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Warten auf Rache in der Ukraine

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Luftaufnahmen zeigen die Zerstörung durch russischen Raketenbeschuss auf die ukrainische Hauptstadt Kiew. Es ist der vierte Angriff dieser Art in den vergangenen zwei Tagen.
Luftaufnahmen zeigen die Zerstörung durch russischen Raketenbeschuss auf die ukrainische Hauptstadt Kiew. Es ist der vierte Angriff dieser Art in den vergangenen zwei Tagen. © Cover-Images/Imago

Russlands häufigere Luftangriffe gelten schon als Kampf gegen die bevorstehende ukrainische Großoffensive.

An der Metro-Station Widubitschi fährt der Zug nicht mehr weiter: Luftalarm, die U-Bahn-Brücke über den Dnjepr ist gesperrt. Oben, am Busbahnhof, stehen Dutzende Kiewer und halten Smartphones in den Himmel. Sie filmen feuergelb leuchtende Geschosse der Flugabwehr, die in langen Reihen aufsteigen, auf der Jagd nach anfliegenden russischen Iskander-Raketen.

Luftkampfszenen sind in der ukrainischen Hauptstadt wieder alltäglich, im Mai gab es schon 17 Angriffe, gestern kam in Kiew vor Morgengrauen ein Mensch durch brennende Drohnentrümmer ums Leben, die auf ein Wohnhaus gestürzt waren.

Fachleute bringen die massiven Flugkörperattacken der Russen mit der erwarteten ukrainischen Gegenoffensive in Verbindung. Der Feind wolle Lager mit moderner Kriegstechnik und Munition zerstören, sagt der Militärexperte Andrij Kramarow dem Portal liga.net. „Die Russen bemühen sich, das Angriffspotenzial der Ukraine um jeden Preis mittels Raketenterror zu verringern.“

Ukrainische Militärs reden ständig über den Gegenangriff: „Bald bricht der Tag an, wo wir zu aktiven Offensivhandlungen übergehen“, verkündete Oleksandr Syrskyj, Kommandeur der Landstreitkräfte, am Montag auf Telegram. Sein Chef, der Oberkommandierende Valerij Saluschnyj, stellte vergangenen Freitag ein martialisches Video auf Facebook: „Ukraine Mutter Heimat, Herr, himmlischer Vater“, beten dort hunderte Recken aller Waffengattungen. „Segnet uns, unseren entscheidenden Angriff, unsere heilige Rache!“

Am Tag vorher hatte Präsidentenberater Michailo Podoljak verkündet, der Gegenangriff sei schon einige Tage im Gange. „Das ist ja nicht irgendein Event, das an einem konkreten Datum mit dem Zerschneiden eines roten Bändchens beginnt.“

Tatsächlich sind die Ukrainer:innen militärisch deutlich aktiver geworden. Schon vergangenen Montag drangen Kämpfer von der Ukraine befehligter russischer Freiwilligeneinheiten für eineinhalb Tage in der russischen Region Belgorod ein. Expert:innen auf beiden Seiten rätseln, ob sie dabei die Möglichkeit für einen möglichen Umfassungsangriff auf das Donbass über russischen Boden testeten, oder ob sie von anderen Plänen ablenken wollen. Das russische Exilportal „agents.ru“ meldet, die Ukraine beschieße seit Tagen massiv Ziele im Raum der von Russland im März 2022 eroberten Landbrücke zur Krim am Ufer des Asowschen Meers. So habe es wiederholt schwere Explosionen in den Hafenstädten Berdjansk und Mariupol gegeben, auf Fabrikgeländen, die die russische Armee als Basen benutze. Über dem benachbarten Melitopol sei ein russischer Kampfflieger abgeschossen worden. „Der verstärkte Beschuss der ,Landbrücke‘ weist auf den Ort des möglichen Gegenangriffes der Ukraine hin.“

Wann und wo die Ukrainer:innen wirklich losschlagen, bleibt weiter unklar. Manche glauben, die Ukrainer warteten noch auf weitere Leopard und Challenger-Panzer. Oleksyj Melnyk, Militärexperte des Kiewer Rasumkow-Zentrums, aber sagt, je länger man den eigenen Angriff vorbereite, umso mehr Abwehrkräfte sammle auch der Gegner. Die Russen schanzen seit Monaten. Und laut Oleksij Danilow, dem Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrates, ziehen sich die russischen Wagner-Söldner aus Bachmut zurück, um die Front an drei anderen Punkten zu verstärken.

Der georgische Kriegsfreiwillige Iraklij Kurasbediani dient in der Region Saporischschja, dort wo viele den Hauptstoß der Ukrainer Richtung Asowsches Meer erwarten, bei der Luftaufklärung. „Es kann auch noch bis Ende August dauern“, sagt er. „Damit der Feind nach unserem Vormarsch bis zum Herbstregen keine Zeit mehr für eine eigene Gegenoffensive bekommt.“

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