrückten Lesers, der sich an einen unwegsamen Ort zurückgezogen hat, um mit der F.A.Z. allein zu sein, wohl in dem Bild verwirklicht, das Reinhold Messner auf fast 2500 Metern Höhe in einer Felswand in den Dolomiten zeigt.

Dieses Motiv ist sicher ein besonderes, denn selten zuvor dürfte das beworbene Produkt so winzig abgebildet worden sein. Die Idee, einen Menschen in einer besonders konzentrierten, kontemplativen Situation in die F.A.Z. vertieft zu zeigen, ist hier eindrücklich verwirklicht – obwohl oder weil der Leser in diesem Fall nur stecknadelklein in der riesigen Bergwand zu erkennen ist.

Hatte Messner eigentlich eine F.A.Z. in normaler Größe dabei, oder war das eine drei Quadratmeter große Bergausgabe?

Das war ein Original. Mit einem veränderten Format haben wir nur bei Michael Schumacher gearbeitet. Er bekam eine deutlich verkleinerte F.A.Z., denn das Cockpit eines Formel-1-Wagens ist eine Sardinenbüchse, und es hätte albern ausgesehen, wenn er die Zeitung in Originalgröße gelesen hätte. Zum Glück hatten wir verschiedene Formate zum Ausprobieren dabei. Bei Schumacher gab es aber eine andere Schwierigkeit: Das Bild entstand während des Trainings für den Großen Preis von Ungarn und zeigt Schumacher, wie er während eines Boxenstopps die F.A.Z. liest. Die Grundidee war, zu zeigen, wie sich jemand selbst in diesem auf Sekundenbruchteile orientierten Geschäft Zeit nimmt für die F.A.Z. Aber ein Boxenstopp dauert nur wenige Sekunden, da hätte Schumacher niemals eine Zeitung in die Hand nehmen können. Also baten wir sein Team, einen Boxenstopp zu imitieren. Doch das hat nicht funktioniert, weil die Mechaniker keine Körperspannung hatten. Es war auf den ersten Blick zu erkennen, dass das Bild gestellt war. Also haben wir acht echte Boxenstopps durchgeführt. Der Wagen stand die ganze Zeit, aber die Mechaniker haben achtmal nacheinander die Reifen gewechselt. Wir baten sie zwar, langsamer zu arbeiten als sonst, aber sie haben es trotzdem in Sekundenschnelle gemacht. Langsam können die nicht. Zum Glück kam ein gutes Bild dabei heraus.

© F.A.Z. / Scholz & Friends „Langsam können die nicht“: Michael Schumacher und seine Mechaniker

Wie entstehen die Motive der Kampagne? Sind das Geistesblitze oder behutsam konstruierte Ideen?

Meist bedeutet die Entwicklung eines Motivs konzentrierte Arbeit. Oft entstehen die Ideen im gemeinsamen Gespräch. Die erste Frage ist immer: Passt ein Kopf zu der F.A.Z. und zu den Werten, die mit dieser Zeitung verbunden sind? Die klugen Köpfe müssen eine Lebensleistung vorweisen können und Niveau haben, Prominenz allein reicht nicht. Die Liste mit Ideen ist sehr lang, aber 99 Prozent davon landen im Mülleimer, weil nur die wenigsten alle Kriterien für ein gutes Motiv erfüllen. Und wenn eine Idee den Ausleseprozess und alle Einwände überlebt, muss am Ende ja auch der angefragte kluge Kopf noch zustimmen.

Gibt es oft Absagen?

Erfreulich selten. Billy Wilder, der 1997 im Hollywood-Schriftzug abgebildet wurde – und zwar so, dass davon nur die Buchstaben „LLYW“ zu sehen sind, also ein Teil seines Namens –, war eine Zäsur. Seither gibt es kaum noch Absagen. Es ist eine Hall of Fame entstanden, in der man nicht ungern erscheinen möchte. Mittlerweile adelt die Teilnahme die eine Seite genauso wie die Zusage die andere. Aber es gibt auch Ausnahmen: Thomas Gottschalk wollten wir hinter der F.A.Z. auf der „Wetten, dass ...?“-Couch fotografieren, mit der Einblendung: „Die folgenden Sendungen verschieben sich um ca. 25 Minuten.“ Gottschalk antwortete, er würde bei der Kampagne sofort mitmachen, er lese die F.A.Z. schließlich jeden Tag mit dem iPad auf seinem Hometrainer in Malibu, aber das Motiv gefalle ihm nicht. Uns fiel dann aber kein besseres ein. Immerhin konnten wir später Günther Jauch für ein Motiv gewinnen.

Auch Loriot hat zunächst abgesagt.

Um ihn haben wir uns tatsächlich mehrfach und mit unterschiedlichen Bildideen vergeblich bemüht. Er sagte, er mache nun einmal grundsätzlich keine Werbung, auch nicht für seine geschätzte F.A.Z. Erst durch seine hartnäckige Weigerung kamen wir auf die Idee, ihn auf einem Bett zu zeigen, auf dem er bei der Lektüre der F.A.Z. eingeschlafen ist. Das war sozusagen Antiwerbung. Die Idee, die Langeweile zu inszenieren, fand Loriot so spannend, dass er doch zusagte, auch wenn er uns warnte: „Nur dieses eine Mal. Sagen Sie das bitte Ihren Werbekollegen.“

© F.A.Z. / Scholz & Friends Sozusagen Antiwerbung: „Nur dieses eine Mal“, ließ Loriot ausrichten. „Sagen Sie das bitte Ihren Werbekollegen.“

Sonst noch Sonderfälle?

Der Regisseur Michael Haneke. Er sollte in einer Umgebung fotografiert werden, die an seinen Film „Das weiße Band“ erinnert, der vor dem Ersten Weltkrieg spielt. Haneke war kaum angekommen, da hat er angefangen, auf die Komposition des Bildes Einfluss zu nehmen. Da wurden dann so lange Möbel gerückt und Lampen und Stoffe ausgetauscht, bis er zufrieden war. Das Bild wurde mit einer historischen Kamera aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg aufgenommen und auf einer Glasplatte belichtet. Es gibt in Wien einen Sammler alter Kameras, der mit seinen Utensilien anrückte und dann auch das Foto gemacht hat. Ziemlich aufwendig, aber das Ergebnis war gestochen scharf.

© F.A.Z. / Scholz & Friends Fing an, selbst auf die Komposition des Bildes Einfluss zu nehmen: Michael Hanecke.

Jupp Heynkes wurde, als er Trainer von Real Madrid war, bei der Lektüre in einer Stierkampfarena fotografiert – aber der Stier war ein ausgestopftes Übungstier für Toreros. Sind echte Stiere zu gefährlich?

In dem Fall war uns das tatsächlich zu waghalsig, deshalb musste eine Attrappe herhalten. Es sind aber schon viele echte Tiere in der Kampagne aufgetreten: Giraffen, Elefanten, Tauben oder Araberhengste zum Beispiel.

Nun haben Tiere im Gegensatz zu Prominenten oft kein Gespür für die Knappheit der Zeit. Wie bekommt man es hin, dass eine Herde Araberhengste genau im richtigen Moment an einem zeitunglesenden Niki Lauda vorbeigaloppiert?

Wir mussten warten, bis die Pferde nah genug am Fotografen vorbeigaloppierten. So etwas kann schon mal einige Stunden dauern. Mit Helmut Schmidt hätte das nicht funktioniert, denn der war nach drei Minuten wieder aus dem Fotostudio verschwunden. Aber ausgerechnet dieses Motiv – Helmut Schmidt hinter der F.A.Z., mitten in einer gewaltigen Rauchwolke – hat so viel Aufmerksamkeit erzielt wie kaum ein anderes. Es war ja auch außergewöhnlich: Zum einen ironisierte es Schmidts Nikotinsucht, und dann war es ja immerhin der Herausgeber eines Wettbewerbers, der da die F.A.Z. las.

© F.A.Z. / Scholz & Friends War nach drei Minuten wieder aus dem Fotostudio verschwunden: Helmut Schmidt.

Warum haben Sie eigentlich den chinesischen Pianisten Lang Lang und den ägyptischen Friedensnobelpreisträger Mohamed El Baradei als F.A.Z.-Leser gezeigt, obwohl beide kein Deutsch können?

Da die F.A.Z. als herausragende Zeitung in der ganzen Welt beachtet und zitiert wird, kann sie durchaus auch von klugen Köpfen zur Kenntnis genommen werden, die kein Deutsch beherrschen. Allerdings haben in diesen beiden Fällen die Motivideen zugegebenermaßen alle Bedenken in den Schatten gestellt. Wenn der bekannteste Pianist der Welt sagt, er lasse sich statt hinter einem Notenblatt gern hinter der F.A.Z. an seinem Flügel fotografieren und sei sogar bereit, die Zeitung vom Blatt zu spielen, fällt es schwer, das abzulehnen.

War Joachim Gauck, als er im Juli 2010 vor dem Schloss Bellevue F.A.Z. las, von echten Picknickern umgeben?

In diesem Fall waren wir auf Statisten angewiesen, da wir die Persönlichkeitsrechte brauchten, um das Bild später veröffentlichen zu dürfen. Einer der Gauck-Statisten, ganz unscharf im Hintergrund, ist übrigens der Erfinder der Kampagne, Sebastian Turner. Das Motiv mit Gauck haben wir zweimal geschaltet: nach der verlorenen Bundespräsidentenwahl 2010 mit der Unterschrift „Joachim Gauck, Bürger“ und dann nochmals 2012 mit der Unterschrift „Joachim Gauck, Bundespräsident“.

Manche Aufnahmen verlangen den Porträtierten viel ab: Yehudi Menuhin auf dem Dach eines Konzerthauses, die Journalisten Ulrich Kienzle und Bodo Hauser auf den Türmen einer Burg, Ignatz Bubis im Wipfel einer Eiche, Unternehmensberater Roland Berger auf einem Fabrikschlot, der Koch Harald Wohlfahrt am Rande eines 150 Meter hohen Kühlturms ...

Wir stellen uns bei der Entwicklung der Motive oft die Frage, wie viel Selbstironie man den Leuten zumuten kann. Lässt sich Erich Sixt als Betreiber eines Autokarussells porträtieren? Kardinal Lehmann inmitten einer Schafherde? Wendelin Wiedeking im Windkanal? Und manchmal kommen bei solchen Gedankenspielen eben Ideen heraus, deren Verwirklichung nicht nur die Fähigkeit zur Selbstironie, sondern auch Schwindelfreiheit verlangt.

© F.A.Z. / Scholz & Friends „Sehr routiniert“: Ursula von der Leyen und die Kaninchen

Man sollte meinen, die siebenfache Mutter Ursula von der Leyen hätte die Idee, als Familienministerin inmitten von Kaninchen fotografiert zu werden, empört abgelehnt. Das war aber offenbar nicht der Fall.

Weil „mehr Nachwuchs“ damals ihr großes Thema war und dieses Bild eine Möglichkeit bot, ihr Anliegen auf ungewöhnliche Art zu verbreiten. Und da sie vom Lande kommt, konnte sie auch sehr routiniert mit den vielen Kaninchen umgehen.

Hilmar Kopper war sogar bereit, den größten Lapsus seiner Karriere zu ironisieren und sich auf einer Erdnussfarm in Georgia auf einem Waggon voller Erdnüsse fotografieren zu lassen.

An Kopper wären wir nicht herangekommen, wenn wir es über den offiziellen Weg versucht hätten. Er hat selbst gesagt, wenn wir unsere Idee seinem Beraterstab gezeigt hätten, wäre sie niemals zu ihm vorgedrungen. Kopper konnte aber überzeugt werden, weil jemand von uns zu einer Konferenz ging, auf der er einen Vortrag hielt. Er zeigte Kopper eine Fotomontage unserer Idee. Zu unserem Glück sagte er zu – aber auch zu seinem, denn Koppers souveräner, selbstironischer Umgang mit seiner unglücklichen Äußerung hat ihm viele Sympathien eingebracht. Er habe übrigens erst in Amerika gelernt, dass das Geschäft mit Erdnüssen alles andere als Peanuts sei, sagte er später.

Das Kopper-Motiv gewann auch im Ausland Preise – aber wie eigentlich? Was soll ein Amerikaner von einem Bild halten, das einen Mann auf einem Eisenbahnwaggon voller Erdnüsse beim Zeitunglesen zeigt?

In diesem Fall haben wir mit Erklärungstexten gearbeitet, um den Kontext zu verdeutlichen. Manche denken, die F.A.Z.-Kampagne sei bei Wettbewerben eine Gewinngarantie für eine Werbeagentur, weil sich die Grundidee schließlich endlos variieren lasse. Aber die Jurys achten streng darauf, ob ein Motiv die Grundidee auf eine originelle Art weiterentwickelt. Deshalb versuchen wir auch, diese Kampagne immer wieder neu zu erfinden – wie zum Beispiel mit Lisa Simpson, als erstmals eine nicht reale Person hinter der F.A.Z. verschwand.

Lisa Simpson war angeblich das am schwierigsten zu bekommende Motiv der Kampagne. Wie konnte ausgerechnet eine nicht existierende Person die meisten Schwierigkeiten bereiten?

Lisa Simpson existiert zwar nicht, aber die Inhaberin der Rechte, die Fox Entertainment Group in Los Angeles, ist äußerst real. Nur dank der Unterstützung von Fox Deutschland, die ihren Kollegen erklären konnten, dass es dem Ruf der Familie Simpson keinesfalls schaden werde, wenn ihre Tochter die F.A.Z. liest, gaben die Lizenzrechteanwälte schließlich ihr Einverständnis. Dieser Prozess hat zwei Jahre gedauert, aber dann schickten uns die amerikanischen Zeichner sehr schnell das Motiv nach unserer Vorlage.

Lisa Simpson ist eines der am häufigsten prämierten Motive der Kampagne. Was hat die Juroren beeindruckt?

Dass innerhalb des engen Korsetts neue Wege gefunden wurden, um die Grundidee der Kampagne weiterzuentwickeln. Das kann nicht mit jedem Bild gelingen, aber es gibt immer wieder Motive, die die Spielart der Kampagne erweitern. Das Bild mit Georg Baselitz hat die Kampagne im Wortsinn auf den Kopf gestellt. Die Idee, sich von der herkömmlichen Fotografie zu verabschieden und einen renommierten Klimaforscher mit einer Wärmebildkamera aufzunehmen, ist ein anderes Beispiel.

Manche Bilder scheinen sich gegenseitig zu zitieren: Nach Helmut Newton, der sich hinter der Zeitung und vor seinen „Big Nudes“ fotografierte, war Alice Schwarzer neben zwei Steinzeitmännern aus Wachs zu sehen. War das beabsichtigt?

Nein, dieses Wechselspiel war Zufall, wenn auch ein zeitgeschichtlich interessanter. Dass die beiden einen Rechtsstreit hinter sich hatten, weil „Emma“ unerlaubt Aktfotos von Newton abgedruckt hatte, um damit den Vorwurf zu illustrieren, er sei ein „Zeremonienmeister des Sadomasochismus“, lag schon einige Jahre zurück, als die Bilder entstanden. Aber es kommt durchaus vor, dass Bilder der Kampagne zu Fußnoten der Zeitgeschichte werden. So konnte man 1997 voraussetzen, dass informierte Zeitgenossen die Anspielung in dem Motiv mit Klaus Töpfer auf der Quadriga des Brandenburger Tores verstanden, weil sie wussten, dass er Beauftragter der Bundesregierung für den Umzug von Berlin nach Bonn war. Heute müssten viele den Zusammenhang wohl erst recherchieren. Ästhetisch ist das Bild deshalb aber nicht weniger wirkungsvoll als vor 20 Jahren.

© F.A.Z. / Scholz & Friends Früher Höhepunkt: Ulf Merbold saß mit dem Rücken zum Start einer Raumfähre, fand aber einen Weg, ihn trotzdem zu sehen.

Zu den ästhetischen Höhepunkten der Kampagne gehört auch das Bild von Ulf Merbold in Florida – aber einen Astronauten zu zwingen, dem Start einer Raumfähre den Rücken zuzuwenden und stattdessen Zeitung zu lesen, grenzt an eine Menschenrechtsverletzung.

Deshalb durfte er ja auch einen Taschenspiegel hinter der Zeitung verstecken, um den Start wenigstens so beobachten zu können. Aber es stimmt schon, einige unserer Köpfe haben gelitten bei den Aufnahmen. Gerhard Polt fotografierten wir in Anlehnung an seinen Film „Man spricht Deutsh“ als Touristen an einem menschenleeren Strand in Italien – allerdings zur Vorsaison, als es ziemlich kalt war. Die Aufnahme mit Helmut Kohl fand auf einem Schiff in der Nordsee statt. Es war so windig, dass wir die Zeitung auf Bretter nageln mussten, weil sie sonst sofort weggeflogen wäre.

War es schwierig, Kohl davon zu überzeugen, sich zeitunglesend auf einem Frachter namens „Europe“ fotografieren zu lassen?

Das Schiff hieß eigentlich „European Freeway“, aber die Kameraperspektive wurde so gewählt, dass nur die ersten sechs Buchstaben zu sehen waren. Nein, es war nicht schwer, Kohl zu gewinnen. Er sah den Entwurf und suchte sofort nach einem freien Tag in seinem Terminkalender. Er hat sich wirklich Zeit genommen, denn es war ja ein aufwendiges Motiv. Kohl musste auf das Schiff, und dann dauerte es eine Zeit, bis das Motiv vom Hubschrauber aus fotografiert war. Aber interessant fand er es offenbar trotzdem. Als das Bild schon gemacht war, blieb Kohl noch eine Weile sitzen, weil er die Rezension einer Charles-de-Gaulle-Biographie entdeckt hatte, die er zu Ende lesen wollte.

© F.A.Z. / Scholz & Friends Eine Frage der Kameraperspektive: Helmut Kohl

Viele Bilder entstanden an Orten, die der Öffentlichkeit eigentlich nicht zugänglich sind. Wie gelingt das?

Das Bild mit Kurt Masur in der Spitze des Chrysler-Buildings in New York entstand 1996. Nach „9/11“ wäre es unmöglich gewesen, die Genehmigung zu erhalten, mit einem Helikopter so nah an das Gebäude heranzufliegen, wie das für diese Aufnahme nötig war. Für das Motiv mit Daniel Libeskind musste ein großes Team mit viel Ausrüstung auf den sogenannten Tower Four des neuen World Trade Center gelangen. Das war 2015 nur möglich, weil Libeskind die nötigen Kontakte hatte, um die Genehmigung zu arrangieren. Und bei Billy Wilder half der Zufall. Eigentlich, so heißt es in Los Angeles, ist der Hollywood-Schriftzug für die Öffentlichkeit gesperrt, seit dort vor vielen Jahren eine Schauspielerin Selbstmord beging, indem sie vom Buchstaben „H“ in den Tod sprang. Das ist zwar nur eine Legende, aber man kann natürlich dort oben nicht einfach so einen Kran aufstellen, wie das für die Aufnahme nötig war. Zum Glück war der zuständige Park Ranger ein großer Billy-Wilder-Fan.

In Ägypten soll ein Berater des damaligen Staatspräsidenten Husni Mubarak dafür gesorgt haben, dass im Hochsicherheitsbereich bei den Pyramiden fotografiert werden durfte.

Es war der Generalsekretär der ägyptischen Antikenverwaltung. Vorher hatte es bei den Behörden geheißen, es sei völlig ausgeschlossen, dort zu fotografieren, wo wir wollten. Wäre es bei dem Verbot geblieben, wäre das sehr ärgerlich gewesen, denn Wladimir Klitschko, den wir vor der eingeschlagenen Nase der Sphinx fotografieren wollten, war extra aus den Vereinigten Staaten angereist – weil er die F.A.Z. und die Motividee mochte und immer schon die Pyramiden hatte sehen wollen. Auch für andere Motive mussten die Protagonisten weite Anreisen auf sich nehmen: der Posaunist Albert Mangelsdorff nach Israel vor einen Wegweiser nach Jericho, der Schriftsteller Hans-Magnus Enzensberger zur Bibliothek des Trinity College in Dublin, die Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann nach Delphi zum Beispiel.

© F.A.Z. Der Kreativchef von Scholz & Friends, Matthias Spaetgens, erzählt über die Highlights der FAZ-Kampagne.

Wir hätten zum Abschluss noch eine Liste mit Ideen für die Kampagne. Könnten Sie sie für uns bewerten?

Gern, aber ich warne: Wir sieben immer gnadenlos aus.

Nur zu. Also: Helge Schneider im Cabaret Voltaire in Zürich?

Ein wunderbarer kluger Kopf, aber die Anspielung auf das Cabaret Voltaire als Gründungsort des Dadaismus schlösse zu viele Menschen vom Verständnis des Motivs aus. Also weg.

Gerhard Schröder auf einer Gaspipeline in Sibirien?

Das könnte ein spektakuläres Foto werden, aber soll man Schröders Engagement bei Gasprom würdigen? Ich bezweifle außerdem, dass Schröder einwilligen würde.

Sahra Wagenknecht am Grab von Karl Marx in London?


Sie wäre als F.A.Z.-Leserin so überraschend, dass die Bildidee in den Hintergrund rückt – aber doch nicht auf einem Friedhof!

Schachweltmeister Magnus Carlsen während einer Partie?


Mit Carlsen würden wir gern etwas machen, nur könnte es ihm als Arroganz ausgelegt werden, wenn er die F.A.Z. liest, während sein Gegner über dem nächsten Zug grübelt. Wir haben aber auch noch keine Idee gefunden.

Klaus Maria Brandauer als König Lear am Burgtheater, während der Vorstellung?


Ein Foto in eine echte Inszenierung einzuweben ist eine exzellente Idee! Wenn man auch noch dokumentieren kann, dass das tatsächlich während einer Vorstellung fotografiert wurde, wenn also auch das Publikum sichtbar wird, wäre das sogar spektakulär. Ein hervorragendes Motiv. Das nehmen wir auf.

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