Wie Union, SPD, FDP, Grüne und Linke der AfD in die Hände spielen
Analyse Nach Bekanntwerden eines rechtsradikalen Geheimplans zur Abschiebung von Millionen Menschen wird verstärkt über ein AfD-Verbot diskutiert. Wirksamer wäre aber ein anderes Vorgehen
Könnten auch etwas an ihrer Politik ändern: Nach Bekanntwerden eines Treffens rechtsradikaler Aktivisten beteiligen sich Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock an der Demonstration „Potsdam wehrt sich“
Foto: Sebastian Christoph Gollnow/picture alliance/dpa
Die investigativen Journalisten von Correctivhaben verdienstvoller Weise herausgefunden, dass im November 2023 in der Nähe von Potsdam ein Treffen von Faschisten stattgefunden hat, an dem auch vier Politiker der AfD teilnahmen. Darunter war der persönliche Referent der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel. Zwei CDU-Mitglieder waren ebenfalls anwesend. Akklamierter Einpeitscher war der Rechtsextreme Martin Sellner, bis 2023 Führer der „Identitären Bewegung Österreich“. Einig waren sich die Teilnehmer in der Forderung, Menschen mit Migrationshintergrund, selbst wenn sie deutsche Staatsbürger sind, aus dem Land zu schaffen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) befand, dies sei ein Fall für den Verfassungsschutz. Recht hätte er, wenn man dieser Behö
and zu schaffen.Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) befand, dies sei ein Fall für den Verfassungsschutz. Recht hätte er, wenn man dieser Behörde vertrauen könnte. Kann man aber nicht. Was Hans-Georg Maaßen, ihr früherer Präsident, aus dieser Aufgabe gemacht hätte, lässt sich leicht vorstellen. Sein Nachfolger, Thomas Haldenwang, wendet sich scharf gegen die AfD. Aber er muss mit einem Apparat arbeiten, der nicht nur durch Maaßen geprägt ist, sondern auch auf dem rechten Auge blind und gegen links zu fast allem bereit. Ein offener Bruch mit dieser Tradition hat nie stattgefunden.Thomas Haldenwangs Warnungen vor der AfDHaldenwang kennt seinen Laden und verlässt sich deshalb auf öffentliche Warnungen vor der AfD. Selbst die FAZ stellte fest, dafür werde er nicht bezahlt, und ein Gericht verbot ihm, während eines AfD-Parteitags diesen zu kommentieren. Er ist CDU-Mitglied. Aus der AfD fing er sich die Verdächtigung ein, er handele als Parteisoldat mit Konkurrenzabsichten.Es gibt weitere parteipolitisch geprägte Ereignisse, die es der AfD leicht machen, sich als Opfer zu inszenieren.Wenn die „Alternative für Deutschland“ das ihr nach Proporz zustehende Amt des Bundestags-Vizepräsidenten besetzen will, fallen ihre Kandidaten regelmäßig durch.Das Bundesverfassungsgericht erklärte es für grundgesetzwidrig, dass die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung von der staatlichen Förderung, die den anderen Parteien genehmigt wird, ausgeschlossen blieb. Beobachter, die mit Nazis und Rassisten nichts am Hut haben, aber etwas von formaler Korrektheit halten, haben den Eindruck, die bisherigen Nutzer der Töpfe hätten bei der Selbstbedienung unter sich bleiben wollen.Ein Parteienverbot durch das Bundesverfassungsgericht halten viele Experten für aussichtslos. Dass es jetzt wieder diskutiert wird, erlaubt es der AfD, sich auch hier um Opferboni zu bewerben. Sie ist nicht blöd, sondern betont, dass sie sich angeblich an die freiheitliche demokratische Grundordnung halte. Besonders schätzt sie die unbehinderte Meinungsäußerung und fordert mehr Volksabstimmungen. Schwierigkeiten hat sie allerdings mit dem ersten Artikel des Grundgesetzes: Ihre Diskriminierung von Migranten verstößt gegen die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Auch die individuellen Freiheits- und politischen Teilhaberechte will sie lieber nur Biodeutschen zubilligen.Beatrix von Storch: Schüsse auf FlüchtlingeDie AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch erwog einst, erforderlichenfalls müsse auf Flüchtlinge geschossen werden. Von der inzwischen ausgeschiedenen Ex-Vorsitzenden Frauke Petry ist Ähnliches bekannt. Die Großen Koalitionen unter Merkel und die Ampel-Regierung hielten und halten es für geboten, die EU so abzuschotten, dass Zehntausende im Mittelmeer sterben. Die Forderung nach Erschießen gilt zu Recht als zynisch und menschenverachtend; Ertrinken lassen offenbar nicht.Sämtliche Regierungsparteien seit Kohl und Schröder haben eine marktradikale Wirtschaftspolitik entweder von Anfang an forciert oder sind auf sie eingeschwenkt. Im Ergebnis klafft die Kluft zwischen Arm und Reich ständig weiter auf. Die AfD hat nichts dagegen, ernährt sich aber von der schlechten Laune derer, die davon nichts abbekommen.Reiche Rechte, rechte ReicheAm Novembertreffen von Rechtsextremen bei Potsdam nahmen reiche Leute teil, die mit großem Geld Einfluss auf die Politik nehmen wollen. Am Anfang der neoliberalen Wende vor vierzig Jahren stand der Parteispendenskandal im Zusammenhang mit der Flick-Affäre. Damals kam heraus, dass insbesondere die Union und die FDP durch finanzielle Pflege der politischen Landschaft gefördert wurden. Seitdem sind durch das inzwischen erfolgte weitere Anwachsen großer Vermögen und Einkommen die Ressourcen dafür noch saftiger geworden.Die AfD, Russland und die Ampel-AußenpolitikMit ihrer Boykottpolitik gegen Russland wegen dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine verteuert die Ampel-Koalition Erdöl und -gas. Das wiederum treibt die Lebenshaltungskosten in die Höhe. Dies trifft die Geringverdiener mehr als die Bessergestellten. Dass die AfD transatlantische Vasallentreue ablehnt, hat rein nationalistische Gründe. Sie ist gegen die antirussische Konfrontationspolitik und Waffenlieferungen an die Ukraine. Das gilt als Ausweis ideologischer Nähe zum Putin-Regime. Mag sein. Aber diese außenpolitische Orientierung erscheint als weniger mit Eskalationsgefahr behaftet als der gegenwärtige Kurs der Bundesregierung. Sie kommt besonders in Ostdeutschland an, wo man – aus welchen Gründen auch immer – im Gedächtnis behalten hat, dass Frieden ohne verlässliche Beziehungen zu Russland labil bleibt.Die Ampel hält an der Schuldenbremse fest und vermeidet gleichzeitig die einzige Möglichkeit, durch die sie allenfalls beibehalten werden könnte: Steuererhöhungen auf hohe Vermögen und Einkommen. Das Bundesverfassungsgericht hat ihr mit dem Urteil vom vergangenen Dezember bei den Haushaltstricksereien, mit denen sie das Unmögliche erzwingen wollte, das Handwerk gelegt. Die Sparmaßnahmen, die sie jetzt ergreift, treffen Ärmere stärker als Reiche.Während Corona wurden die Reichen noch reicherSondervermögen für die Bundeswehr, keines für die Bildung. Die Ergebnisse der neuesten PISA-Studie werden zum Teil darauf zurückgeführt, dass die Schulklassen nicht nur zu groß, sondern auch heterogen seien: viele Kinder mit Migrationshintergrund. In der AfD lacht man sich ins Fäustchen. Andere Wege werden nicht gegangen: kleinere Klassen und bedarfsgerechte Betreuung von Schüler(inne)n verschiedenartiger Herkunft seien zu teuer. Die Bildungsziele sind an Akademisierung orientiert, nicht an der rechtzeitigen Grundlegung von Kenntnissen und Fertigkeiten für alle. Am Abitur mit Facharbeiterbrief ist die DDR gewiss nicht zugrunde gegangen.Während der Covid-19-Pandemie sind die großen Vermögen und ist die Armut weiter gewachsen. Für die AfD war das kein Thema, aber Anlass, erfolgreich Verschwörungsgerüchte zu nähren und Freiheit für Corona-Leugner und Impfgegner zu fordern.So haben Union, SPD, FDP und Grüne der AfD ständig die Hasen in die Küche getrieben.Zugegeben: Die Linkspartei machte da nicht mit. Für eine wirksame Opposition hatte sie aber keine Zeit, denn sie musste ja ständig aufs eigene Tor spielen.Jetzt wird allenthalben gefordert, die AfD inhaltlich zu stellen. Gemeint ist der Nachweis, dass sie Böses im Sinn hat. Wirksamer wäre es, wenn die mit ihr konkurrierenden Parteien ihre bisherige Politik revidieren würden, durch die sie deren Aufstieg zugearbeitet haben.
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