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Eigentlich nicht genehm

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Peter Ustinov im jahr 1961 als  Kapitän Vere in einer Szene aus 'Billy Budd'.   Ustinov spielte nicht nur die Hauptrolle, sondern adaptierte den Roman für die Leinwand und führte Regie.
Peter Ustinov im jahr 1961 als Kapitän Vere in einer Szene aus 'Billy Budd'. Ustinov spielte nicht nur die Hauptrolle, sondern adaptierte den Roman für die Leinwand und führte Regie. © Getty

Neu übersetzt: Melvilles "Billy Budd" und die großen Erzählungen. Am bekanntesten die vom Lohnschreiber Bartleby. Dessen stereotypes "I would prefer not to" heißt jetzt "Es ist mir eigentlich nicht genehm".

Von YAAK KARSUNKE

Der Nachruhm des amerikanischen Erzählers Herman Melville (1819-91) gründet sich auf sein Walfänger-Epos "Moby- Dick"; in Deutschland sind derzeit zwei konkurrierende Neuübersetzungen auf dem Markt, die sich offenbar beide gut verkaufen. Der Autor selbst konnte, als die Erstausgabe des Romans 1851 erschien, von so einem Erfolg nicht einmal träumen: Es hagelte Verrisse, und der Weiße Wal zog die Karriere seines Verfassers unaufhaltsam mit sich in die Tiefe.

Der junge Melville, der nach dem frühen Tod seines Vaters bereits mit 13 Jahren die Schule verlassen musste, hatte sich zunächst mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen, bevor er 1839 zur See ging, unter anderem fuhr er zweieinhalb Jahre auf Walfängern. Ende 1844 kehrte er in die USA zurück und begann, seine als Matrose gewonnenen Erfahrungen literarisch zu verarbeiten. In rascher Folge schrieb und veröffentlichte er fünf Bücher, die als Südsee- und Abenteuerromane nicht nur im angloamerikanischen Sprachraum die Leser begeisterten, einige wurden auch ins Deutsche übersetzt.

Nach dem Misserfolg des "Moby-Dick", in dem er das nahezu enzyklopädisch ausgebreitete Material zu einer symbolistischen Walfang-Saga überhöht hatte, versuchte er vergeblich, wieder an seine frühen Erfolge anzuknüpfen. Nach zwei weiteren Romanen, die weder bei der Kritik noch beim Lesepublikum sonderlich Anklang fanden, verlegte sich Melville auf kürzere Geschichten für Zeitschriften und Magazine, aus denen er 1856 den Erzählungsband "The Piazza Tales" zusammenstellte.

Zusammen mit dem nachgelassenen "Billy Budd"-Roman sind diese "Geschichten von der Galerie" jetzt im Rahmen der Melville-Ausgabe des Hanser Verlags erschienen. Die berühmteste von ihnen handelt von dem Lohnschreiber Bartleby, der bei einem Notar in der Wall Street als Kopist arbeitet - bis er eines Tages beginnt, einige ihm erteilte Aufträge mit der stereotypen Formel "I would prefer not to" abzulehnen (der Übersetzer Michael Walter begründet zwar ausführlich, warum er das mit "Es ist mir eigentlich nicht genehm" eingedeutscht hat, dem Rezensenten scheint aber Karl Lerbs' alte Übersetzung von 1939 weniger gestelzt und daher Bartleby angemessener, da sagt er einfach "Ich möchte lieber nicht").

Die rätselhafte Arbeits- weitet sich zu einer existenziellen Lebensverweigerung aus, Bartleby verhungert schließlich im Stadtgefängnis. Erzählt wird das von seinem ehemaligen Arbeitgeber, den das zerstörerische Verhalten seines Untergebenen aus seiner alltäglichen Routine aufgeschreckt hat, so dass die an Kafka gemahnende Geschichte als Rollenprosa eines Winkeladvokaten in brillanter Verkleidung daherkommt.

Die anderen Erzählungen der Sammlung spielen überwiegend auf den von Melville bevorzugten maritimen Schauplätzen, wobei er zum Teil auf die Reiseberichte älterer Seefahrer zurückgriff. Die Skizzenfolge über die Galapagos-Inseln hingegen beruht auf eigener Anschauung, die manchmal zu verblüffenden Einsichten komprimiert wird. So heißt es etwa über die Riesenschildkröten: "Ihr größter Fluch ist ihr knechtischer Drang zur Geradlinigkeit in einer unaufgeräumten Welt." Figuren wie der kreolische Hundekönig, der an den "Schwierigkeiten, ein wüstes Eiland mit prinzipienlosen Pilgern zu besiedeln" scheitert, oder der "wilde Weiße" Oberlus dagegen erscheinen wie Vorboten jener Schreckenswelt, die Joseph Conrad fast ein halbes Jahrhundert später als "Herz der Finsternis" beschrieben hat.

1866 gelang es Melville endlich, eine feste Anstellung (als Zollinspektor im Hafen von New York) zu ergattern, die er erst 19 Jahre später aus Altersgründen aufgeben musste. Ab 1886 arbeitete er dann an seinem letzten Roman, dessen Manuskript nach seinem Tod (im September 1891) zunächst auf einem Dachboden landete und erst 1919 wiederentdeckt wurde. Eine sehr unzulängliche Transkription wurde 1924 gedruckt - die erste zuverlässige Textausgabe erschien 1962, sie liegt jetzt der Übersetzung von Daniel Göske zugrunde.

"Billy Budd, Matrose" schildert den Fall eines jungen, in die englische Kriegsmarine gepressten Seemanns, der von einem Waffenmeister - dessen unbewusst homoerotische Motive Melville dezent andeutet - fälschlich beschuldigt wird, eine Meuterei anzetteln zu wollen. Vom Kapitän mit dieser Anklage und dem Ankläger konfrontiert, schlägt Budd den Denunzianten so unglücklich zu Boden, dass der stirbt. Der Kapitän, obwohl von Budds Unschuld überzeugt, überantwortet ihn aus disziplinarischen Gründen einem Kriegsgericht und lässt ihn hängen.

Melvilles erklärte Absicht, die "groben Ecken und Kanten" seiner Geschichte nicht zu Gunsten einer literarischen Form glätten zu wollen, wird von seiner Intention unterlaufen, sie dennoch als philosophische Parabel zu erzählen, was dem - durchaus kritisch gesehenen - Geschehen letztlich die tödliche Schärfe nimmt. Dass Billy mit seinen letzten Worten Gottes Segen auf den Kapitän herabfleht und nach seiner Hinrichtung die aufgehende Sonne eine Wolkenbank mit "einem sanften Glorienschein durchwirkt (…) wie das Vlies des Gotteslamms in einer mystischen Vision" ist auch dadurch nicht wieder gutzumachen, dass besagter Kapitän kurz darauf bei einer Seeschlacht selbst tödlich verwundet wird.

Herman Melville: Billy Budd / Die großen Erzählungen. Neu übersetzt von Michael Walter und Daniel Göske. Hanser 2009, 570 S., 34,90 Euro.

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