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Was auf keinen Fall geschehen darf

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Vier Oras in "Eine Frau flieht vor einer Nachricht": Altine Emini, Eva Bühnen, Christina Geiße, Sarah Gruner (v.l.n.r.).
Vier Oras in "Eine Frau flieht vor einer Nachricht": Altine Emini, Eva Bühnen, Christina Geiße, Sarah Gruner (v.l.n.r.). © Jessica Schäfer

Schauspiel Frankfurt II: "Eine Frau flieht vor einer Nachricht".

David Grossmans Roman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ (auf Deutsch 2009), mit gutem Grund mehr als 700 Seiten lang, hat sich gleichwohl plausibel auf einen zweistündigen Theaterabend bringen lassen. Wesentliche Eckpunkte, wenn man das so förmlich sagen darf, kommen in der Fassung des Dramaturgen Alexander Leiffheidt und der Regisseurin Jessica Glause zur Geltung und werden in Spiel- und vor allem Redeszenen überführt.

Dass eine Romanadaption mehr für die dahinterstehende Literatur wirbt als für die Eigenheiten des Theaters, ist keine Seltenheit und auch hier der Fall, obwohl oder gerade weil die Inszenierung in den Kammerspielen des Schauspiels Frankfurt erzählerisch spannend und gelungen ist; gelungen etwa in der Eleganz, mit der sich das Geschehen zeitlich und personell verzweigen kann und doch ohne permanente Zusatzerklärungen verständlich bleibt. Und – das ist schon verblüffender – obwohl oder gerade weil Glause dabei um theatralische Mittel bemüht ist. Sie kann den Romangeschichten an Intensität nicht mehr geben als das, was da ist. Eine Leistung. Aber alles bleibt ein Vehikel für ein Buch, das man jetzt sofort in eine Decke gewickelt auf einem Sofa liegend lesen und weiterlesen müsste.

Ein verzweifelter Fall von magischem Denken

Nun sind wir jedoch hier. Das ist auch kein Fehler. Es ist wichtig, was Grossman erzählt und möglichst viele Menschen sollten auf möglichst vielen Wegen darauf stoßen. Leiffheidt und Glause halten zudem mit dem wirkungsvollsten Einfall ihrer Fassung keinen Moment hinter dem Berg. Die Titelfigur wurde vervierfacht. Sarah Grunert, Christina Geiße, Altine Emini und Eva Bühnen sind Ora und treten fast immer gemeinsam auf. Manchmal dialogisch in jenem Widerstreit, in dem sich Menschen allenthalben mit sich selbst befinden, manchmal als nur in Nuancen unterschiedliche vierköpfige Gesamtpersönlichkeit. Die Frau, die vor einer Nachricht flieht, ist dadurch offenkundig eine Vertreterin vieler Frauen (wenn auch nicht der Frau an sich), zugleich überzeugen die vier durchaus als komplexes Individuum. Man erlebt in der Funktionstüchtigkeit dieser nicht neuen, aber gut ausgeführten Idee einmal wieder an sich selbst mit, wie die Fantasie sich auf alles Mögliche einlassen kann und will, wenn es ihr nur mit Geschick unterbreitet wird.

Grunert, Geiße, Emini und Bühnen tragen schlichte dunkle Kleider und moderne rote Turnschuhe (Kostüme: Hugo Holger Schneider), denn sie werden unterwegs sein. Die Israelin Ora flieht vor einer Nachricht, weil sie sich um ihren Sohn sorgt, der sich als Freiwilliger für einen Militäreinsatz gemeldet hat, obwohl sein Wehrdienst gerade vorbei gewesen wäre. Es ist ein einleuchtender und verzweifelter Fall von magischem Denken: Ora will das Schicksal überlisten, indem eine mögliche Todesnachricht auf keine Empfängerin träfe. Mit Avram, dem Vater ihres Sohnes Ofer, macht sie sich auf eine Tour auf, wie auch der Roman eine Wanderung durch israelische Zeiten und Schicksale ist. Mai Gogishvili hat eine gebirgsartige Bühne dafür gebaut. Der Boden besteht aus rosageäderten übereinandergelagerten Schichten – Matten, Gesteinsplatten, Fleischscheiben.

Große rundliche amorphe Geröllstücke, blass hautfarben, können auch in die Höhe gezogen werden wie große Stücke in der Fleischverarbeitung. Eine symbolisch aufgeladene Gegend also, die merkwürdigerweise eine naive Seite hat. Vielleicht liegt es daran, wie emsig die Schauspieler mit den Bestandteilen herumhantieren.

Eine Wanderung durch israelische Zeiten und Schicksale: Avram ist nicht Oras (Ex-)Mann. Der heißt Ilan, er, Avram und Ora haben sich 1967 als Teenager während des Sechstagekriegs kennengelernt (wie fast immer etwas nervig: Schauspieler, die am Anfang also Kinder spielen müssen) und immer, sozusagen von Krieg zu Krieg, im Auge behalten. Wie im Buch bleibt Ora das Zentrum, aber Matthias Redlhammers Avram ist keine Randfigur, während David Camplings Ilan hinter seinem ebenfalls von Campling gespielten Sohn Ofer zurücktritt. Redlhammer zeigt ostentativ einen Sonderling, Campling einen vor fragloser Entschlossenheit schon stumpf wirkenden jungen Kraftbolzen. Das etwas Holzschnitthafte der Männerfiguren ist manchmal etwas unglücklich. Jedoch lenkt die Typisierung den Blick auf das Exemplarische der Situation: ein Land im zermürbenden Dauerkriegszustand, Menschen, die davon auf ganz verschiedene Weise ver- oder zerstört werden. Erschütternd, wenn Ora sich daran erinnert, wie ihr klar geworden ist, dass ihr eigener Sohn beim Militär verroht. 

David Grossman, schon am Vorabend im Gespräch zu erleben (FR v. 12.1.), trat zum Schlussbeifall freundlich hinzu und wurde zu Recht als eigentliche Hauptperson beklatscht. Es handelt sich dank seines Romans um zwei Stunden, die das Gesprächsniveau bei politischen Themen deutlich heben können. 

Schauspiel Frankfurt, Kammerspiele: 25. Januar, 2., 9. Februar. 

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