Paläolithikum :
Seile für die Altsteinzeit

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Keine Kunst: Aus Elfenbein fertigte der Mammutjäger auch schon mal was Praktisches. Das Fundstück vom Hohle Fels in Aufsicht und von der Kante.
Bisher rätselhafte Elfenbein-Objekte von der Schwäbischen Alb waren offenbar doch keine abstrakte Kunst, sondern handfeste Produktionsmittel.

Das Leben in der Steinzeit war vor allem eine Outdoor-Aktivität und als solches ohne Seile und Schnüre schlecht vorstellbar. Zumal in der Eiszeit, die erst vor 12.000 Jahren zu Ende ging. Zum Vernähen von Tierhäuten zu warmer Kleidung mögen Sehnen oder Lederriemen ausgereicht haben, aber damals erlegten unsere Vorfahren auch riesige Tiere und mussten die Beute irgendwie abtransportieren. Da waren lange starke Taue sicher von Vorteil. Doch wie stellte man sie damals her?

Die mit altsteinzeitlichen Fundstätten befassten Archäologen Nicholas Conard von der Universität Tübingen und Veerle Rots von der Université de Liège in Belgien haben nun im Fachjournal Science Advances ein altsteinzeitliches Fundstück präsentiert, bei dem sie Hinweise dafür sehen, dass es sich um ein Seiler-Werkzeug gehandelt haben muss.

Von einem berühmten Fundort

Es handelt sich um ein 20,4 Zentimeter langes brettförmiges Stück Elfenbein mit vier Löchern, deren Wandungen sorgfältig mit spiralförmigen Rillen versehen wurden. Zerbrochen in 13 Fragmente wurde es im Sommer 2015 bei Grabungen im Hohle Fels gefunden. Das ist eine Höhle im Tal der Ach auf der Schwäbischen Alb unweit von Blaubeuren, in der bereits etliche elfenbeinerne Artefakte gefunden wurden, darunter 2008 die „Venus vom Hohle Fels“, die mit einem Alter von bis zu 35.000 Jahren als die früheste bekannte Darstellung eines menschlichen Körpers gelten darf. Ihre Schöpfer, die Träger einer Kulturstufe namens Aurignacien, waren vermutlich die ersten Angehörigen des anatomisch modernen Menschen a.k.a Homo sapiens, die vor 40.000 Jahren dauerhaft bis in das zuvor nur von Neandertalern bewohnte Mitteleuropa vorgedrungen waren – ob die kürzlich aus Thüringen gemeldeten älteren Spuren des H. sapiens bereits von einer permanenten Anwesenheit zeugen, ist nicht sicher.

Auch die nun im Hohle Fels gefundenen Bruchstücke des Lochstabs – so der Fachausdruck für solch ein Gebilde – sind zwischen 35.000 und 40.000 Jahre alt. Genauer lässt sich die Fundschicht in etwa 3,5 Meter Tiefe unter dem modernen Höhlenbodenniveau nicht datieren. Nun ist das nicht das erste gelochte Elfenbeinbrettchen aus dem Aurignacien, das in der Schwäbischen Alb zum Vorschein kam. Im Jahr 1931 fand man in der Vogelherd-Höhle im Lonetal gleich drei Stücke dieser Fundkategorie.

Fällt dir keine Deutung ein, muss es wohl ein Kultus sein

Der damalige Chefarchäologe Gustav Riek interpretierte sie aber nicht als Werkzeuge. In einem sah er eine Art Brustschmuck, in dem anderen einen symbolischen Gegenstand und in dem dritten, das nur über ein Loch verfügte, ein Schwirrgerät, wie es etwa Angehörige einiger Völker in Australien bis heute zur Erzeugung sirrender Klänge in kultischen Zusammenhängen einsetzen. Ein vierter Lochstab wurde 1983 im Geißenklösterle, ebenfalls im Achtal, gefunden und von seinem Ausgräber Joachim Hahn ebenfalls für so etwas wie Kunst gehalten.

Die meisten anderen bekannten Lochstäbe haben nur ein Loch und bestehen aus Rentiergeweih. Besonders häufig tauchen sie ganz am Ende der Eiszeit in der Kulturstufe des Magdalénien auf, wobei sie zuweilen als Symbole herausgehobenen Ranges interpretiert werden und als „Bâton de commandement“ (Kommandostab) bezeichnet werden. Ihre wahre Funktion ist aber ungeklärt.

Conard und Rots haben nun aber Anhaltspunkte dafür, dass es sich zumindest bei ihrem Lochstab aus dem Hohle Fels – und vermutlich auch bei den anderen vier aus dem Aurignacien der Schwäbischen Alb – tatsächlich um ein Werkzeug handelt, auch wenn es aus dem Material besteht, aus dem man damals vor allem Perlen für schmückende Ketten und zauberhafte kleine Tierfiguren schnitzte. Könnte es sein, dass damit Seile gedreht wurden? Die Forscher führten nur mit einer Replik des Fundes aus dem Hohle Fels Experimente mit verschiedenen Rohstoffen durch: mit Hirschsehnen sowie Pflanzenfasern von Flachs, Hanf, Rohrkolben, Linde, Weide und Brennnessel. Mit Linde, Weide und Rohrkolben funktionierte es – mit letzterem sogar besonders gut.

Weitere Experimente damit legten dann nahe, dass mit dem Lochstab wohl vor allem dicke Seile aus dieser Sumpfpflanze gedreht wurden, die in geschützten Lagen des aurignacienzeitlichen Achtals sehr wahrscheinlich gedieh. „Die Zahl der Löcher bestimmte die Stärke des Seils“, schreiben die Forscher. „Weil für jeden Strang eine Person benötigt wurde, um zu drehen und die Spannung zu halten und eine Person am Lochstab, dürfte es drei bis vier Leute bedurft haben, um mit einem vierlöchrigen Lochstab ein Seil zu drehen. In unseren Experimenten mit Rohrkolben und vier bis fünf Teilnehmern haben wir fünf Meter festes, geschmeidiges Seil in zehn Minuten hergestellt.“