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Bodyshaming: Woher kommen Schamgefühle?

Immer öfter ist die Rede von "Bodyshaming". Was hat es damit auf sich? Und betrifft das wirklich vor allem Frauen? Wir geben euch einen wissenschaftlichen Einblick in die Welt der Schamgefühle.

von , News-Redakteurin
Frau vergräbt sich in ihren Haaren
iStockphoto

Niemand kann wohl von sich behaupten, sich noch nie für irgendetwas geschämt zu haben.

Dieses Gefühl von Hitze, das in peinlichen Situationen durch unseren Körper steigt, unseren Kopf rauschen und im schlimmsten Fall sogar erröten lässt, ist wohl jedem vertraut.

Daneben gibt es aber noch eine weitergehende Scham, die mit einer tiefen Unsicherheit einhergeht, unter der insbesondere Frauen in Bezug auf ihren Körper leiden. 

Woher kommt das? Und gibt es eine Möglichkeit, davon loszukommen?
 

Warum schämen wir uns?

Es müssten mehrere Voraussetzungen erfüllt sein, damit wir Schamgefühle erleben, erklärt die Philosophin Hilge Landweer von der Freien Universität Berlin im Magazin 'Gehirn & Geist'

Die Grundvoraussetzung ist zunächst einmal, dass wir uns darüber bewusst sind, dass es eine bestimmte Norm für die Situation gibt, in der wir uns gerade befinden. Als Beispiel: Auf einer Beerdigung trägt man schwarze Kleidung.

Weiterhin müssen wir diese Norm akzeptieren und selbst für verbindlich halten.

Erst wenn wir dann vor diesem Hintergrund gegen die Verhaltensvorschrift verstoßen, z.B. weil wir schwarze Kleidung vergessen haben und nun im quietschgelben Overall unter all den anderen Schwarzträgern erschienen sind, wird es für uns peinlich.

Wir verstoßen gegen unser eigenes Idealbild und spüren darüber die kritisierenden Blicke der anderen Personen, was zum unangenehmen Gefühl der Scham führt.

Letzten Endes klagen wir uns also selbst an, weil wir uns darüber im Klaren sind, dass wir etwas 'falsch' gemacht haben. Das Schamgefühl ist sozusagen nur die emotionale Begleiterscheinung dieser Selbstanklage.

Aus evolutionsbiologischer Sicht macht dieser Mechanismus durchaus Sinn: Unsere Tendenz, Schamgefühle möglichst vermeiden zu wollen, sensibilisiert uns nämlich für die Wertvorstellungen und Meinungen anderer und stellt damit ein wichtiges soziales Instrumentarium dar. 
 

Scham ist hartnäckiger als Schuld

Scham und Schuldgefühle sind eng miteinander verwandt. So ereilt uns das Gefühl von Schuld dann, wenn wir gegen moralische, ethische oder religiöse Normen verstoßen und uns dafür selbst kritisieren.

Trotzdem besteht ein großer Unterschied: Während bei Schuldgefühlen eine konkrete Handlung im Mittelpunkt steht, führen Momente der Scham dazu, dass wir unser gesamtes Selbst negativ betrachten.

Das Gefühl von Scham loszuwerden, fällt uns darum wesentlich schwerer, als Schuldgefühle zu bewältigen. Das hängt auch damit zusammen, dass es in unserer Gesellschaft viele gängige Methoden gibt, um uns von Schuld frei zu machen: durch eine Entschuldigung, das Bezahlen einer Strafe oder auch der Gang zur Beichte.  

Gegen das Gefühl von Scham hingegen gibt es keine Methoden, die von jetzt auf gleich wirken. Hier kann uns auf lange Sicht nur Selbstakzeptanz vom Schamgefühl befreien.

Aber: Es ist einfach viel leichter sich zu entschuldigen, als sich selbst so zu akzeptieren wie man ist.
 

Vor allem Frauen leiden unter Bodyshaming

Wie Studien belegen, schämen sich Frauen im Schnitt häufiger und intensiver als Männer.

Gerade Schamgefühle, die sich auf den eigenen Körper beziehen, spielen bei ihnen eine größere Rolle. Frauen begegnen ihrem Aussehen wesentlich kritischer als Männer und schämen sich schneller, wenn es nicht dem verbreiteten Schönheitsideal entspricht.

In diesem Atemzug spricht man auch von „Bodyshaming“ – ein Begriff der vielen Frauen, deren Körper vom gesellschaftlichen Schönheitsideal abweicht, bestens vertraut sein dürfte.

Auch Curvy-Model Angelina Kirsch kann davon ein Lied singen.

Es ist ihrem Selbstbewusstsein zu verdanken, dass es ihr dennoch gelingt, sich so zu akzeptieren wie sie ist, und sie damit sogar Erfolg hat.

Auf „provokante“ Weise lässt sie sich außerdem explizit ohne Filter mit Cellulite ablichten und veröffentlicht diese Bilder auf Instagram. Tausende Frauen sind ihr dankbar dafür, da sie ihnen auf diese Weise Mut macht, mehr zu sich selbst zu stehen.
 

Nur Selbstakzeptanz hilft gegen Scham

In diesem Zusammenhang ist Body Positivity das Schlagwort, dem sich immer mehr berühmte Influencerinnen und Models verschreiben. Indem sie sich selbst gegen vertraute Schönheitsideale stellen, versuchen sie, auch bei anderen Frauen für mehr Selbstvertrauen zu sorgen, indem sie mutig als Vorbilder vorangehen.

Eine aus diesem Kreis der #bodyactivists ist die Influencerin Anja Zeidler. Das ehemalige Fitnessmodel ruinierte ihre Gesundheit und ihren seelischen Zustand jahrelang, ehe sie einen Schlussstrich unter ihren Selbstoptimierungsdrang zog und für sich einen neuen Weg bestritt.

Heute ist sie Vorreiterin in Sachen Selbstliebe und Achtsamkeit und hat erst kürzlich ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: „Sei glücklich, nicht perfekt.“

In einem Interview mit FIT FOR FUN erzählt sie: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der es immer um Verbesserung geht – um mehr, schneller, weiter. Ich habe gelernt zu sagen, jetzt ist mal gut.“
 

Mit weniger Scham durchs Leben

Es sind zwei Schrauben, an denen sich drehen lässt, wenn Frauen ihr weibliches Schamgefühl unter Kontrolle bekommen wollen: Zum einen, indem sich gesellschaftliche Konventionen gerade in Bezug auf Schönheitsnormen ändern.

Erste bedeutende Schritte in die richtige Richtung sind zum Beispiel bereits bei H&M oder Nike erkennbar, die angefangen haben, Plus-Size-Mode medienwirksam zu bewerben.

Trotzdem ist hier weiterhin viel Arbeit nötig – auch wenn man dankbar für die öffentlichen Stimmen sein kann, die weiter in dieser Richtung aktiv werden.

Auf der anderen Seite können wir diese Bewegung auch selbst mitbeeinflussen, indem wir nicht mehr weiter an uns selbst herumzumäkeln, sondern bereitwilliger annehmen, was wir haben: Einen funktionierenden Körper, der uns die Teilhabe an einem wunderbaren Leben ermöglicht, das so viel leichter sein könnte, wenn wir aufhören würden, immer wieder unseren eigenen Selbstzweifeln und Schamgefühlen zu unterliegen. 

Quellen ausblenden
Autor
, News-Redakteurin
Quellen
Spektrum der Wissenschaft: Scham - Wozu ist sie gut?, Gehirn&Geist, 02/2019
PubMed: Tracking the trajectory of shame, guilt, and pride across the life span, abgerufen am 10.07.2019: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21114354
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