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Ein lanc-iertes Mordgeständnis

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Für Manfred Scheuch, Chefredakteur des SPÖ-Zentralor-gans „Arbeiter-Zeitung", war am 8. Oktober alles aufgeklärt: den österreichischen Sicherheitsbehörden sei „die Uberführung des Mörders unseres unvergessenen ; Heinz Nittel" gelungen.

Folglich verstand er die innenpolitische Welt nicht mehr: „Daß sich gerade angesichts des Faktums, daß ein mehrfacher Killer überführt werden konnte, unsere Oppositionsparteien zu einem Mißtrauensantrag gegen den Innenminister versteigen, ist eine der Absurditäten, die im Ausland oft Kopfschütteln hervorrufen."

Uber derartige „Information aus erster Hand" (AZ-Werbe-spruch) schüttelt man hierzulande den Kopf: aus dem Geständnis des Synagogen-Mörders Husham Rajih, in dem er behauptet, am 1. Mai auch den Wiener Stadtrat Heinz Nittel erschossen zu haben, das Faktum der Uberführung des Täters herauszulesen, ist nicht nur rechtlich unzulässig (Untersuchungsrichter Gerhard Habl: „Die Indizien reichen nicht aus"),

sondern auch journalistisch fragwürdig.

Doch fragwürdig ist manches an diesem lanc-ierten Mordgeständnis.

Als sich die Volkspartei am 6. Oktober mit einer Dringlichen Anfrage über die ihrer Meinung nach „zunehmende Verschlechterung der öffentlichen Sicherheit in Österreich" Innenminister Erwin Lanc im Parlament vorknöpfte, wurde darin auch die Ermordung des Stadtrates Nittel angesprochen.

In der Debatte, die zudem bereits vom Sadat-Mordanschlag überschattet wurde, verlor Lanc kein Wort, das auf einen möglichen Fortschritt auf der Suche nach dem Nittel-Mörder hingedeutet hätte.

Tags darauf präsentierte er den Journalisten um 14 Uhr ein Rajih-Geständnis, bevor er um 15.55 Uhr im Nationalrat Farbe bekannte: „Durch ein am 4. Oktober abgelegtes Geständnis eines der beiden Attentäter auf die Synagoge in Wien, Rajih Husham, scheint der Mord am Wiener Verkehrsstadtrat Heinz Nittel vom 1. Mai dieses Jahres geklärt zu sein."

Diese Vorgangsweise des Innenministers irritierte nicht nur seine eigenen Parteifreunde, sie empörte die Opposition. Trotz der Lanc-Entschuldigung, er sei unter Zeitdruck gestanden und habe daher nicht vor der Presse das Parlament und nur gleichzeitig-

das Gericht verständigen können, traf ihn das oppositionelle Mißtrauen: weil er zuerst die Öffentlichkeit und erst dann die Volksvertretung informiert habe. Und weil er am Vortag dem Parlament bewußt die Wahrheit verschwiegen habe.

Als Erklärung dafür, nicht schon am 6. Oktober ausgepackt zu haben, bot Lanc erhebungstechnische Gründe an: Die untersuchenden Beamten seien der Meinung gewesen, eine Äußerung . hätte zusätzliche Nachforschungen gefährden können.

Auch wenn dies den Tatsachen

entspricht, hat sich Innenminister Lanc gegenüber dem Nationalrat bei der Beantwortung der Dringlichen Anfrage nicht korrekt verhalten.

Denn selbstverständlich hat die Volksvertretung ein Anrecht darauf (sonst werden parlamentarische Anfragen als Kontrollinstrument ad absurdum geführt), von einem Regierungsmitglied eine Antwort zu erhalten, die der Wahrheit und. dem Sachverhalt entspricht.

Das heißt noch nicht, daß Erwin Lanc schon am 6. Oktober munter drauflos hätte plaudern müssen (wie das die Volkspartei darstellt), das heißt aber auch nicht, daß er in dieser Situation trotz allem dem parlamentarischen Ritual Genüge getan hat (womit die SPÖ Lanc verteidigt).

Richtigerweise hätte der Innenminister nämlich im Einklang mit dem Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrates durchaus die Beantwortung im konkreten Fall verweigern können, er hätte dies nur begründen müssen.

Eine ebenso korrekte wie mögliche Lanc-Antwort wäre gewe-

sen: „Was nun den'Mord an Stadtrat Heinz Nittel betrifft, ersuche ich das Hohe Haus um Verständnis, daß ich, ohne laufende Erhebungen zu gefährden, noch keine detaillierte Auskunft geben kann. Ich hoffe aber, Ihnen vielleicht schon in absehbarer Zeit genauere Informationen zur Verfügung stellen zu können."

Wann wußte Lanc was?

Eine solche Antwort wäre, vorausgesetzt, daß die von Lanc am Folgetag abgegebene Erklärung stimmt, Rajih habe sein Geständnis am 4. Oktober abgelegt, unanfechtbar gewesen.

Sie wäre aber unmöglich gewesen, wenn der vom Nachrichtenmagazin „profil" in Seiner jüngsten Nummer dargestellte Sachverhalt zutreffen sollte: daß nämlich das Geständnis, das der Innenminister angeblich drei Tage verheimlicht haben soll, überhaupt erst Dienstag nacht (6. Oktober) abgelegt wurde. Träfe dies zu, hätte Lanc am 7. Oktober vor dem Parlament und vor der Presse die Unwahrheit gesagt.

Im — für den Innenminister — günstigeren Fall, hat er, anstatt korrekt Auskunft zu geben, weiter seine am 1. Mai Mord-Erklärung verteidigt.

Lanc damals: „Es kann kein Zufall sein, daß in einer Atmosphäre zunehmender Umfunktionierung politischer Debatten in persönliche Diffamierungen ein sozialistischer Kommunalpolitiker am Festtag der österreichischen Arbeiterschaft, am 1. Mai früh, ermordet worden ist." '

Der Versuch, diesen schwerwiegenden innenpolitischen Verdacht nachträglich in Richtung palästinensischen Terrors umzudeuten, um sich damit vor einer Entschuldigung zu drücken, ist unzulässig. Angesichts des Wissensstandes, über den Lanc am 6. Oktober nach eigenen Angaben verfügt haben müßte, mußte das die Opposition als Provokation werten.

Der deshalb von OVP und FPÖ unterstützte Mißtrauensantrag gegen den Innenminister, der von der SPÖ-Mehrheit, wenn auch nur mit Bauchweh, abgelehnt wurde, war fast die einzige Möglichkeit, die als Sanktion gegen die Verletzung der Antwortpflicht durch ein Regierungsmitglied offensteht.

Parlament abgewertet

Eine andere Möglichkeit, die die Geschäftsordnung vorsieht, war von vornherein auszuschließen: Denn da hätte der Nationalratspräsident (Anton Benya), der die „Würde und Rechte" des Nationalrates zu wahren hat, in unparteiischer Weise und ohne Rucksicht auf fraktionelle Interessen Lanc nachträglich auf die Verlet- . zung seiner Antwortpflicht hinweisen müssen. Benya brach im Gegenteil eine Lanze für Lanc.

Anders die stellvertretende Klubobf rau der SPÖ, Jolanda Offenbeck: Sie hat sich offen über das Lanc-Verhalten geärgert und macht kein Hehl daraus, daß „durch solche Aktionen das Parlament eben abgewertet" wird.

Dem Parlamentarismus hat die Vorgangsweise des Innenministers geschadet. Ob sie der Aufklärung des Nittel-Mordes genützt hat? Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichter vermuteten einstweilen eher das Gegenteil.

Nur die „Arbeiter-Zeitung" hält Rajih des Nittel-Mordes für überführt.

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