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Macron: Vom Visionär zum Verhinderer

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Frankreichs Präsident Macron: Vom Visionär zum Verhinderer
Emmanuel Macron. © LUDOVIC MARIN/POOL/AFP

Frankreichs Präsident Macron hat sich mit seinen eigenmächtigen Vorstößen zunehmend isoliert – in Paris wie in Europa. Eine Bilanz zur Hälfte der Amtszeit.

Nur Beethovens Europahymne war großartig genug, um an jenem 7. Mai 2017 den Triumphzug des frischgewählten Präsidenten durch den Louvre-Hof zu untermalen. Im Herbst sodann hielt Macron in der Sorbonne-Universität ein noch fulminanteres Plädoyer für Europa. Der lauteste Beifall kam aus Berlin, wo nach der Wahlniederlage der Rechtspopulistin Marine Le Pen hörbares Aufatmen geherrscht hatte. Und wo der damals 39-Jährige als „neuer europäischer Visionär“ gefeiert wurde.

Heute klingt es etwas anders über den Rhein hinweg. Als Macron vergangene Woche den „Hirntod“ der Nato deklamierte, stellte Kanzlerin Merkel – sehr entschieden – klar: „Der französische Präsident hat drastische Worte gewählt, das ist nicht meine Sicht.“ Zuvor schon hatte Macron bis in die deutsche Exportwirtschaft für böses Blut gesorgt, als er nicht verhehlte, dass er die Briten so schnell wie möglich aus der EU haben will – egal ob mit oder ohne Abkommen. Vehement stemmte er sich in Brüssel gegen einen neuen Brexit-Aufschub; erst als er merkte, wie allein er dastand, akzeptierte er den neuen Stichtag von Ende Januar 2020.

In der Westbalkanfrage stellte sich Macron zudem von Beginn weg quer: Einer EU-Erweiterung um Albanien und Nordmazedonien erteilte er eine schroffe Absage, noch bevor er sich mit Angela Merkel abgesprochen hatte. Auch das kam bei den Partnern in Berlin, wo Macron an diesem Sonntag empfangen wird, nicht gut an.

Frankreich: „Emmanuel, der Herrliche“

Der französische Präsident stellt oft die richtigen Fragen – aber er wartet gar nicht erst auf Antworten. Und wenn sie dann aus seiner Sicht negativ ausfallen, reagiert Macron sehr gereizt. Nach der Ablehnung seiner Kommissionskandidatin Sylvie Goulard durch das EU-Parlament etwa schmollte er wie ein Schulbub.

Macrons Charme-Mission vor einem Jahr im deutschen Bundestag („Frankreich liebt Sie“) entpuppt sich mehr und mehr als pure Inszenierung; seine Europawahl-Devise von der „Renaissance“ klingt hohl. Aus dem europäischen Einiger ist ein Einzelkämpfer geworden, aus dem Visionär in mancher Hinsicht ein Verhinderer.

All das kennen die Franzosen von „Emmanuel dem Herrlichen“, wie der Chronist Patrick Rambeau seine bissige Persiflage über die erste Halbzeit des aktuellen Staatschefs betitelt hat: die grandiosen Auftritte, die der imagebewusste Präsident von seinem eigenen Choreographen aufziehen lässt, die puerilen Wutanfälle, wenn ihm etwas misslingt, die eiskalten Zurechtweisungen biederer Bürger. Und natürlich die großen Worte, die schon sein Wahlkampfbuch „Révolution“ zierten.

Frankreich: Macronismus als opportunistischer Zentrismus 

Dabei benimmt sich der junge Präsident selbst wie ein Vertreter des „Ancien régime“, jener alten Welt, die er als überholt anprangert. „Der Macronismus wird ein opportunistischer Zentrismus“, stellt das konservative Magazin „le point“ fest. Andere sehen in dem Staatsoberhaupt einen klassischen Neoliberalen, wie etwa das linke Onlineportal Mediapart. Wieder andere einen Linksliberalen, wie beispielsweise die Republikanerin Valérie Pécresse.

Vielleicht hat Frankreich aber auch einfach einen selbstverliebten Technokraten ins Elysée gewählt. Diese Handschrift trägt zum Beispiel die Reform des Arbeitsrechts. Sie hat wohl dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit auf 8,5 Prozent und damit auf ihren tiefsten Stand seit der Finanzkrise von 2008 gesunken ist. Um solche Werte hatte sich Macrons Vorgänger François Hollande fünf Jahre lang vergeblich bemüht.

Ebenso kühl hat Macron seine politischen Gegner eliminiert: Die Sozialisten und die gaullistischen Republikaner sind infolge von Macrons Umgarnungs- und Abwerbungskünsten nur noch Schatten jener Großparteien, die das Leben der Fünften Republik seit 1958 bestimmt hatten. Macron herrscht nach Belieben über das politische Zentrum.

Macron: Frankreichs Präsident ist geschwächt 

Diese wirtschaftlichen und taktischen Erfolge sind aber trügerisch. In Wahrheit ist Macron so geschwächt wie noch nie. Den Frieden nach Monaten heftigster Gelbwesten-Proteste musste er mit milliardenschweren Programmen erkaufen, die seinen Reform-Elan weitgehend zum Erliegen gebracht haben. Und dabei steht der schwerste Brocken erst noch bevor: die Rentenreform, die Mutter aller Umgestaltungen. Die Gewerkschaften planen für Dezember einen massiven Streik gegen Macrons Pläne.

Die Berater des Präsidenten warnen: Außerhalb des Parlamentes, das er dank der absoluten Mehrheit seiner Partei „La République en Marche“ (LREM) kontrolliert, braut sich etwas zusammen. Drei Indizien: Wütende Eisenbahner haben an Allerheiligen erste Streiks vom Zaum gebrochen, ohne auch nur auf ihre Gewerkschaften zu hören. Die zwar unorganisierten, aber keineswegs befriedeten Gelbwesten planen für ihren Jahrestag vom 17. November neue „Operationen“. Und ihre Kritik an der „Polizeigewalt“ findet ihr Echo in den Banlieue-Vierteln, wo Einsatzkräfte reihenweise in brennende Hinterhalte gelockt und mit Pflastersteinen empfangen werden.

Frankreich: „Macron legt Feuer“

Der Grüne Yannick Jadot, eigentlicher Sieger der französischen Europawahlen im Mai, wirft Macron vor, er habe die Spannung und die Aufruhrstimmung im Land selbst erzeugt. „Emmanuel Macron bläst nicht nur in die Glut, er legt Feuer an unsere Gesellschaft.“ Zum einen stürze er das Land in die Austerität und Prekarität, zugleich fördere er aber bewusst Marine Le Pen, um das Präsidentschaftsduell von 2017 im Jahr 2022 wiederholen und sich eine zweite Amtszeit sichern zu können.

Richtig ist: Die Rechtspopulistin Le Pen profitiert derzeit vom Unmut breiter Kreise. Dazu gehört die gesamte untere Mittelklasse von den Gelbwesten bis zu den Eisenbahnern, aber auch das politisierte Milieu von Populisten bis Kapitalismuskritikern – wie bei den Europawahlen der Wechsel des Jungpolitikers Andréa Kotarec von der Linken-Partei „Unbeugsames Frankreich“ zu Le Pen gezeigt hat.

In einer neuen Umfrage erhält Le Pen heute bereits 45 Prozent der Stimmen gegen Macron. Dieser Rückstand ist bis Mai 2022 aufholbar. 2017 hatte sie noch bei 34 Prozent gelegen.

Auch wenn diese Halbzeit-Umfrage viel zu früh erfolgt, um Aussagekraft für die Präsidentschaftswahlen von 2022 zu haben, bestätigt sie die aktuelle Stimmungslage zur Hälfte von Macrons fünfjährigem Mandat. In Frankreich gärt es.

Von Stefan Brändle

Emmanuel Macron bringt mit einem Trick seine Rentenreform voran – die Quittung dafür dürfte er schon bald erhalten: Bei den Kommunalwahlen Mitte März.

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