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IG Metall wählt neue Chefin: Christiane Benner soll Gewerkschaft führen

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Christiane Benner war bislang Zweite Vorsitzende der Gewerkschaft IG Metall.
Christiane Benner war bislang Zweite Vorsitzende der Gewerkschaft IG Metall. © Imago

Christiane Benner soll die IG Metall führen. Als Erste Vorsitzende muss sie die Gewerkschaft durch die Transformation lotsen.

Sie soll die erste Frau an der Spitze der IG Metall sein: Christiane Benner. Ihre Wahl auf dem Gewerkschaftstag an diesem Montag gilt als sicher. Für die 55-Jährige ist es der vorläufige Karriere-Höhepunkt, für die mächtige IG Metall ein Umbruch: Die rund 2,2 Millionen überwiegend männlichen Mitglieder der Industriegewerkschaft werden künftig von einer Frau geführt.

Benner kennt die Gewerkschaft gut, sie hat sich hoch gearbeitet. Sie wächst im südhessischen Bensheim auf, wo sie wegen der Trennung ihrer Eltern früh Verantwortung für sich und ihre Schwester übernehmen muss. Erst Abitur, dann Ausbildung bei einem Maschinenbau-Unternehmen in Darmstadt. Für das Studium fehlt das Geld, erst später, mit Hilfe der Hans-Böckler-Stiftung, wird sie Soziologie studieren. Früh tritt Benner in die IG Metall ein und vertritt die Auszubildenden ihres Betriebs. Nach einem Aufenthalt in den USA arbeitet sie für die IG Metall, erkennt früh die wachsende Bedeutung der Digitalbranche und macht Karriere, die sie bis in den Bundesvorstand der Gewerkschaft führt.

Eine lange Eingewöhnungszeit dürfte Benner nicht benötigen: Acht Jahre lang hat sie sich warmgelaufen als Zweite Vorsitzende und Stellvertreterin von Jörg Hofmann, der mit 67 Jahre nicht erneut antritt. Im Rennen um Hofmanns Nachfolge war auch Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg. In dem mächtigen Landesverband werden häufig Pilotabschlüsse für die Metall- und Elektroindustrie verhandelt. Daraus ziehen viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus dem Ländle einen Führungsanspruch – auch mit Blick auf den Bundesvorstand.

IG Metall wählt Nachfolge von Jörg Hofmann

Nach außen präsentierte die Gewerkschaft die Nachfolgersuche nicht als Machtkampf, sondern betonte den Zusammenhalt der beiden Interessierten: Auch eine Doppelspitze aus Benner und Zitzelsberger schien möglich. Eine Zerreißprobe wie 2003, als sich Jürgen Peters und Berthold Huber um die Nachfolge von Gewerkschaftschef Klaus Zwickel stritten, sollte verhindert werden.

Jörg Hofmann kämpfte für Arbeitszeitverkürzungen, in der Stahlbranche soll die 32-Stunden-Woche kommen. Nun scheidet der Gewerkschafter als Erster Vorsitzender der IG Metall aus.
Jörg Hofmann kämpfte für Arbeitszeitverkürzungen, in der Stahlbranche soll die 32-Stunden-Woche kommen. Nun scheidet der Gewerkschafter als Erster Vorsitzender der IG Metall aus. © dpa

Dann warf Zitzelsberger hin, seinen Rückzug begründete er mit gesundheitlichen Problemen. Benner hatte sich durchgesetzt, ihre Wette auf sich selbst war aufgegangen: Für den Karriereschritt bei der IG Metall hatte Benner zuvor auch darauf verzichtet, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zu werden.

Christiane Benner soll Vorstand der IG Metall anführen

Mit Benner an der Spitze soll der Vorstand „näher an die Betriebe rücken“, die Zahl der Vorstandsmitglieder soll von sieben auf fünf Personen sinken. Jürgen Kerner, bislang als Hauptkassierer für die Finanzen zuständig, soll Zweiter Vorsitzender werden. Für ihn soll Nadine Boguslawski aus Stuttgart nachrücken. Hans-Jürgen Urban soll wieder-, Ralf Reinstädtler neu in das Gremium gewählt werden.

Die Wahl des Vorstands mit Benner an der Spitze gilt Beobachter:innen zwar als sicher. Gestritten werden dürfte trotzdem: Vor allem die Position der IG Metall zu Waffenlieferungen an die Ukraine ist intern umstritten. Die Gewerkschaft hält Waffenlieferungen für legitim, „wenn demokratische Staaten ihr Recht auf Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff wahrnehmen“, wie es in einer Mitteilung heißt. Das geht einigen Gewerkschafter:innen zu weit.

Gewerkschaft IG Metall streitet über Waffenlieferungen

Auch über die Zukunft der betrieblichen Altersvorsorge dürfte heftig debattiert werden. Beim Thema „Umgang mit der AfD“ hatte Benner schon in der vergangenen Woche vorgelegt: „Gerade wir als Gewerkschaft haben enorme Möglichkeiten, gegen den weiteren Aufstieg der AfD zu wirken“, hatte die designierte Vorsitzende der „Augsburger Allgemeinen“ gesagt. „Wir können den Rechten den Boden entziehen, wenn wir in den Betrieben mithilfe von Gewerkschaften und Betriebsräten Menschen Sicherheit vermitteln, etwa indem sie weiterqualifiziert werden und bei all den Veränderungen eine gute Perspektive für sich sehen“, sagte Benner, die auch Mitglied der SPD ist. „So können wir Menschen, die unsicher sind, vielleicht davon abhalten, AfD zu wählen.“

Gewerkschaftstag der IG Metall

Noch bis Donnerstag treffen sich die Delegierten der IG Metall in Frankfurt.

Neben der Wahl des Vorstandes entscheiden die Delegierten über die inhaltliche Ausrichtung der Gewerkschaft.

Mehrere Anträge beschäftigen sich mit Transformation, Tarifpolitik und Energiewende. Auch über Friedens- politik dürfte gestritten werden. sbh

Benners Engagement gegen rechte Umtriebe wirkt glaubwürdig. Immer wieder hat die 55-Jährige in den vergangenen Jahren die Leistungen der ersten „Gastarbeiter“-Generation gewürdigt, plumpe Parolen wie vom „Verramschen der Staatsbürgerschaft“ kritisiert und sich beispielsweise nach den rechtsextremen Morden von Hanau mit den Familien und Freunden der Opfer solidarisiert.

Christiane Benner befürwortet interne Frauenquote der IG Metall

Benner war in den vergangenen Jahren auch dafür zuständig, die IG Metall für neue Zielgruppen zu öffnen: Neben den klassischen Facharbeitern will die Gewerkschaft auch Angestellte, Studierende und Ingenieure stärker ansprechen. Benner engagierte sich für sogenannte Clickworkerinnen und Clickworker, die ihre Arbeit auf digitalen Marktplätzen anbieten – häufig schlecht bezahlt und kaum abgesichert.

Der Frauenanteil der Gewerkschaft liegt bei rund 20 Prozent. Auch für sie soll die IG Metall attraktiver werden. Bereits seit 2011 gilt für hauptamtliche Angestellte eine interne Frauenquote von 30 Prozent, die Benner befürwortet. Gleichwohl: „Ich habe mich nie wegen meines Geschlechts diskriminiert gefühlt“, sagte Benner der „FAZ“. Und auch aus der Gewerkschaft selbst ist zu hören, wie groß der Respekt ist, den sich Benner erarbeitet hat. „Sie wird nicht gewählt, weil sie eine Frau ist, sondern wegen ihrer Kompetenz und Fähigkeiten“, sagt einer, der Benner gut kennt.

IG Metall gilt als mächtigste Gewerkschaft Deutschlands

Und diese Fähigkeiten wird Benner in ihrer neuen Rolle brauchen: Die IG Metall steht unter Druck. Zwar ist sie noch immer in vielen Betrieben ihrer Branchen gut vertreten. Aber die Wirtschaft wird sich verändern: Energiewende, Elektromobilität, Digitalisierung, demografischer Wandel – die Liste der Herausforderungen ist lang und viele Unternehmen sind nicht gut auf sie vorbereitet.

Die Stahlindustrie muss auf wasserstoffbetriebene Anlagen umstellen, die Autobranche muss die Elektromobilität hochfahren. Und gleichzeitig dürfen die kleinen und mittelgroßen hochspezialisierten Zulieferer nicht durch das Raster fallen, denen die Transformation hin zu einer grüneren Wirtschaft besonders schwer fällt.

Transformation als „drängendste Aufgabe“ für neue IG Metall-Chefin

„Die drängendste Aufgabe der neuen Vorsitzenden der IG Metall wird ganz klar die Transformation sein“, sagte Karl-Josef Laumann der FR. Der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft in der CDU und Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen fordert „dringend“ einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis und liegt damit ganz auf der Linie der Gewerkschaft. „Deutschland muss der Welt zeigen, wie man mit und nicht ohne Industrie die Energiewende schafft. Unsere Unternehmen können das, da bin ich sicher“, so Laumann.

Für Johanna Wenckebach übernimmt Benner „Verantwortung in einer ökonomisch, gesellschaftlich und weltpolitisch extrem schwierigen Zeit“. Wenckebach ist wissenschaftliche Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung und Professorin für Arbeitsrecht an der University of Labour in Frankfurt. Sie richtet ihren Blick vor allem auf die Mitglieder: „Die Gewerkschaft steht vor der Herausforderung, Menschen eine gute und vor allem für abhängig Beschäftigte gerechte Zukunft nicht nur aufzuzeigen, sondern sie für die Gewerkschaft zu gewinnen, um durch solidarische Kraft auch weiterhin selbst gestalten zu können – und das in einem Klima von Spaltung, Populismus und Verunsicherung.“

Viel zu tun also für die nächste Vorsitzende. Benner weiß, dass ihr Arbeitspensum in den nächsten vier Jahren nicht geringer werden wird. „Die Chancen einer grünen Industrie müssen wir nutzen“, sagte sie der FR vor wenigen Wochen. Passives Abwarten ist für die künftige Gewerkschaftsführerin keine Option: „Von alleine wird nichts gut.“

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