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Land der abertausend Inseln

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Rituelles Lammopfer in der Vulkanlandschaft des Mount Bromo.
Rituelles Lammopfer in der Vulkanlandschaft des Mount Bromo. © Kemal Jufri

Der Buchmessen-Ehrengast Indonesien ist ein Land im Aufbruch, und es ist die beste Zeit, sich ihm zuzuwenden.

Von MARTIN KLEIN

Indonesien duftet. Der Geruch einer Millionenstadt wie Yogyakarta ist eine Mischung aus gegrillten Hühnerspießen, glimmender Holzkohle, verbrannten Abfällen, Benzin, Nelkenzigaretten und unzähligen Früchten. Die Stachelfrucht Durian ist deren Königin. Von ausländischen Besuchern entweder geliebt oder verabscheut, spottet sie jeder bislang unternommenen Beschreibung in die eine wie die andere Richtung.

Ein Land von 250 Millionen Menschen auf tausenden von Inseln. Man möchte glauben, seine Einwohner lebten in einem Paradies. Dieser Glaube ist ein verzeihbarer, weil naheliegender Irrtum. Bali ist zauberhaft, beeindruckend auch Borobudur und Prambanan, die Vulkanlandschaften des Bromo, die Tauchgründe Sulawesis, die Reislandschaften Javas, die Nachtmärkte Riaus! Die Menschen sind gastfreundlich, zuvorkommend, friedlich, wie eingebettet in geordnete Welten des Religiösen, der gegenseitigen Nachbarschaftshilfe und Traditionspflege, sie feiern Rituale, Übergangszeremonien, zelebrieren große Feste und laden uns dazu ein. Es beten Muslime, Christen, Hindus und Buddhisten gemeinsam um guten Verlauf und rufen den „Einigen Gott“ an – „Tuhan Yang Maha Esa“. Doch was uns als wunderbare Harmonie erscheinen mag, ist der pragmatische Versuch, das Widerstreitende zusammenzubinden.

Naturkatastrophen

Die Verbindung und rituelle Auflösung von Gegensätzen ist ein markantes Merkmal der indonesischen Kulturen. Ihre erste Lehrmeisterin war von jeher die Naturkatastrophe: Nach dem verheerenden Tsunami in Aceh 2004 bewies die indonesische Zivilgesellschaft eine Stärke, die viele nicht erwartet hatten. Sogar die Beendigung des langen Unabhängigkeitskampfes in Aceh wurde in diesem Moment möglich.

In ihrer Nationalhymne besingen die Indonesier ihr Land als „Tanah Airku“: „Mein Land und Wasser“. Konsequent zählt der Staat Indonesien die verbindenden Gewässer der Javasee und Bandasee zu seinem Landesterritorium. Aus dem Orbit betrachtet erscheint das Staatsgebiet wie eine leuchtende Perlenkette: 5114 Kilometer pure Schönheit von Indien bis Australien. Erdgeschichtlich jung, entstanden die über 17 000 Inseln in der tektonischen Nachbarschaft zum pazifischen Feuerring vor 2,5 Millionen Jahren. 147 aktive Vulkane ragen bis zu 3800 Meter hoch direkt aus dem Meer in den Himmel. Manche davon, wie Krakatau und Tambora, gingen durch ihre Ausbrüche als wahre Monster in das historische Gedächtnis der Menschheit ein.

Indonesiens Artenvielfalt ist ebenso atemberaubend wie sein Reichtum an Bodenschätzen und Naturerzeugnissen. Seit jeher galt Borneo als die Insel der Diamanten und Edelsteine, Sumatra als die Goldinsel, um die Molukken wurden Kriege um Pfefferkorn und Gewürznelke geführt. Die Fruchtbarkeit der vulkanischen Böden ist sagenhaft. Die Reisbauern auf Bali und Java erzielten lange vor der Einführung moderner Anbaumethoden drei Ernten im Jahr. So einzigartig die Vielfalt der kultivierten Gewürze, so unübersehbar auch die Zubereitungen der indonesischen Speisen. Nur wenige davon sind im Westen bekannt: Saté und Gado-Gado vielleicht, aber wer hat je Rendang, Tongseng, Soto Ayam, Ikan Asin und Sambal Terasi gekostet?

Vielfalt der Sprachen

So ist Indonesien in vielen Hinsichten ein Land des natürlichen und kulturellen Reichtums. Doch erst in der letzten Zeit bekommen die Indonesier diesen Reichtum zu fassen, nachdem eine lange Kolonialzeit, eine autokratische Entwicklungsdiktatur und der ausbeutende Zugriff westlicher und inländischer Industriekonzerne diesen Reichtum von ihren eigentlichen Besitzern fernhielten. Gerade der kulturelle Reichtum war für Staatsgründer Sukarno und besonders für Militärdiktator Suharto ein Mittel des Machterhalts. Die Kultur wurde zentralisiert und nicht, wie es naheliegen würde, den Regionen überlassen. Auch die Wirtschaft unterlag einer zentralen Steuerung. Ökonomisch galt Indonesien lange Zeit als der schlafende Riese Südostasiens. Der Reichtum floss ab, ins Ausland oder in die Taschen des Suharto-Clans und seiner Günstlinge. Wenig davon gelangte bis zu den Bauern in die Dörfer oder zu den Lohnarbeitern in den Städten. Der „Vater des Aufbaus“, wie Suharto sich titulieren ließ, versorgte vor allem seine Familie und ließ das Land ökonomisch und kulturell stagnieren. So schlummerte der Staat mit der viertgrößten Bevölkerung der Erde vor sich hin. Heute ist klar, dass der schlafende Riese dabei ist, zu erwachen.

Indonesien ist ein junges Land mit uralter Geschichte. Das im 8. Jahrhundert zur Blüte gelangte buddhistische Reich Sri Wijaya, das hinduistische Reich Majapahit und das islamische Mataram auf Java bilden bis heute den Urquell der eigenen Nationalgeschichte. Auf Java finden sich beeindruckende Überreste uralter Königreiche. Doch jede Region besitzt eine eigene Geschichte mit eigener Kultur, Sprache und Literatur.

Allein auf Sumatra begegnet man der streng muslimischen Gesellschaft Acehs, einst Sultanat, der protestantisch missionierten batakischen Kultur am Tobasee, einst Kopfjäger, dem islamischen Matriarchat Minangkabau in Mittelsumatra, schließlich den südlichen Flusskulturen in Jambi, Palembang und Lampung.

Über 300 traditionelle Sprachen sind auf den Inseln lebendig. Die Nationalsprache Bahasa Indonesia ist eine Übernahme des Malaiischen. Sie einigte das Land nach der Unabhängigkeit und machte aus den vielen Völkern Indonesiens ein Nationalvolk. Seid ihrer Einführung vor 70 Jahren hat sie sich fortwährend weiterentwickelt. Wortschätze und Sprachstrukturen wurden in sie übernommen, auch aus Fremdsprachen wie Chinesisch, Indisch und Arabisch. Im Roman „Kinder aller Völker“ von Pramudya Ananta Toer stößt man noch auf viele niederländische Worte und Wendungen. Heute finden sich bei den jungen Autoren immer mehr Anleihen aus dem Englischen. Sie hören auf den stets neu wechselnden Ton ihrer Landessprache, wie er ihnen in Häusern und Büros, auf Straßen, Märkten und in den Medien entgegenhallt. Die Befreiung von der Diktatur ab 1997 war zugleich eine Befreiung der Sprache, der Medien und der Literatur.

Spätestens mit der Wahl des liberalen Reformpolitikers Joko Widodo zum Präsidenten scheint die Entwicklung Indonesiens zu einer dynamischen Industrienation und zur größten funktionierenden Demokratie mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung auf einen gangbaren Weg gebracht. Jokowi, wie er genannt wird, steht ebenso für die Hoffnungen der kleinen Leute auf ein besseres Leben wie für die Ambitionen einer wachsenden urbanen Mittelklasse.

Der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft hat mit dem neuen Präsidenten handfeste Glaubwürdigkeit erhalten. Er weiß, dass ohne diesen Kampf der Aufbau eines Rechtsstaates, eines Bildungssystems, einer gerechten Besteuerung und einer modernen, die vielen Inseln verbindenden Infrastruktur scheitern muss. Das Land ist in Bewegung und sucht Anschluss an die globale Entwicklung, ökonomisch und kulturell.

In kaum einem anderen Land werden Facebook & Co von der jungen Generation so intensiv genutzt wie in Indonesien. Das Wort von der „Generasi Nunduk“ macht die Runde, frei übersetzt die „Generation der geneigten Köpfe“. Es spielt kritisch auf die Körperhaltung beim fortwährenden iPhone-Gebrauch an. Die Vorstellungen vom guten Leben formieren sich neu und entfernen sich zunehmend von den traditionellen Wertegefügen. Der Aufbruch im Land umfasst alle Bereiche.

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