WM-Kommentar :
Alle bibbern mit

Ein Kommentar von Evi Simeoni
Lesezeit: 2 Min.
Der Fußballfan, der zwölfte Mann: Gerne auch weiblich
Keine Angst, liebe Nationalspieler. Wir zerfleischen euch nicht. Hier wissen alle, dass Fußball ein unwägbarer Sport ist. Dass es gegen Serbien ganz anders laufen kann als gegen Australien. Keine Angst. Hauptsache, Deutschland wird Weltmeister.

Eigentlich ist es ja beruhigend zu hören, dass sich die elf Freunde in Südafrika nicht vor Serbien fürchten und auch sonst vor keiner Mannschaft. Bravo! Solche Fußballer brauchen wir. Aber ein bisschen beleidigt ist man schon als zwölfter Mann zu Hause, seit bekannt wurde, wer der wahre Angstgegner der Kicker am Kap ist: Es sind wir.

Joachim Löw hat in einem Fernsehinterview gesagt, die überbordende Begeisterung zu Hause über seine Mannschaft mache ihm „Angst“. Die Spieler seien froh, hört man, dass sie in ihrem extraterrestrischen Hotel so wenig davon mitkriegen. Und erst vor kurzem beklagte der junge Müller II. mit der ganzen Erfahrung seiner 20 Jahre Lebensalter und seines einen kompletten Profi-Jahrs eine alte Misere in Deutschland: Erst werde man als Fußballer in den Himmel gehoben. Und wenn es mal nicht so gut laufe, werde man „zerfleischt“.

Wenn er recht hätte, dann müssten sich Millionen Deutsche an diesem Freitag wie hechelnde Kampfhunde vor ihren Fernsehern niederkauern. Grrrrrrrh! Wehe, ihr schießt daneben! Metzgermesser würden gewetzt und Stinkbomben für den Empfang am Frankfurter Römer gefüllt, für den Fall, dass Lahm, Schweinsteiger und Klose schon vor dem Endspiel nach Hause kommen. Aber nun hört mal her, ihr Jogi-Bären da unten in Port Elizabeth, so ist es nicht. Um euch möglichst nah zu sein, trägt nicht nur die Autobahn Flagge. Nein, es wurde sogar das Wetter auf südafrikanische Verhältnisse heruntergefahren. Hier bibbern alle mit.

Gegen Australien war die Stimmung prächtig - wie wird's gegen Serbien?
Gegen Australien war die Stimmung prächtig - wie wird's gegen Serbien?APN

Und mit dem Freuen über gelungene Australien-Spiele ist das so: Wir erledigen das lieber gleich. Wer weiß, wie lange ihr uns noch Grund dazu gebt. Wer den Ball flach hält, kommt vielleicht nie in Hochstimmung. Lasst uns also ein bisschen spinnen im vorwiegend übellaunigen Merkel-Westerwelle-Land. Dazu seid ihr schließlich da.

„Der wahre Genuss liegt im Trösten der Verlierer“

Keine Angst. Hier wissen alle, dass Fußball ein unwägbarer Sport ist und Prognosen nicht viel gelten. Dass es Mannschaften in Südafrika gibt, die eine stärkere Abwehr haben und besser mit dem Ball umgehen können als Australien. Und dass am Ende, wenn der jugendliche Ungestüm einen Dämpfer bekommt, vielleicht doch Ballacks Erfahrung und Führungsstärke fehlen könnten.

Wir wissen auch, dass wir den Kindern sagen müssen, dass sie nicht weinen sollen, wenn einmal etwas schiefgeht bei unseren Kickern. Und Erzbischof Tutu hat recht mit seiner Analyse: „Siegen ist schön, doch der wahre Genuss liegt im Trösten der Verlierer.“ Wer diese Botschaft nicht versteht, ist ein primitiver Mensch. Und wer seine Elf unter Erwartungsdruck setzt, ist es auch. Drum sind wir jetzt ganz still und warten ab, was kommt. Wir nehmen’s hin. Hauptsache, Deutschland wird Weltmeister.