Foto: Studio Orel

Schwarz entflammt

von HENRIK RAMPE
Foto: Studio Orel

2. Februar 2021 · Fassaden verkohlen, um sie zu veredeln: Yakisugi heißt die traditionelle Methode aus Japan, die Holzhäuser robuster macht. Auch in Deutschland hat die Technik immer mehr Fans.

Zwischen Moorlandschaft und Seen steht in Mecklenburg ein Gebäude, das auf den ersten Blick aussieht wie ein verkohltes Ufo. Und der zweite Blick bestätigt den ersten Eindruck. In Waren an der Müritz haben sie sich redlich Mühe gegeben, die 1600 Quadratmeter große Außenwand des Naturerlebniszentrums mit dem Gasbrenner anzukokeln. Holzlatte um Holzlatte wurde kurz entflammt, nur um sie dann rasch wieder mit Wasser abzulöschen. 


Die Devise: abflammen, aber nicht abfackeln.

Auf den dritten Blick ist die Fassade des ovalen Baus auch keine angekokelte Oberfläche, sondern eine Innovation im Massivholzbau. Yakisugi wird die jahrhundertealte Methode genannt, bei der Holz so geschickt verkohlt wird, dass es anschließend nicht nur wertiger aussieht, sondern auch robuster und langlebiger ist. „Sugi“ ist dabei der japanische Name der Sicheltanne (auch japanische Zeder genannt), „yaki“ heißt übersetzt grillen.

Ando-Museum Honmura in Japan
Ando-Museum Honmura in Japan Foto: akg-image

Bereits im antiken Griechenland wurden Holzpfähle verkohlt, bevor sie verbaut wurden. Denn das Feuer zerstört die Holzoberfläche nicht, sondern veredelt und konserviert sie. Die Zellen im Holz verdichten sich und machen es resistent gegen Schimmel, Verwitterung, Insekten- und Pilzbefall. Von der Überlegenheit des Yakisugi erzählt auch die Horyu-ji-Pagode in der japanischen Präfektur Nara. 1413 errichtet, zählt das Unesco-Welterbe zu den ältesten Holzbauten der Welt. Auch die kaiserliche Katsura-Villa ist teilweise aus abgebranntem Zedernholz gefertigt, das im Westen Japans Shou-Sugi-Holz heißt. Ein weiterer Begriff für dieselbe Art, Holz zu veredeln, die in Europa kaum Beachtung findet. 

Teehaus im japanischen Nagano
Teehaus im japanischen Nagano Foto: Mauritius Images

Und so dachte der Mann, der in Müritz die Idee mit der schwarzen Holzfassade hatte, auch nicht an einen japanischen Tempel. Bei einem Spaziergang in seiner Heimat Schweden blickte der Architekt Gert Wingårdh auf eine Scheune, die vor Jahrzehnten abgebrannt war. Statt zu Asche zu verfallen, blieb der Holzbau unverwüstlich stehen. Wingårdh war davon so fasziniert, dass er in dem Zusammenspiel von Feuer und Holz die perfekte Holzverkleidung für den Museumsbau sah. So erzählt es jedenfalls Fabian Siebeke, der mit dem Ankohlen der Fassade beauftragt wurde. Oder wie es der Experte selbst nennt: mit dem Karbonisieren. Zusammen mit seinen Kollegen von der Hochschule Eberswalde wälzte der Ingenieur Fachliteratur, denn auf vergleichbare Modellprojekte konnten sie nicht zurückgreifen. „Das ist kein Hexenwerk, aber es braucht Erfahrungswerte“, sagt Siebeke. Die schwarze Holzkohle-Schicht entsteht, wenn trockenes Holz ohne Sauerstoffzufuhr erhitzt wird, so dass Bestandteile wie Harze verbrennen. Einzigartige Maserung und Faserstrukturen treten hervor, ungebürstete Oberflächen erhalten eine Lederoptik, die ganz treffend „Alligatorhaut“ genannt wird. Um das Holz phoenixhaft über sich hinauswachsen zu lassen, werden bei der traditionellen japanischen Verkohlung drei Holzbretter senkrecht aufgestellt und zu einem Dreieck zusammengebunden. Die Schwierigkeit besteht darin, große Flächen gleichmäßig zu bearbeiten. 


„Das ist kein Hexenwerk, aber es braucht Erfahrungswerte.“
FABIAN SIEBEKE

Temperatur der Gasflamme, Abstand zwischen Flamme und Holz, Dauer und Intensität der Feuerbehandlung – die Experimentierphase in Eberswalde produzierte anfangs mehr Asche als veredelte Holzplatten. Was die sibirische Lärche mit ihrer hohen Rohdichte wegsteckt, war für die Fichte bereits zu viel der Feuermaniküre. Nach drei Monaten stand dann der erste Prototyp, der Architekt Wingårdh überzeugte. Im Durchlaufsystem wurden 30 Millimeter dicke Lärchenhölzer entflammt und einzelne Astbereiche mit dem Handbrenner nachbearbeitet. 

Das Müritzeum in Waren
Das Müritzeum in Waren Foto: Picture Alliance

Seit 2007 steht das Müritzeum an der Mecklenburgischen Seenplatte. Mit dem Ergebnis ist Siebeke sehr zufrieden. Vor zwei Jahren war er noch mal persönlich da. Das Holz dunkelt auf natürliche Weise nach, aber trotzt der Witterung auch ohne aufwendige Pflege. 

In den vergangenen Jahren haben sich einige Architekten und Holzproduzenten das 14 Millionen teure Vorzeigebauwerk zum Vorbild genommen. Der Ulmer Holzprofilhersteller Mocopinus schreibt sich auf die Fahnen, Vorreiter im dekorativen Holzgewerbe zu sein. Als erstes und bislang einziges Unternehmen in Deutschland stellt der Spezialist Yakisugi-Holz im Industrieverfahren her. Dazu hat Mocopinus eine Holzbeflammungsanlage errichtet, die innerhalb weniger Augenblicke helle Holzlatten mit einer 2 bis 3 Millimeter dicken schwarzen Rußschicht überzieht. „Opferholz“ nennt Geschäftsführer Eric Erdmann die karbonisierte Oberfläche. Wie auf einem Fließband werden Hölzer von Lärche, Fichte, Douglasie, roter Zeder und Eiche an einer Gasflamme vorbeigezogen, die je nach Holzart 800 bis 1200 Grad heiß ist. 

Die größte Herausforderung wartet dabei erst nach dem Karbonisieren. Das Holz rußt, was schnell dazu führen kann, dass der stolze Bauherr zum Schornsteinfeger mutiert – kohlrabenschwarz von den kleinen, ungebundenen Kohlepartikeln. Auch der erste Regenschauer kann die Rußschicht abwaschen, weshalb man sich bei Mocopinus früh Gedanken über einen Lackschutz gemacht hat. Im Labor ist ein wasserbasiertes Oberflächen-Coating entstanden, das den Ruß bindet.

Kontrastreicher Durchblick
Kontrastreicher Durchblick Foto: Studio Orel

Für den Holzspezialisten hat sich der Einstieg in das Geschäft mit dem verkohlten Holz schnell rentiert. Seit drei Jahren bietet Mocopinus Yagisuki-Holz an. In jedem Jahr hat sich die Nachfrage verdoppelt. Alpenhütten, Privathäuser, Bürogebäude, aber auch ein Holzboot und eine Feuerwache sind mit Yakisugi-Holz aus der neuen Beflammungsanlage realisiert worden. „Anfangs haben wir unsere Carbo-Linie vor allem bei öffentlichen Bauaufträgen oder Designhäusern gesehen. Aber die Nachfrage kommt aus allen Richtungen“, sagt Geschäftsführer Erdmann. 


Unter ökologischen Gesichtspunkten kann Yakisugi punkten.

Holz als nachwachsender Baustoff, dazu eine natürliche Feuerbehandlung statt chemischen Schutzmantels: Unter ökologischen Gesichtspunkten kann Yakisugi punkten. Allein dem Anwendungsfeld sind Grenzen gesetzt. Was bei Außenfassaden funktioniert, wird beim Mobiliar zur schier unlösbaren Herausforderung. Schreinermeister Denny Friedrich hat sich auf Youtube mehrere Erklärvideos angeschaut und dann einfach zum Bunsenbrenner gegriffen. Ein Schritt, der Fachkenntnis erfordert und für den Do-it-yourself-Selbstversuch ungeeignet ist. Sideboards, Stühle, Schränke und Tische hat der Schreiner auf Kundenwunsch schon karbonisiert. „Problematisch wird es bei Oberflächen, die viel beansprucht werden“, sagt Friedrich. Auch Lackschutz könne nicht komplett verhindern, dass sich die Kohleschicht mit der Zeit abtrage. Im Innenbereich gibt es für Yakisugi-Möbel deshalb noch keinen großen Markt. 

Tisch aus schwarz geflammter Eiche vom Berliner Möbellabel MBZwo
Tisch aus schwarz geflammter Eiche vom Berliner Möbellabel MBZwo Foto: MBZwo
Tisch aus schwarz geflammter Eiche vom Berliner Möbellabel MBZwo Foto: MBZwo

Und Außenfassaden? Bei vielen Bauherren sticht die Skepsis noch die Neugierde. Innen wie außen ist die Vormachtstellung von hellen Farbtönen ungebrochen. Und anders als in Japan, wo flexibles Holzfachwerk oftmals das Haus trägt, bleibt dem Werkstoff trotz steigender Nachfrage nur ein Nischendasein. „Ziegelstein auf Ziegelstein. In solchen Häusern sind wir aufgewachsen, und davon wollen die wenigsten abweichen“, sagt der Architekt Kai Beck. Im Zuge seines Studiums hat Beck zwei Jahre in Japan gelebt. Zurück in Deutschland hatte er den Plan, sein Eigenheim in Stuttgart nach dem Yakisugi-Verfahren zu bauen. Seine Frau hatte er schnell überzeugt, und das Stirnrunzeln der Nachbarn kann er mittlerweile ausblenden. 

Am Anfang hielten die Nachbarn das Haus für eine Garage.
Am Anfang hielten die Nachbarn das Haus für eine Garage.
Am Anfang hielten die Nachbarn das Haus für eine Garage.
Auch das Dach wurde verkohlt.
Auch das Dach wurde verkohlt.
Auch das Dach wurde verkohlt.
Innen dominiert helles Holz.
Innen dominiert helles Holz.
Innen dominiert helles Holz.
In der Wohnküche setzt Beck auf Kontraste.
In der Wohnküche setzt Beck auf Kontraste.
In der Wohnküche setzt Beck auf Kontraste.
Das Haus des Architekten Kai Beck in Stuttgart. Studio Orel

Zur Straßenseite hin hat die rußig-schwarze Außenwand weder Fenster noch Türen. „Wann wird die Garage endlich fertig?“, hätten ihn Anwohner gefragt, als er mit seiner vierköpfigen Familie längst eingezogen war, erzählt Beck. Das mit mehreren Designpreisen ausgezeichnete Wohnhaus setzt auf Kontraste. Im 135 Quadratmeter großen Wohnbereich dominiert warmes, helles Holz. Lange Zeit hieß es unter Bauherren und Architekten, Massivholzbau sei zu teuer und damit unattraktiv. Auch weil Fräsmaschinen mittlerweile große und komplexe Bauteile millimetergenau ausschneiden können, wird der Modulbau aus Holz deutlich vereinfacht. Kostengünstiges Bauen und Yakisugi sind für Beck kein Widerspruch. „Die Holzbauweise ist heute nur noch fünf Prozent teurer als das Massivhaus aus Stein“, sagt Beck. Mehrkosten, die durch das Verkohlen, Abschrecken und Reinigen der Oberfläche entstanden sind, konnte er an anderer Stelle einsparen. Die Wände sind dünner, unverputzt und müssen nicht tapeziert werden. 

Ob Yakisugi auf absehbare Zeit unser Stadtbild prägt? „Puh, darauf deutet momentan noch wenig hin“, meint Beck. Zu groß seien noch die Vorbehalte, zu ungewohnt der Anblick auf eine verkohlte Außenfassade. Doch die nächste Generation könnte das schon anders sehen. Als seine Tochter in der Schule ein Haus zeichnen sollte, schaute sie in überraschte Gesichter. Sie hatte die komplette Hausfläche kohlrabenschwarz angemalt.

Der Charme des „Neuen Frankfurt“
Foto: Frank Röth
Neue Häuser Ein Haus wie eine Wundertüte