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Drachenfliegen Königin der Lüfte

Abheben first class – in Job und Hobby: Stewardess und Drachenflug-Weltmeisterin Corinna Schwiegershausen liebt die Welt von ganz oben! Werden Sie Zeuge Ihrer Leidenschaft.

Drachenfliegen
Florian Wagner

Sie wirkt wie ausgewechselt, kaum dass sie ihr Businesskostüm gegen die Outdoor-Sportklamotten getauscht hat. Die Augen funkeln, das Lächeln ist angeknipst. Ihr markantestes Merkmal sind mit Sicherheit die vielen Sommersprossen. Das gibt ihrem Gesicht etwas Freches, aber auch Hübsches, das so ganz außerhalb der Norm der klassischen Castingmodelle liegt. Die ihr zuteil werdende Aufmerksamkeit hat jedoch „höhere“ Gründe als pure Optik.

Das Fliegengewicht hebt ab

Drachenfliegen
Florian Wagner

Corinna Schwiegershausen (38) gehört zu den besten Drachenfliegerinnen der Welt – und das obwohl sie eigentlich aus der norddeutschen Tiefebene stammt. Aus Bremen. Wo die höchsten Erhebung in der Nähe der knapp neun Meter hohe Deich ist, der gegen die Wellen von Weser und Nordsee schützen soll. Aber jetzt steht sie auf rund 2300 Metern über dem Meeresspiegel in den Dolomiten – und der Blick auf die Marmolata treibt Adrenalin- und Endorphinspiegel in die Höhe. Gemeinsam mit Freundin Regina Glas, wie Corinna im deutschen Hängegleiter-Nationalteam, baut sie den rund 11000 Euro teuren Flügel auf. 13,5 Quadratmeter misst die Fläche des Drachens, bei ihrem Fliegengewicht von gerade mal fünfzig Kilogrammm sind Fluggeräte von zehn Quadratmetern normal.

Frei wie ein Vogel

Drachenfliegen
Florian Wagner

Es ist ein herrlicher Herbsttag, die Sonne gibt noch mal alles, die Thermik stimmt, und das Panorama rund ums Sellajoch zeigt sich „fantastico“. Dann mal los! Mit sicheren Handgriffen wie beim Tomatensaftausschank in 10 000 Meter Höhe baut die Stewardess ihren Flieger auf. Im Gegensatz zu den Gleitschirmpiloten, die ihren Schirm locker schultern können, ist das Hochschleppen des dreißig Kilo schweren Drachens harte Arbeit. Doch selbst nach zwanzig Jahren Schlepperei mit unzähligen Starts und Landungen lässt die Weltmeisterin die Flügel nicht hängen. Noch immer begeistert sie die Faszination, ohne Motorenhilfe und allein vom Wind getragen durch die Lüfte zu schweben. Bereits viermal wurde sie Weltmeisterin bei den Frauen, dazu noch sechsmal in der Teamwertung: „Ich habe irgendwie die Vogelgene in mir, Fliegen ist für mich das Allergrößte.“

In der Luft zu Hause

Diätrezepte
Florian Wagner

Corinnas erster und größter Berufswunsch war Pilotin – doch eine Sehschwäche verhinderte die Zulassung zur Ausbildung. Nun hebt sie als Stewardess bei der Kranich-Airline ab – nach Johannesburg, Buenos Aires, Mexiko-Stadt oder diverse Städte in Nord- und Südamerika. In über achtzig Länder hat sie es bisher geschafft: Auf einer Weltkarte in ihrer Münchner Wohnung markiert sie mit farbigen Stecknadeln die privaten Urlaubsziele, die Drachen-Flugreisen und die berufsbedingten Länder. So behält sie den Überblick über die weißen Flecke auf ihrer persönlichen geografischen Karte – um den Globus irgendwann möglichst flächendeckend aus der Luft betrachtet zu haben. Natürlich bedeutet das auch Verzicht. Privatleben im Sinne von gelebter Normalität ist rar: Selten ist sie länger als vierzehn Tage zu Hause – das wirkt schon fast getrieben, rastlos. Doch ihren Frieden findet sie erst „on air“, allein mit sich, den Elementen und der wunderschönen Welt da oben.

Interview mit Corinna Schwiegershausen

Drachenfliegen
Florian Wagner

Die Wahlmünchnerin arbeitet Teilzeit als Stewardess. Die übrige Zeit ist sie mit dem Drachen oder Gleitschirm in der Luft und hat insgesamt zehn WM-Titel gewonnen. Zudem ist sie Mitglied des deutschen Hängegleiter-Nationalteams und im Verband aktiv. Infos übers Drachenfliegen, Ausbildung und Kurse unter www.dhv.de

Können Sie uns Zurückgebliebenen erklären, was Sie da empfinden? Dieses Gefühl, durch die Luft zu gleiten, ist einfach faszinierend. Es ist die dritte Dimension, die Fliegen so unglaublich macht.
Wie sind Sie dazu gekommen? Gelernt habe ich es in einem Familienurlaub auf der Wasserkuppe (höchster Berg der Rhön, Anm. d. Red). Wandern war irgendwann zu langweilig, und dann haben zuerst mein Vater und danach ich mit dem Drachenfliegen angefangen. Jetzt möchte ich jeden Tag, an dem es die Bedingungen zulassen, in die Luft – ganz gleich, ob für einen Zehnminutenflug mit dem Gleitschirm oder einen Fünfstundentörn mit dem Drachen.
Sie haben eine Lehrerlizenz fürs Drachenfliegen – und fliegen auch noch Gleitschirm? Ich habe früher auch als Drachenfluglehrerin gearbeitet. Aber mittlerweile mache ich es nur noch sporadisch, die Zeit ist einfach zu knapp. Gleitschirm fliege ich immer noch sehr gerne. Oft nehme ich sogar nur den Schirm mit, wenn ich als Stewardess unterwegs bin und ein paar Tage frei habe. Der Drachen ist leider zu groß und zu schwer, um ihn immer mitzunehmen.
Worauf kommt es bei den Wettkämpfen im Drachenfliegen an? Man muss eine abgesteckte Strecke in möglichst kurzer Zeit fliegen. Das kann ein Dreieck sein oder eine Wendemarke in einer gewissen Entfernung. Mir kommt entgegen, dass ich im Flachland das Fliegen gelernt habe. Ich glaube, da entwickelt man eine noch größere Sensibilität für minimale Thermik – und das kommt mir im Wettkampf zugute.
Hatten Sie schon mal Angst oder eine brenzlige Situation? Bei den Filmaufnahmen am Schloss Neuschwanstein für die WM in diesem Jahr hatte ich ziemliches Herzklopfen. Ich musste sehr dicht an dem Schloss vorbeifliegen, und es gab reichlich Turbulenzen. Das war schon recht aufregend. Höhenangst habe ich ansonsten nur, wenn ich keinen Schirm oder Drachen dabeihabe.
Wie viele Stunden haben Sie bisher in der Luft verbracht? Rund 2800 Stunden – im Schnitt 140 Stunden im Jahr. Da werden selbst Profipiloten neidisch. Was war Ihre längste Strecke? Ich habe es mal auf 368 Kilometer gebracht, da war ich fast sieben Stunden in der Luft.
Eine lange Zeit – und was machen Sie, wenn Sie mal müssen? Ich trinke rechtzeitig vorher ziemlich viel und gehe dann auf Toilette. In der Luft muss man halt alles zusammenkneifen. Dann trinke ich fast nichts, vielleicht mal einen Red Bull Shot. Da ist wenig Flüssigkeit, aber viel Taurin als Wachmacher drin, damit die Konzentration erhalten bleibt. Man darf natürlich nicht dehydrieren: Das gefährdet die Konzentration, und das kann man sich da oben nicht erlauben.