1. Startseite
  2. Wirtschaft

Der gläserne Fahrer

KommentareDrucken

Wer bereit ist, sich beim Autofahren beobachten zu lassen, kann Geld sparen. Manchem wird es das wert sein.
Wer bereit ist, sich beim Autofahren beobachten zu lassen, kann Geld sparen. Manchem wird es das wert sein. © Imago

Telematik-Tarife bieten Preisvorteile bei der Kfz-Versicherung. Aber sie haben auch ihre Tücken.

Für junge Autofahrer sind Kfz-Versicherungen besonders teuer. Denn wer noch nicht lange einen Führerschein hat, verursacht statistisch gesehen mehr Unfälle als langjährig geübte Fahrer. Damit zahlen auch diejenigen drauf, die entgegengesetzt der Statistik umsichtig fahren. Es gibt für rücksichtsvolle Fahrer allerdings eine Möglichkeit den höheren Kosten bei der Kfz-Haftpflicht und Kaskoversicherung zu entkommen. Und zwar indem sie per App ihren Fahrstil aufzeichnen und Punkte sammeln. Je umsichtiger sie fahren, desto mehr Punkte bekommen sie gutgeschrieben und damit gewährt der Versicherer einen höheren Rabatt. Telematik nennt sich das System.

Was gemessen wird: Bereits vor Abschluss der üblichen Kfz-Versicherung werden Daten erhoben. Allerdings geht es dabei erst einmal nicht um den Fahrstil. Vielmehr wird das Risiko für Unfälle geschätzt – und zwar anhand von Erfahrungen und Statistiken. Wie alt ist der Fahrer? Wie viele Kilometer fährt er pro Jahr?

Bei den Telematikversicherungen geht die Datenerhebung weit darüber hinaus. Wie rücksichtsvoll jemand auf der Straße unterwegs ist, wird unter verschiedenen Gesichtspunkten gemessen. Wie schnell ist der Fahrer, wie plötzlich beschleunigt oder bremst er und wie rasant rauscht er in die Kurven. Das alles zeichnet entweder eine App auf dem Handy auf oder eine Black Box, die im Fahrzeug eingebaut ist. Die Daten werden dann per Funk an den Versicherer übertragen und ausgewertet. Aber auch wo und wann gefahren wird ist Teil der Auswertung. So stuft der Versicherer Kunden als riskanter ein, wenn der Fahrer häufiger auf der Autobahn unterwegs ist oder überwiegend bei Nacht fährt. Die Kriterien und die Gewichtung sind teils unterschiedlich bei den Anbietern. Das Tempo ist allerdings häufig das ausschlaggebendste Merkmal.

Was nicht gemessen wird: Allerdings geben auch diese Messwerte keine abschließende Auskunft darüber, ob der Fahrer tatsächlich rücksichtsvoll und regelkonform fährt. Das Überfahren roter Ampeln etwa oder Alkohol im Blut – das zeichnet die App nicht auf, außer es wirkt sich auf den Rest der Fahrweise aus. Auch wenn mal jemand anderes den Wagen fährt als der Versicherte und dieser rasanter über die Straßen rauscht, fließt das trotzdem in die Risikoauswertung mit ein. Einzelne „Ausreißer“ würden aber nicht ins Gewicht fallen, erklärt Holger Brendel, Sprecher der Huk-Coburg. Der Versicherer bietet den Telematiktarif erst seit Jahresbeginn an. In Gefahrensituationen könne es ja schließlich auch einmal erforderlich sein, eine Notbremsung zu machen oder ruckartig das Lenkrad zur Seite zu reißen. „Wir messen anfangs erst einmal bis zu einem Jahr – je nachdem, wie viel derjenige fährt. Danach hat man ein ziemlich genaues Bild und es können gegebenenfalls die ersten Rabatte gewährt werden“, sagt Brendel.

Ein anderer Versicherer, die VHV-Gruppe, agiert ähnlich. Frederik Hesse, Leiter Kfz Privat bei den VHV-Versicherungen sagt: „Wir filtern einen gewissen Prozentsatz dieser Extremereignisse je Fahrt zugunsten unserer Kunden heraus. Es hat beispielsweise keine Konsequenzen, wenn Kunden zur Unfallvermeidung stark bremsen oder auf Autobahn-Auffahrten zügig beschleunigen.“ Laut VHV lag die durchschnittliche Ersparnis mit Telematik 2016 bei 21 Prozent.

Was Kritiker sagen: Natürlich funktioniert das System nur mit einer ganzen Reihe erhobenen Daten. Zu jeder Zeit wird aufgezeichnet, wo sich der Fahrer aufhält. Das kann Vorteile haben – beispielsweise wird auch ein Unfall über das System gemeldet und der Sender ruft in dem Fall Rettungskräfte herbei. Aber auch im normalen Alltag, überwacht der Sender jede Bewegung. „Mit den Telematik Tarifen ermöglicht man dem Versicherer, Zugriff auf seine Daten zu nehmen, ein Profil zu erstellen. Zwar hat schon jedes neue Fahrzeug eine interne Datensammlung, auf die hat aber weder der Versicherer noch der externe Datenverarbeiter Zugriff“, sagt Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg.

Hesse sagt, die VHV erhielte keine Einsicht in die erhobenen Werte: „Die Daten werden weder zur Erhebung der Jahresfahrleistung, noch im Schadenfall genutzt“, sagt Hesse. „Aus unserer Sicht ist es ein Vorteil, dass die Box im Innenraum des Autos nicht sichtbar verbaut ist. Der Kunde muss sich also nicht darum scheren, dass System bei jeder Fahrt an- oder abzuschalten“, sagt Brendel. Versichert aber, dass die Mitarbeiter der Huk-Coburg die Daten nur verschlüsselt empfangen. Die Datenauswertung geschehe anonym.

Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg sieht allerdings noch einen weiteren Kritikpunkt: „Am variabelsten ist der Verbraucher mit einer App. Dann darf aber das GPS außerhalb des Fahrbetriebes nicht in Betrieb sein“, sagt sie. Ansonsten würde das GPS beispielsweise auch messen, wenn man mit der Bahn oder dem Taxi unterwegs ist. „Eine Box hingegen kann Extra Geld kosten. Bei manchen Versicherern kann man inzwischen bei schlechtem Verhalten auch runtergestuft werden“, sagt Becker-Eiselen. In dem Fall ist darauf hinzuweisen, dass eine Telematik-Option jederzeit kündbar ist.

Was die Tester sagen: Finanztest hat aktuell die Tarife von Versicherungen verglichen, die Telematik anbieten und kommt zu dem Schluss: Ersparnis ja, allerdings zu Kosten vieler persönlicher Daten. Am meisten lohnt sich Telematik für junge Menschen. Die Hälfte der getesteten Versicherer bieten die Tarife überhaupt nur für junge Menschen bis 25 beziehungsweise 30 Jahre an.

Der Modellkunde von Finanztest war ein 19-jähriger Golf-Fahrer, der bislang unfallfrei unterwegs war. Die Ersparnisse bei ihm reichen von maximal 15 bis 30 Prozent. Im Vergleich: Bei der günstigsten Versicherung ohne Telematik zahlt der Beispielkunde laut Finanztest 1057 Euro (Europa, Tarif „Basis Spar Kasko“), bei der günstigsten mit Telematik im Optimalfall 720 Euro (Sijox).

Einige der Telematik-Apps lassen sich auch erst einmal testen, auch wenn man noch kein Versicherungskunde ist. Möglich ist das zum Beispiel bei der Allianz oder Cosmos.

Auch interessant

Kommentare