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Friedensfragen: Wie enden Kriege?

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Die Konferenz zu den Friedensverträgen von Versailles 1919 konnte Konflikte nicht wirklich beilegen.
Die Konferenz zu den Friedensverträgen von Versailles 1919 konnte Konflikte nicht wirklich beilegen. © imago images/Everett Collection

„Frieden ist kein kurzer Moment, sondern ein langer Prozess“, schreibt Gastautor Jörn Leonhard. Die Friedensfrage.

Auf den ersten Blick ist es viel leichter, den Beginn gewaltsamer Konflikte zu definieren als ihr Ende: den Prager Fenstersturz im Mai 1618 als Beginn des Dreißigjährigen Krieges, das Attentat von Sarajewo im Juni 1914, oder den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022. Mit dem Ende von Kriegen tun wir uns viel schwerer, denn der Weg in den Frieden ist meist verschlungen, verzögert und unterbrochen. Je länger ein Krieg, je mehr Opfer, desto unübersichtlicher und widersprüchlicher kommt Frieden.

Wann ein Krieg wirklich endet, ist eine der kompliziertesten Fragen überhaupt: mit einer ersten Waffenruhe, einem stabilen Waffenstillstand, einer internationalen Friedenskonferenz, einem von allen Beteiligten unter-zeichneten Friedensvertrag? Oder mit der aus Verlust, Opfer und Trauer gewonnenen Einsicht in die gegenseitige Erschöpfung, aus der eine rationale Einsicht in die Notwendigkeit des Friedens und ein Fenster für die Diplomatie entstehen? Mit einem erst nach Jahren wieder belastbaren Vertrauen zwischen ehemaligen Gegnern? Gar mit einer Aussöhnung zwischen Individuen, der Anerkennung von Opfern und Verbrechen zwischen ganzen Gesellschaften?

Der Westfälischen Friede von 1648 bestand aus einer Reihe von Verträgen, die für die verschiedenen europäischen Kriegsparteien in Münster und Osnabrück unterzeichnet wurden denen ein über fünf Jahre tagender Friedenskongress vorausging. Selbst nach diesen Anstrengungen hätte der Krieg noch lange nach seinem formalen Ende jederzeit wieder neu beginnen können. Im Gegensatz zu den zwischen 1792 und 1815 fast ununterbrochenen Kriegen der Französischen Revolution und Napoleons handelte es sich bei den Konflikten um die Schaffung des italienischen und des deutschen Nationalstaats 1859/61 und 1870/71 um relativ kurze Kriege mit politisch definierten Ausgängen. Aber dieses Ideal wurde schon in den 1860er Jahren brüchig, als das Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges die Probleme der Friedenssuche in der Neuzeit bündelte: in der entgrenzten Gewalt, die sich immer mehr auch gegen die Zivilbevölkerung gewandt hatte, sowie dem erstmals formulierten Konzept des „unconditional surrender“, der bedingungslosen Kapitulation der Unterlegenen.

Was das Ende eines langen Krieges bedeutete, den man sich als kurzen Krieg vorgestellt hatte, erwies sich im Ersten Weltkrieg. Deutsche und Franzosen schlossen am 11. November 1918, dem Tag des Waffenstillstandes, oder am 28. Juni 1919 bei der Unterzeichnung des Versailler Vertrages, jedenfalls keinen Frieden miteinander. Vielmehr provozierte der mit Erwartungen überforderten Friedens von 1919 neue Verletzungen: durch territoriale Bestimmungen, Reparationen und die Betonung der „Kriegsschuld“. Insofern sagt der Abschluss eines Friedensvertrags nichts über langfristige kollektive Einstellungen. Auf Versailles folgte eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Auch die in den Locarno-Verträgen von 1925 erreichte Garantie der Grenzen in Westeuropa änderte nichts daran, dass der Krieg in vielen Köpfen präsent blieb. Als deutsche Truppen im Juni 1940 Frankreich besiegten, schien es vielen Deutschen, dass erst jetzt der Erste Weltkrieg mit einem deutschen Sieg ende.

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Der Blick auf das Ende historischer Konflikte vermittelt vor allem ernüchternde Botschaften. Es gibt Kriege, die wie im 17. Jahrhundert erst nach langen Gewaltphasen ausbrennen. Historisch setzte erfolgreiche Diplomatie zumeist die Einsicht aller Akteure in die eigene Erschöpfung und die daraus abgeleitete Alternativlosigkeit einer politischen Sondierung voraus. Doch bis dahin, verlängerte der Krieg sich häufig gleichsam selbst. Denn in vielen Gesellschaften schien angesichts unzähliger Opfer jede vorzeitige Konzession wie Verrat. So intensivierte sich gerade in den Endphasen vieler Kriege im 20. Jahrhundert die Gewalt: im Ersten Weltkrieg ab 1917, im Zweiten Weltkrieg ab 1943/44 in Europa und im Pazifik, bishin zum bislang einzigen Einsatz von Atomwaffen in einem militärischen Konflikt. Auch auf dem Weg der USA aus dem Vietnamkrieg spielte die Ausweitung der Gewalt nach der Einsicht in das sich abzeichnende Ende des Konflikts eine wesentliche Rolle, um für Verhandlungen eine möglichst gute Ausgangsposition zu erlangen und dem Gegner die eigene Handlungsfreiheit vorzuführen.

Am Ende verweist das Ende von Kriegen auf ein Grundproblem moderner Politik: die Kluft zwischen den unter den Bedingungen moderner Medien provozierten Erwartungen und dem real Erreichbaren, aus der neue Legitimationskrisen erwachsen können. Diese Spannung hat sich historisch entwickelt, und sie wird uns weiter begleiten. Auch im Ukraine-Krieg wird ein Fenster für die Diplomatie noch keine Antwort darauf geben, ob und wie sich die Konfliktparteien an ein mögliches Abkommen halten würden. Und erst recht sagt es nichts darüber aus, wie lange der Krieg in den Köpfen der Menschen präsent bleiben wird. Frieden ist kein kurzer Moment, sondern ein langer Prozess.

Jörn Leonhard (Bild: Universität Freiburg) ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg.

Jörn Leonhard, Über Kriege und wie man sie beendet. Verlag C.H. Beck, 208 S., 18 Euro.
Jörn Leonhard, Über Kriege und wie man sie beendet. Verlag C.H. Beck, 208 S., 18 Euro. © C.H.Beck

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