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„Retoure“ (NDR): Reformator im Camping-Panzer

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Retoure
Willkommen im Wilden Osten: Oliver Drittenpreis (Wanja Mues) und Stefanie Stappenbeck. © NDR/Kinescope Film/O-Young Kwon

Hintersinnig und ein großes Vergnügen: Die NDR-Produktion „Retoure“ startet in der ARD-Mediathek.

Frankfurt am Main – Die Heimsuchung rollt mit einem Fahrzeug auf den Hof, das Susanne Krombholz (Stefanie Stappenbeck) sehr zutreffend als „Camping-Panzer“ bezeichnet. Ein Wohnmobil auf LKW-Chassis, ausgestattet mit allen Schikanen, ein Luxusschneckenhaus. So gewichtig, dass es auf unbefestigten Campingplätzen bei Regen vermutlich im Boden versackt.

Aber der Steuermann Oliver Drittenpreiß (Wanja Mues) denkt gar nicht an einen temporären Aufenthalt. Er ist in ein stilles Gebiet Mecklenburg-Vorpommerns vorgedrungen, um eine einsam auf weiter Flur stehende Retourenzentrale zu einem europaweit einzigartigen „Hyper Center“ auszubauen. Seine Vorstellungen präsentiert er futuristisch in Form einer Holoprojektion und salbadert im Wichtigtuerjargon unter anderem von der „Wende 2.0“. Die Vorzüge des nahe dem real existierenden, Kalauer provozierenden Pampow gelegenen Standorts: verkehrsgünstig, niedrige Löhne, üppige Wirtschaftsförderung.

„Retoure“ (NDR): Originelle Ideen und pointierte Wortwechsel

Susanne Krombholz und ihre kleine Belegschaft möchten aber gar nicht in der Liga der „Global Player“ spielen. Sie sind mit ihrem Dasein und ihrer Arbeit sehr zufrieden, denn ihren kargen Lohn stocken sie auf: indem sie Retouren, die eigentlich in den Schredder sollen, unter der Hand auf eigene Rechnung wieder verkaufen. Das Unternehmen leidet keinen Schaden, und diese Handhabung ist erheblich umweltfreundlicher als die Entsorgung des Plastikmulchs.

Davon darf der strebsame Sendbote der Unternehmensleitung natürlich nichts erfahren. Und so beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel, von den Drehbuchautoren Katharina Walther und Florian Mengel ausgestattet, mit einer Fülle origineller Ideen und mit pointierten Wortwechseln angereichert.

„Retoure“ (NDR): Achtung, Kampf-Pony!

Zum Beispiel wacht vor der gigantischen Lagerhalle ein Kampf-Pony, das den tatendurstigen Reformator aus dem Westen aber so gar nicht leiden kann. Der ergreift klugerweise die Flucht und muss wenig später hilflos mitansehen, wie sein Smartphone unter den Hufen des Tieres ein grausiges Ende findet.

Ein weiteres Handy wird Opfer der Vietnamesin Ahn Chow (Mai-Phuong Kollath), die mitleidlos den Hochleistungsschredder mit dem Kosenamen Eddie bedient. Die Bekanntschaft mit Ahn haut Drittenpreiß um. Wortwörtlich.

Zur Sendung

In der ARD-Mediathek startet das Vergnügen am 5.12., das NDR-Fernsehen zeigt den Dreiteiler am 21.12. ab 22:00 Uhr.

Regisseur Torsten Wacker lässt die komischen Szenen nie in Klamauk ausarten, sondern eher unterspielen, setzt sie nicht durch gewollte Überbetonung ab vom Geschehen, was sie umso witziger macht. Die Betriebschefin Susanne Krombholz gerät in manche Bredouille und muss meist rasch reagieren, was ihre Darstellerin Stefanie Stappenbeck glücklicherweise nicht verleitet, in hektisches Gezappel zu verfallen. Oft genügt ein Blick, ein Heben der Augenbraue, eine minimale Änderung der Gesichtszüge, und es ist alles gesagt. Schon Goethe wusste: „Man kann dem Publikum keine größere Achtung bezeigen, als indem man es nicht wie Pöbel behandelt.“

„Retoure“ (NDR): Thematisch auf der Höhe der Zeit

„Retoure“ gehört in das Subgenre der „Workplace Comedy“. Ohne große Mühe lassen sich darüber hinaus Motive des deutschen Heimatfilms erkennen, dessen Personal alles Fremde meist suspekt war. Aber Drittenpreiß ist eigentlich ein Heimkehrer, die Erzählhaltung konsequent ironisch, und durch die eben nie alberne Komik schimmert die sehr angebrachte und zeitgemäße Frage, ob wirtschaftliche und technische Fortschritte den Menschen per se zum Vorteil gereichen. Das Hin und Her des Versandhandels wirkt sich signifikant aufs Klima aus, und die Exposition der solide recherchierten Geschichte ist beileibe nicht aus der sich stetig erwärmenden Luft gegriffen: Tatsächlich werden jährlich Tausende von Rückgaben vernichtet. In Deutschland weniger als anderswo, aber immer noch eine gewaltige Menge.

Vorerst wurden drei Teile á dreißig Minuten gefertigt (Kinescope Film), die hoffentlich, dem Versprechen der Schlussszene nachkommend, baldmöglichst als Serie fortgesetzt werden. (Harald Keller)

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