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Droht ein neuer Kalter Krieg? Diese Staaten wollen sich nicht positionieren

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Zwei Boxer China und USA starren sich an vor einer Reihe teilnahmsloser Zuschauender
Zaungäste beim Showdown der Supermächte China und USA: Viele Staaten wollen sich nicht in den Konflikt hineinziehen lassen. © N. Bruckmann/Midjourney*

Droht ein Kalter Krieg zwischen dem Westen und einem Block aus Russland und China? Vielen Ländern ist das herzlich egal. Sie verfolgen ausschließlich ihr eigenes Interesse. Brasilien und Indien machen es vor.

Frankfurt – Die USA und China verhaken sich im Dauerstreit, zwischen den Supermächten droht eine Art neuer Kalter Krieg. Auch die Spaltung zwischen dem Westen und Russland, ausgelöst durch die Ukraine-Invasion Wladimir Putins, wird bis auf Weiteres fortbestehen. Europa debattiert nach der „Kein Vasall der USA“-Aussage des französischen Präsidenten Emmanuel Macron wieder mal über die richtige China-Politik. Doch was uns in Europa als geopolitische Bedrohung gilt, lässt eine erstaunlich große Zahl von Ländern ziemlich kalt. Sie weigern sich, im Umgang mit China Partei zu ergreifen oder sich im Ukraine-Krieg ins Lager des Westens ziehen zu lassen. Sie wollen mit allen Seiten möglichst entspannte Beziehungen haben – und Geschäfte machen.

Offen für Avancen aus China sind dabei keineswegs nur Staaten, die ebenso wie die Volksrepublik autoritär regiert werden. Sondern auch Demokratien, die dem Westen eigentlich als natürliche Verbündete gelten – Indien und Indonesien etwa oder Brasilien. Dessen Präsident Luiz Inácio Lula da Silva war gerade mit einer großen Delegation in Shanghai und Peking und traf Staatschef Xi Jinping. Wenige Wochen zuvor war Lula bei US-Präsident Joe Biden zu Gast gewesen. Dort gab es für ihn warme Worte, aber wenig Zählbares. In China unterzeichneten beide Länder dagegen 15 Abkommen.

In Peking betonte Lula nun, dass er „gemeinsam mit China die Geopolitik der Welt ins Gleichgewicht bringen“ wolle. Dazu strebe er eine Beziehung an, die „über die Handelsbeziehungen hinausgeht“. Sein Außenminister Mauro Vieira hatte kürzlich der Lateinamerika-Fachzeitschrift Americas Quarterly im Interview gesagt, es gebe für Brasilien „keine automatische Ausrichtung auf eine der beiden Seiten“, die USA oder China. „Was uns leitet, ist das nationale Interesse im Rahmen des Multilateralismus und des internationalen Rechts“, so Vieira.

China, Russland und der Westen: Viele Länder verweigern Allianzen mit den Großmächten

Es mag für viele im Westen schwer verdaulich sein: Doch so wie Brasilien sehen das erstaunlich viele Staaten. Die Research-Einheit des britischen Magazins Economist untersuchte kürzlich die 25 wirtschaftlich größten Länder, die sich aus Ukraine-Krieg und der Konfrontation zwischen USA und China heraushalten. Sie repräsentieren satte 45 Prozent der Weltbevölkerung und 18 Prozent der Weltwirtschaft. Zu dieser Gruppe gehören die weltgrößten Demokratien Indien und Indonesien sowie autoritär regierte Staaten wie Vietnam, Saudi-Arabien oder Ägypten. Auch sind sie höchst unterschiedlich reich. Die jährliche Wirtschaftsleistung pro Kopf in Saudi-Arabien liegt bei mehr als 27.000 US-Dollar, in Pakistan bei nur rund 1.600 US-Dollar.

Doch sie haben eines gemeinsam, schreibt der Economist: „Sie sind unbarmherzig pragmatisch und haben als Kollektiv an Macht gewonnen.“ Mauro Vieira sagt es unmissverständlich: „Wir werden immer mit jedem reden. Unabhängig von der ideologischen Ausrichtung. Das nationale Interesse steht über allen Unterschieden in der politischen Haltung.“

Brasiliens Präsident Lula bekommt bei der Ankunft in Shanghai einen Blumenstrauß
Will sich nicht zwischen China und dem Westen entscheiden: Brasiliens Präsident Lula bei der Ankunft in Shanghai vergangene Woche © RICARDO STUCKERT / BRAZILIAN PRESIDENCY / AFP

Saudi-Arabien, Türkei, Indonesien: Die Blockfreien wissen, was sie wollen

Die neutralen Staaten lavieren zwischen den Konfliktparteien und suchen ihren Vorteil. Das Nato-Mitglied Türkei etwa will durch Dutzende Sicherheitsabkommen mit afrikanischen Staaten mehr Einfluss im Globalen Süden gewinnen und schaukelt im Ukraine-Krieg zwischen Moskau und Kiew: Drohnen für die Ukraine, Handelsgeschäfte mit Russland. Beratende von Präsident Recep Tayyip Erdogan sagen laut Economist, die „Neue Türkei“ könne sich ihre Partner selber aussuchen.

Indonesien wiederum hat eine lange Tradition der Blockfreiheit, die es keinesfalls aufgeben will. So hält das Land Militärübungen sowohl mit den USA als auch mit China ab. Es kauft Kampfjets in Frankreich und den USA. Doch es ist auch Gast in Chinas Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SCO) bei, zu der auch Russland, mehrere zentralasiatische Staaten sowie Pakistan und Indien gehören. China gehört zu den größten Quellen für ausländische Direktinvestitionen in Indonesien. Zugleich streitet Jakarta mit Peking um ein rohstoffreiches Seegebiet im Südchinesischen Meer.

Und Saudi-Arabien versucht, sich aus der Abhängigkeit von seinem historischen Verbündeten USA zu lösen. Inzwischen ist China der größte Handelspartner des Königreichs. Im März unterzeichnete Saudi-Arabien ein von China vermitteltes Abkommen mit seinem Erzfeind Iran und trat der SCO bei. Es sind nur drei Beispiele für einen größeren Trend.

Ideologie-Wettstreit interessiert die meisten Staaten nicht

Viele der bündnisfreien Staaten wurden einst von Europa kolonisiert und sehen den Westen nicht als Verfechter universeller Werte. Eher werfen sie dem Westen Heuchelei und Doppelmoral vor, zuletzt etwa im Zusammenhang mit der Strafverfolgung Putins im Ukraine-Krieg. „Europa muss aus der Denkweise herauswachsen, dass die Probleme Europas die Probleme der Welt sind – aber die Probleme der Welt nicht die Probleme Europas“, forderte Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar 2022. Europa schweige zu so vielen schlimmen Dingen, die in Asien geschehen. „Da könnte man schon fragen, warum irgendjemand in Asien Europa überhaupt etwas zutrauen sollte“, so Jaishankar.

Indien enthält sich bei den Vereinten Nationen bislang bei jeder Abstimmung, die Russlands Überfall auf die Ukraine verurteilt. Gleichzeitig kauft Neu-Delhi russisches Öl zum Sonderpreis. Doch das heißt nicht, dass Indien sich in die Arme Chinas wirft. Im Gegenteil: Aus Sorge vor einer künftigen Dominanz der Volksrepublik im Indischen Ozean ist Indien Mitglied der Quad-Allianz mit den USA, Japan und Australien. 2020 verbot Neu-Delhi TikTok und Dutzende andere chinesische Apps. Die Industriestrategie von Premierminister Narendra Modi zielt unter anderem darauf ab, westliche Unternehmen anzulocken, die ihre Abhängigkeit von China reduzieren wollen und neue Standorte suchen.

Indien und Brasilien wollen globale Agenda mitgestalten

Indien sei zu einem Land geworden, das die globale Agenda mitgestalte und deren Ergebnisse beeinflusse, betonte Außenminister Jaishankar in einer Rede im Januar. Neu-Delhi empfing kürzlich Vertreter aus 31 afrikanischen Ländern zu gemeinsamen Militärübungen und ist auf dem Kontinent einer der größten Investoren. Lula wiederum will die Welt als Friedensstifter für die Ukraine mitgestalten. Und auch er hat Afrika im Blick: Lula wird demnächst mehrere afrikanische Staaten besuchen, um den Einfluss Brasiliens dort zu stärken. Indiens und Brasiliens größter Konkurrent in Afrika ist nicht Amerika oder Europa. Sondern China.

*Dieses Bild wurde mithilfe maschineller Unterstützung erstellt. Dafür wurde ein Sprachmodell genutzt, das Informationen aus ausgewählten Quellen verarbeitet. Auswahl der Quellen und Sprachmodellanfragen sowie finale Bearbeitung des Bildes: Art Director Nicolas Bruckmann.

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