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FOCUS Magazin | Nr. 36 (2012)
REPORT: »Umlegen, zerstückeln und massakrieren«
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60 Jahre Bundesrepublik Deutschland
dpa Bild 1/41 - 7. September 1987. DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker wird von Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn mit militärischem Zeremoniell empfangen und schreitet die Front der Ehrenformation ab.
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  • FOCUS-Magazin-Korrespondent (Berlin)

Neo-Nazis und Ex-DDR-Bürger wollten laut Stasi-Unterlagen Erich Honecker bei seinem Staatsbesuch im Westen ermorden

Erich Mielke war ernsthaft besorgt. Der anstehende Besuch des Genossen Erich Honecker in Bonn habe eine „außerordentliche politische sowie sicherheitspolitische Bedeutung“, doch „der Klassengegner werde nichts unversucht lassen, das Hauptanliegen des Besuchs zu verfälschen“. So schrieb der Stasi-Chef am 10. August 1987 in seinem 18-seitigen „Befehl Nr. 12/87“.

Jahrelang musste der Diktator aus Ostberlin warten, bis er von Michail Gorbatschow, dem reformorientierten Chef in Moskau, grünes Licht für seine Reise nach Bonn vom 7. bis 11. September bekam.

Honecker fühlte sich am Ziel seiner Träume, die DDR als gleichberechtigten zweiten deutschen Staat neben der Bundesrepublik der Welt zu präsentieren.

Eine heikle Mission. Für Mielke als Chef des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) stand bei der Vorbereitung allerdings nicht die Politik im Vordergrund. Er fürchtete um das Leben des Genossen Staatsratsvorsitzenden, wie aus einst geheimen Unterlagen hervorgeht, die FOCUS vorliegen.



18 Stasi-Abteilungen überwachten demnach das Projekt „Dialog 87“. Es war damit der größte Auslandseinsatz des MfS und nach Einschätzung der Geheimpolizei der gefährlichste Staatsbesuch Honeckers.

Morddrohungen aus der Bundesrepublik gegen Honecker waren seit 1982 immer wieder eingegangen – schriftlich oder telefonisch, anonym oder unter Pseudonym. Doch seitdem der Termin für den Besuch im August 1987 bekanntgegeben worden war, schwoll die Zahl solcher „massiven Drohungen von Mord und Gewalt“ gegen Honecker an.

„Intensität, Schärfe und Aggressivität“ nahmen dabei deutlich zu, wie die Stasi vermerkte. Es wurde gedroht, den „Generalsekretär unter Anwendung von Schusswaffen, Sprengmitteln sowie der Nutzung von Laserstrahlen umzulegen, abzuknallen, zu massakrieren oder zu zerstückeln, um eine Rückkehr in die DDR zu verhindern“.

Ostberlins Geheimpolizei in Alarmbereitschaft. Waren laut Stasi-Unterlagen zwischen 1982 und 1987 insgesamt 56 Drohungen gegen „Leben und Gesundheit“ des DDR-Chefs operativ erfasst, gingen allein in den letzten sieben Wochen vor Reiseantritt 76 ernsthafte Morddrohungen ein.

Die meisten kamen von ehemals inhaftierten und von der Bundesregierung freigekauften DDR-Bürgern, die Honecker „haßerfüllt“ verfolgten. Nicht weniger gefährlich schien den ostdeutschen Geheimdienstlern die Bedrohung durch westdeutsche Neo-Nazis. Zwar standen beide Gruppen von „antikommunisti-schen, revanchistischen und nationalistischen Kräften“ ohnehin unter Stasi-Observation, doch im Vorfeld des Besuchs verschärfte die Staatssicherheit ihre Überwachungsmaßnahmen noch einmal. Allein die für Terrorabwehr zuständige „Abteilung XXII“ brüstete sich mit dem Einsatz von 69 inoffiziellen Mitarbeitern (IM), davon 33 aus Westdeutschland.

Die Erkenntnisse der Spitzel wurden an die westdeutschen Sicherheitsbehörden weitergeleitet. Nach einem Stasi-Hinweis nahmen Fahnder des Bundeskriminalamts tatsächlich am 10. September im saarländischen Wiebelskirchen während des Aufenthalts Honeckers ein Mitglied der rechtsextremen Szene fest. Ein anderer Neo-Nazi wurde zur Fahndung ausgeschrieben.

Auch wenn die Stasi-Mitarbeiter die Zusammenarbeit mit den westdeutschen Kollegen lobten, Boss Mielke vertraute dem „Klassenfeind“ nicht. So ließ er Honecker ständig durch 20 eigene Personenschützer abschirmen. Zu deren Ausstattung gehörten – nach kollegialer Absprache mit dem Bundeskriminalamt – Pistolen, Knüppel und Reizgas. Zwei von ihnen führten Miniknirpse mit – zum Schutz vor möglichen Tomatenwürfen.

Besonders dankbar registrierten Mielkes Handlanger, dass Honecker mit einem Puma-SA-330-Hubschrauber zu den verschiedenen Terminen geflogen wurde. Der Staatsratsvorsitzende fürchtete sich vor Autofahrten durch den wilden Westen. Allerdings nicht wegen möglicher Anschläge, sondern ganz banal vor den „chaotischen“ Verkehrsverhältnissen im real existierenden Kapitalismus. Die Unfallrate sei erschreckend hoch, kein Autofahrer würde sich an Tempolimits halten. Und was wäre, wenn der oberste Genosse im Stau steckenbliebe?

Genosse Honecker kam wohlbehalten zurück nach Ostberlin. Das lag laut Stasi-Unterlagen auch an der professionellen Organisation der westdeutschen Behörden – und an der „hohen Einsatzbereitschaft und Kampfmoral“ der eingesetzten MfS-Kräfte.

Die Stasi-Offiziere erlebten somit ausgerechnet beim Klassenfeind in Bonn ihren letzten großen Auftritt. Zwei Jahre später brach Mielkes Ministerium des Schreckens zusammen.
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