Bundeswehrreform :
Rückzugsgefechte

Berthold Kohler
Ein Kommentar von Berthold Kohler
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Die Debatte über die Zukunft der Bundeswehr wurde nicht von sicherheitspolitischen Erwägungen angestoßen, sondern von einem Sparbeschluss
Nach der von der FDP durchgesetzten Verkürzung auf sechs Monate hat die Wehrpflicht kaum noch mehr als symbolischen Wert. Und doch tun sich Union und SPD schwer damit, von ihr zu lassen. Sie sehen in ihr nicht zu Unrecht eines der letzten Bindeglieder zwischen Bürger und Staat.

Es dürfe keine Sicherheitspolitik nach Kassenlage geben, fordern Politiker der Koalition wie der Opposition im Brustton der Überzeugung. Auch die Kanzlerin will sich nicht den Vorwurf machen lassen, in Fragen der Strategie als Krämerseele zu erscheinen. Und doch ist auch die jüngste Debatte über die Zukunft der Bundeswehr nicht von grundsätzlichen sicherheitspolitischen Erwägungen angestoßen worden, sondern von einem Sparbeschluss. Das hat hierzulande Tradition; eine chronische Unterfinanzierung der Bundeswehr war und ist die Folge. Der jüngste Kürzungsbefehl des Finanzministers fiel allerdings so einschneidend aus, dass jetzt immerhin mit einer alten Gewohnheit gebrochen werden muss: den Kuchen essen und gleichzeitig in seiner ganzen Schönheit behalten zu wollen.

Das zeigt sich am deutlichsten bei der Wehrpflicht. Nach ihrer von der FDP durchgesetzten Verkürzung auf sechs Monate hat sie kaum noch mehr als symbolischen Wert. Gleichzeitig bindet sie aber Personalkapazitäten bei den Zeit- und Berufssoldaten. Wer dort sparen muss, kommt nicht daran vorbei, das heiße Eisen der Dienstpflicht anzufassen. Das ist angesichts der Schieflage bei den Einberufungen, die es kaum noch zulässt, von einer allgemeinen Wehrpflicht zu sprechen, ohnehin geboten. Schließlich zeichnet sich in Europa auch kein Bedrohungsszenarium ab, das ein Aussetzen der Wehrpflicht als vollständig verantwortungslos erscheinen lassen würde.

Und doch tun sich Union und SPD schwer damit, von der Wehrpflicht zu lassen. Sie sehen in ihr nicht zu Unrecht eines der letzten Bindeglieder zwischen Bürger und Staat. Außerdem schwingt immer noch die Angst vor einem Staat im Staate mit. Der erdachte Ausweg, die Einführung der „freiwilligen Wehrpflicht“, ist freilich schon begrifflich eine Verrenkung. Die Union schreckt aber auch davor nicht zurück – zählt die Wehrpflicht, so ist jetzt zu hören, doch zu ihrem „Markenkern“. Der ist schon auf Kirschkerngröße zusammengeschrumpft und verträgt nicht mehr viel zusätzlichen Masseverlust. Ob in der Umwelt-, Schul- oder Familienpolitik – allüberall hat die Union schon frühere Positionen geräumt und Fronten begradigt. Nur auf dem Feld der Ehre führt sie noch Rückzugsgefechte. Aber auch das nicht mehr lange. Die Kanzlerin wartet schon ab.