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Die Charmeoffensive

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Korrekt bedeckt: Julian Draxler. © Federico Gambarini/dpa

Das Bemühen des DFB um mehr Nähe zu den Fans ähnelt in diesen Zeiten einem Kampf gegen Windmühlenflügel.

Was tut der Mann, wenn er spürt, dass er sich unbeliebt gemacht hat? Er startet eine Charmeoffensive! An dieser Strategie orientiert sich auch der Deutsche Fußball-Bund. Er kämpft um die verlustig gegangene Gunst des Publikums und hat dafür seine Führungsleute in die erste Reihe gestellt: den Verbandsboss Fritz Keller zu dessen einjährigem Jubiläum und den Sportchef Oliver Bierhoff, der schon 16 Jahre dabei ist.

Kürzlich lud der Präsident einflussreiche Pressevertreter zu Speis und Trank auf sein Weingut. Dort stellte er aus gegebenem Anlass die neue Mediendirektorin vor. Passt bestens zur Charmeoffensive, die der erste Mann im Hause zudem mit einem wahren Interviewmarathon und dem gestrigen Besuch einer Jugendstrafanstalt in Berlin unterfütterte. Obendrauf setzt Keller fürs nächste Länderspiel mit Zuschauern - wann immer das sein wird? - eine Freikartenaktion, die es laut Selbstauskunft „so noch nie beim DFB gab“. Damit soll lieben Leuten, „die während der Pandemie auf vieles verzichten müssen, einige Stunden Abwechslung durch den Fußball“ bereitet werden. Direktor Oliver Bierhoff führt fürsorglich aus: „Wir hoffen, damit möglichst vielen Menschen eine Freude machen zu können.“ Möglichst schon am Mittwoch (20.45 Uhr) in Köln gegen die Türkei, wiewohl der Manager „wenig Hoffnung“ hat, dass angesichts der Infektionszahlen Fans zugelassen werden.

Dass auch Bierhoff in jüngster Zeit Journalisten auf sein Anwesen am Starnberger See gebeten hätte, ist zwar nicht überliefert. Aber der Manager präsentiert sich rührig. Er geht als Gast in den „Doppelpass“ zu Sport1 und zum „Blickpunkt Sport“ des Bayerischen Rundfunks, er gibt dem „Spiegel“ ein Interview, in dem er Demut dokumentiert. Und er setzt sich vor dem Länderspiel-Trio gegen die Türkei, in der Ukraine (Samstag in Kiew) und gegen die Schweiz (Dienstag in einer Woche wieder in Köln) in die erste Pressekonferenz. Dort verkündet er einen virtuellen Besuch von Nationalspielern an einer Kölner Schule sowie finanzielle Unterstützung für sechs sozial engagierte Kölner Vereine. Das Geld kommt aus einem bei Pandemiebeginn von den DFB-Kickern und dem Verband mit 2,5 Millionen Euro gefüllten Topf. Zudem plant Bierhoff die Aufzeichnung einer „Wer wird Millionär?“-Sendung mit dem Ziel, Geld zu sammeln und zu zeigen, „dass wir intelligente Spieler dabei haben, die was draufhaben“.

Es ist gerade ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Bierhoff muss mehr Nähe zum gemeinen Fan dokumentieren, nur ist diese Nähe wegen der Corona-Pandemie just gar nicht möglich. Und es passierten Fehler, die öffentlich fachgerecht ausgeweidet werden.

Dass die Truppe von Joachim Löw neulich in den Flieger statt in den Bus stieg, um von Stuttgart nach Basel zu gelangen, führte zum Shitstorm und zur heiligen Wut des Präsidenten. Der predigt Bescheidenheit und Nachhaltigkeit. Aber Keller hat es schwer, durchzudringen. Die hochgeachteten „11 Freunde“ vermeldeten keine Einzelmeinung, als sie kritisierten, das DFB-Team nähre „weiter den Verdacht der Entrücktheit dieses Verbandes“. Was die restlichen sechs Länderspiele des Jahres 2020 angehe, stöhnte das Blatt, halte sich „die Vorfreude im Land merklich in Grenzen“.

Das spürt auch Bierhoff in der Hygiene-Blase, teilt aber ausdrücklich nicht den Eindruck, die DFB-Auswahl habe die Zuneigung der Fans verloren. Das vorgeblich letzte Lagerfeuer der Nation brenne halt nur „im Moment etwas kleiner“. Bierhoff muss das so sagen. Er ist strategisch mit seiner neuen Akademie nicht nur für die Leistung auf dem Platz zuständig, sondern auch fürs Marketing. Was das Sportliche angeht: Da verweist er darauf, dass in der gegenwärtigen Umbruchsituation von zwölf Spielen nur eines verloren gegangen ist. Er hätte auch daran erinnern können: Bisher ist keine einzige der sechs Partien der Nations League gewonnen worden. Aber das tut er lieber nicht. Lieber wirbt er für Vertrauen des Publikums für diese recht junge Mannschaft mit ihren vielen „tollen Jungs“ .

Zwei neue Alte im Kader

Neu zu diesen klasse Kerlen gehören erstmals Mo Dahoud (24) und Jonas Hofmann (28) aus Dortmund und Mönchengladbach. Das sind zwei Männer, die stolz auf ihre Nominierungen nach immerhin bereits seit mehr als einem halben Jahrzehnt in der Bundesliga sein dürfen. Aber diese Berufungen zeigen auch, dass der Druck von ganz jungen Spielern aus den Geburtsjahrgängen des neuen Jahrtausends versiegt.

Auch so eine Baustelle, der sich Allrounder Bierhoff widmen muss. Das tut er mit mehr Verve, als das leidige Thema Bodenhaftung mit guter Miene zu einem Spiel abzuarbeiten, das er kaum gewinnen kann. Sein Job ist es, für Top-Bedingungen für die deutschen Nationalspieler zu sorgen, nicht für einen gesunden deutschen Wald. Eine echte Hingabe zu Fannähe und Umweltfragen nimmt dem persönlich sehr nahbaren 52-Jährigen mit seinem Businesshintergrund ohnehin niemand ab. Im „Spiegel“-Interview postuliert er dennoch tapfer, man müsse im Profifußball gemeinsam „aufpassen, dass wir das Rad nicht überdrehen“,

Was den leidigen Flug nach Basel angeht, gibt der Manager sich brav bei Fuß des Präsidenten: „So etwas wird uns nicht nochmal passieren.“ Die Wegstrecke von Herzogenaurach bei Nürnberg zu den drei Vorrundenspielen in München bei der EM im nächsten Sommer wird per Omnibus zurückgelegt. Versprochen.

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