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Schwarzer Schnee

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Schwarzes Eis an der Westküste von Grönland.
Schwarzes Eis an der Westküste von Grönland. © getty images

Das Eisschild in Grönland verändert sich dramatisch – und schmilzt noch schneller

Jason Box kennt sich aus mit Eis – vor allem mit dem gigantischen Eisschild, das mehrere tausend Meter dick auf Grönland sitzt. Vor kurzem kam der Wissenschaftler von einer Reise auf die Insel zurück, die zu Dänemark gehört. „Ich war wirklich geschockt“, sagte er einem Reporter. Das Eis war in großen Gebieten nicht weiß, sondern fast schwarz. Box ist Glaziologe, Eis- und Gletscherforscher. Er beobachtet den Trend zum „schwarzen Schnee“ auf Grönland seit Jahren. Regelmäßig besucht der Wissenschaftler von der Geologischen Forschungsanstalt für Dänemark und Grönland (GEUS) die Insel im Norden. Betrachtet man die Fotos, die Box in diesem Sommer machte, glaubt man zuerst, sie seien mit einer Bildbearbeitungs-Software eingefärbt worden. Doch der „schwarze Schnee“ ist echt, und seine Folgen sind dramatisch.

Waldbrände als Ursache

Je dunkler eine Oberfläche ist, desto weniger des eingestrahlten Sonnenlichts reflektiert sie. Frischer Schnee wirft rund 90 Prozent der Strahlen zurück, seine „Albedo“ (Rückstrahlvermögen) beträgt 0,9. Und so wie das Karosserieblech eines Autos mit schwarzem Lack in der Sonne heißer wird als ein weißes, schmilzt geschwärztes Eis schneller als normales. Die Experten sprechen von einer „Eis-Albedo-Rückkopplung“. Das grönländische Eis schwindet noch schneller als durch die Erwärmung der Umgebungstemperatur ohnehin schon. In diesem Jahr war das Grönland-Eis Jason Box zufolge stärker eingefärbt als jemals zuvor. „2014 war der Eisschild 5,4 Prozent dunkler“, berichtet Box. Die dadurch zusätzlich absorbierte Energiemenge entspreche in etwa dem Doppelten des jährlichen Stromverbrauchs der USA, rechnet der Forscher vor.

Satellitenfotos von Grönlands Eismassen werden seit 1981 gemacht. Die Eis-Albedo nimmt seither kontinuierlich ab. Besonders die Ränder des Schilds sind von der Einschwärzung betroffen, aber auch höher gelegene Zonen verfärben sich. Vor allem zwei Effekte sind dafür verantwortlich. Zum einen sind es Veränderungen im Eis selbst. Schmelzende Schneekristalle verändern ihre Gestalt, sie verklumpen, werden dunkler und reflektieren Licht weniger gut. Hinzu kommt, dass sich Partikel aus der Atmosphäre – zum Beispiel Ruß – auf der Oberfläche des Eises absetzen, die zum Teil über Tausende Kilometer herantransportiert werden. Quellen dafür sind unter anderem Waldbrände im westlichen von Grönland gelegenen Kanada, Emissionen aus Kraftwerken und Industrieanlagen, aber auch Abgase von Schiffen auf der Nordroute, die Schweröl als Treibstoff verbrennen.

Großen Einfluss auf die verstärkte Schwärzung hat offenbar die Zunahme der Waldbrände in der arktischen Region. In den vergangenen drei Jahren sei im Schnitt doppelt so viel Fläche abgebrannt wie im Jahrzehnt davor, berichtete Box im US-Onlinemagazin „Slate“. Allein in Kanadas Nordwesten gingen danach in diesem Jahr mehr als 3,3 Millionen Hektar in Flammen auf, neunmal so viel wie sonst üblich. Einer dieser Waldbrände war so gigantisch, dass sein Rauch sogar bis nach Portugal transportiert wurde. Unklar ist bisher noch, wie groß die Ruß-Anteile aus den verschiedenen Quellen sind, ob also die Industrie oder die Waldbrände das größere Problem sind.

Erwärmung und Ruß setzten dem Eispanzer tatsächlich immer mehr zu. Unlängst veröffentlichte Satellitenmessungen des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven zeigten, dass sich der jährliche Eisverlust in Grönland in den letzten fünf Jahren verdoppelt hat. Die Forscher hatten für ihre Studie Daten des ESA-Satelliten Cryosat-2 ausgewertet. Damit konnten sie erstmals flächendeckende Karten der Eisschilde an Nord- und Südpol erstellen.

Aber auch die Antarktis, wo es keine vergleichbare Verfärbung des Eises gibt, verstärkt sich der Abschmelzprozess. In der West-Antarktis hat sich der jährliche Eisverlust laut der AWI-Bilanz seit 2009 sogar verdreifacht. Im Osten der Antarktis lässt sich zwar ein Eiszuwachs feststellen, der von vermehrtem Schneefall herrührt. Dadurch werden die Verluste im Westen jedoch nicht aufgewogen. Die Gesamtbilanz ist negativ.

Der Meeresspiegel könnte sich anheben

Zusammen verlieren Grönland und die Antarktis inzwischen pro Jahr rund 500 Kubikkilometer Volumen pro Jahr. Zum Vergleich: Diese Menge entspricht einer Eisschicht, die sich über das gesamte Stadtgebiet Hamburgs erstreckte und rund 600 Meter dick wäre. Es handele sich um die „höchste Verlustrate seit Beginn der Satelliten-Höhenmessungen vor 20 Jahren“, kommentierte AWI-Glaziologin Angelika Humbert, eine Mitautorin der Studie. Das nährt die Befürchtungen der Klimaforscher, dass in der Arktis und im Westen der Antarktis ein irreversibles Schmelzen der Eispanzer einsetzen könnte oder sogar schon eingesetzt hat, das den Meeresspiegel alleine langfristig um mehrere Meter anheben könnte. Das würde viele Millionenstädte an den Küsten wie New York, Shanghai oder Alexandria unbewohnbar machen.

In den beiden Eisschilden sind die Schneefälle von hunderttausenden Jahren enthalten, sie speichern gigantische Mengen Wasser. In Grönland beträgt das Volumen knapp drei Millionen Kubikkilometern, in der Antarktis sind es rund 27 Millionen Kubikkilometer. Zumindest theoretisch reicht das aus, um den Meeresspiegel weltweit um 65 Meter ansteigen lassen. Das Grönland-Eis würde dazu sieben Meter beitragen, das westantarktische Eisschild drei Meter. Dieser Prozess würde allerdings über mehrere Jahrhunderte verlaufen. Nur: Zu stoppen wäre er nicht mehr, und die Besiedlung der heutigen Küstenzonen müsste schon viel früher aufgegeben werden.

Eine globale Erwärmung um drei Grad Celsius ließe nach AWI-Modellrechnungen das Grönlandeis rapide schmelzen. Bliebe es beim derzeitigen Ausstoß von Treibhausgasen in die Atmosphäre, könnte dieser Vorgang bereits 2050 unwiderruflich in Gang gesetzt werden. Im Falle der Westantarktis halten es einige Forscher sogar für wahrscheinlich, dass der Eisschild bereits jetzt instabil geworden ist. Die dortigen Gletscher Pine Island und Thwaites hätten vor kurzem ihren Kipppunkt überschritten, erläutert Professor Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Von Pine Island brechen immer wieder gigantische Eisfelder ab, die größer als die Fläche von London oder Hamburg sind.

"Negativer Meilenstein"

Deutlich spürbare Folgen wird der Eisverlust in der Antarktis nach einer neuen Untersuchung bereits in diesem Jahrhundert haben. Eine von Levermann geleitetete Studie kommt zu dem Schluss, dass er alleine den Meeresspiegel bis 2100 zusätzlich um bis zu 37 Zentimeter erhöhen wird. Im jüngsten Report des Weltklimarats IPCC, der einen Gesamtanstieg von maximal rund einen Meter bis Ende des Jahrhunderts prognostiziert, war dieser Beitrag mit maximal 16 Zentimeter veranschlagt worden. Deichbauer und Siedlungsplaner müssen also damit rechnen, dass die Meter-Marke deutlich früher erreicht wird – und der Anstieg sich danach beschleunigt fortsetzt.

Die Instabilität des westantarktischen Eisschilds sei ein „negativer Meilenstein“ in der Entwicklung des globalen Klimas, warnt Levermann. Es sei zwar noch unklar, wie schnell dieses Kippen verlaufen werde. „Aber wir wissen: Es ist in Gang gesetzt, und es ist nicht mehr zu stoppen“, sagte der Forscher. Was die Weltgemeinschaft verhindern müsse, sei, dass auch das so genannte Wilkes-Becken in der Ost-Antarktis kippt, das mindestens so groß ist wie der Eisschild im Westen des Kontinents. Die Ost-Antarktis sei bisher noch stabil. „Aber das Kippen wird um so wahrscheinlicher, je mehr wir den Planeten erwärmen.“

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