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Zu kurzfristig und realitätsfremd: Genderverbot im hessischen Abi sorgt weiter für Wirbel

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Hohe Wellen, wie hier auf einem Abi-Plakat von 2022, schlägt das Genderverbot im hessischen Abi 2024.
Hohe Wellen, wie hier auf einem Abi-Plakat von 2022, schlägt das Genderverbot im hessischen Abi 2024. © Jens Joachim

Der hessische Landesschülerrat und der Darmstädter Stadtelternrat kritisieren den schlechten Informationsfluss zur Änderung beim Gendern im Abi.

Frankfurt – Für die einen ist es ein „Verbot der Äußerung einer politischen Haltung“, für die anderen einfach nur das Auslaufen einer Ausnahmeregelung der Corona-Zeit: Wer nächste Woche in Hessen seine Abiturprüfung schreibt, darf nicht mehr gendern. Der sogenannte Genderstern oder -doppelpunkt wird dann wieder als Fehler gewertet – so wie vor der Pandemie. Die Meldung aus dem Kultusministerium kam kurz vor den Osterferien, doch sie schlägt bis heute hohe Wellen. Unter anderem, weil sie offenbar schlecht kommuniziert wurde und es nur noch wenige Tage bis zum Beginn der Abiturprüfungen sind.

„Uns Schüler:innen und vor allem die Abschlussjahrgänge erschüttert die Kurzfristigkeit des Verbots“, sagt Landesschulsprecherin Louise Terhorst auf Anfrage der Frankfurter Rundschau. Noch in den vergangenen Klausuren sei Gendern erlaubt gewesen, niemand habe darauf hingewiesen, dass dies nur eine Ausnahmeregelung sei, die dieses Jahr im Abi wegfalle. Laut Ministerium habe man das Auslaufen der Sonderregelung bereits vergangenes Jahr verkündet. Auch der hessische Landeselternbeirat war nicht überrascht, wie Vorsitzender Ingo Radermacher der FR am Mittwoch sagte. Man habe dies aber noch nicht auf Stadt- und Kreisebene thematisiert.

Genderverbot im hessischen Abi: „Fatales Fehlverhalten“

Richtig publik wurde es erst am 20. März dieses Jahres durch einen Bericht der Frankfurter Rundschau. Da ging auch laut Kultusministerium ein Schreiben an die Schulen raus. Zwei Tage vor den Osterferien hatten Lehrkräfte und Schüler:innen aber kaum eine Chance, die Änderung im Unterricht zu besprechen. „Ich habe nichts von niemandem erfahren“, sagt die angehende Abiturientin Louise Terhorst, so ergehe es vielen. Zudem hätte man die vergangenen zwei Jahre in allen Klassenarbeiten gendern dürfen, ohne dass es angestrichen worden wäre.

Auch der Stadtelternbeirat Darmstadt, der die Eltern von 30.000 Schüler:innen vertritt, ist entrüstet. Bis heute habe man von offizieller Seite keine Information zur Änderung bekommen. Obwohl man üblicherweise auch während der Ferien in direktem Austausch mit dem staatlichen Schulamt stehe. Doch auch dort habe man auf ihre Anfrage zur Änderung nur mit den Schultern gezuckt, sagt Stadtelternbeiratsvorsitzende Sigita Urdze der FR.

Elternvertretung aufgebracht: „Verbot einer politischen Überzeugung“

Die Elternvertretung befürchtet, dass es die sowieso unter Stress stehenden Abiturient:innen zusätzlich belaste, jetzt auch noch auf das Vermeiden des Genderns zu achten. Sie seien kurz vor den Prüfungen einer Flut von Hinweisen zum Abitur ausgesetzt. Aber auch inhaltlich lehnt der Stadtelternbeirat die Vorgabe des Kultusministeriums als „Verbot einer politischen Überzeugung“ ab. Das Gendern sei gelebte Praxis. So gebe es seit 2018 die Möglichkeit, im Personenstandsregister als Geschlecht divers eintragen zu lassen. Hier biete die Verwendung von Genderzeichen im Gegensatz zu umständlichen Formulierungen die Möglichkeit, das dritte Geschlecht miteinzubeziehen.

„Statistisch sitzt in jeder Klasse eine nicht-binäre Person“, sagt die Landesschülersprecherin. Das aktuelle Verbot verdeutliche, dass Politiker:innen sich von relevanten Bildungsthemen abwenden und stattdessen sinnlose Fragen verfolgten. „Aus unserer Sicht ist dies ein fatales Fehlverhalten.“ Man sollte sich daher nicht wundern, warum unser Bildungssystem nicht mit der Gegenwart Schritt halte. „Wenn die Realität abgelehnt wird, wie soll ein zukunftstfähiges Bildungssystem geschaffen werden?“

Rat für deutsche Rechtschreibung überlässt Bewertung staatlichen Stellen

Selbst der Rat für deutsche Rechtschreibung, an dem sich das Ministerium nach eigenen Angaben orientiert, betont, dass „geschlechtergerechte Sprache aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und der Schreibentwicklung noch im Fluss“ sei. Zwar empfiehlt das Gremium nicht das Gendern mit Sonderzeichen im Wortinnern, schreibt aber: „Vorgaben für die Bewertungspraxis liegen in der Zuständigkeit der Schulpolitik und obliegen nicht dem Rat für deutsche Rechtschreibung.“ Ob insofern eine „rezeptive Toleranz“ als schulpolitische Handlungsoption zu betrachten sei, obliege ebenfalls den staatlichen Stellen.

Auf Toleranz hoffen ab Mittwoch womöglich einige Schüler:innen. Louise Terhorst zumindest kann sich nicht vorstellen, dass es sich auf die Note niederschlägt, wenn jemand gendert.

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