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Tötung ist nie eine Lösung

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Für Euthanasie wird oft mittels Beispielen extremen Leidens geworben. Die folgenden Krankheitsgeschichten hingegen zeigen, wie sinnvoll dem Leben dienende ärztliche Hilfe auf jeden Fall ist.

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Für Euthanasie wird oft mittels Beispielen extremen Leidens geworben. Die folgenden Krankheitsgeschichten hingegen zeigen, wie sinnvoll dem Leben dienende ärztliche Hilfe auf jeden Fall ist.

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Die Patientin ist 87 Jahre alt, Diabetikerin, durchblutungsgestört, wegen eines Schenkelhalsbruches operiert; eine Lungenentzündung mit hohem Fieber, Austrocknung und Herzschwäche schlägt sich hinzu, Decubitus und Gelenksversteifungen verursachen Schmerzen und Verzweiflung.

Also eine Todeskandidatin? Aber niemand kann exakt voraussagen, wie lange sie noch zu leben und zu leiden hat. Also ein Freibrief für „Euthanasie", zumindest in Form eines Aufgebens der Therapie?

Der routinierte Arzt am Krankenbett verschwendet keine Zeit für solche Diskussionen. Er weiß aus Erfahrung, wie oft er in analogen, scheinbar hoffnungslosen Situationen beglückende Erfolge erzielt hat, an die er selbst nicht mehr geglaubt hatte. Deshalb macht er seine „Hausaufgaben", führt der Patientin Flüssigkeit in Form von Infusionen zu, verabreicht Antibiotika, Herzmittel und mildert die Schmerzen mit Analgetika. Der Zustand bessert sich schon nach kurzer Zeit, der Leidensdruck läßt nach, der Decubitus beginnt zu heilen, die Patientin kann aufgesetzt und schließlich mobilisiert werden. Sie ist vollmotiviert. Rehabilitation statt Resignation! Ein „Wunder"? Eine spitzenmedizinische Glanzleistung? Keineswegs. „Nur" eine alltäglich ärztliche Pflichterfüllung, eine fachgerechte Vorgangsweise. Es hätte natürlich auch alles anders ausgehen können, - prognostische Irrtümer müssen einkalkuliert werden; aber die Chancen der Patientin auf Besserung und Erholung wurden eben gewahrt, ohne daß die Therapie zusätzliche und unnütze Belastungen oder Risken mit sich gebracht hätte.

Ein 78jähriger Mann, seit Jahren bettlägerig, erleidet den dritten Schlaganfall. Sein Geist ist verwirrt, sein Körper ausgezehrt; er kann nicht mehr trinken und wimmert vor sich hin. Ein Lungeninfarkt kommt hinzu, der Blutdruck sinkt ab. Nach menschlichem Ermessen ist ihm „nicht mehr zu helfen". Soll man ihn also ohne jede Behandlung einfach „sterben lassen"? Das wäre unvertretbar. Zumindest benötigt der Kranke Infusionen und Analgetika, damit er nicht auch noch qualvoll verdurstet; denn der genaue Zeitpunkt seines Todes läßt sich nicht vorhersagen. Also kann man auf Vitalmaßnahmen keineswegs verzichten; dazu gehört natürlich auch die Grundpflege und der menschliche Kontakt. Uber die Verabreichung oder das Weglassen anderer Mittel kann man diskutieren. Im Berichtbuch steht nach einigen Tagen, daß der Patient ruhig verstorben ist.

Die Frau ist 50. Unheilbar. Ihr Körper ist von Krebsmetastasen zerstört. Chemotherapie und Bestrahlung waren nutzlos. Leib und Seele sind einer Höllenpein von Schmerzen und Hoffnungslosigkeit ausgesetzt. Wie lange muß sie noch so „dahinvegetieren", wie lange müssen die Angehörigen noch ihren Anblick ertragen?

Ein „Fall für Tötung auf Verlangen"? Es ist die falsche Frage an den Arzt, an die Medizin; deren Aufgabe ist es doch, den Zustand zu bessern, erträglicher zu gestalten. Hierzu kann man sich vor allem der immer erfolgreicher werdenden Analgesie bedienen, die eine ganze Reihe von effizienten Mitteln, Kombinationen mit Psychopharmaka und andere Methoden der Schmerzbekämpfung kennt und weiter entwickelt; diese ist in einem medikamentösen, pflegerischen und psychischen Gesamtbetreuungs-konzept eingeschlossen mit dem Ziel, die noch verbleibende Lebensspanne so tolerabel wie nur möglich zu machen, Schmerzen, Angst und Depression zu lindern, ohne die Persönlichkeit zu zerstören.

Die Mühe dieses „Managements" lohnt sich, die Patientin wird ruhig, gefaßt und akzeptiert ihren Zustand. Sie stirbt in menschlicher Würde. Hier ist aber noch ein weiterer Aspekt einzubringen: Angesichts der raschen Fortschritte von Wissenschaft und Technik ist die Hoffnung gar nicht so unrealistisch, daß heute noch als unheilbar geltende Krankheiten schon morgen erfolgreich behandelbar sein könnten. Bis es soweit ist, bedeuten aber auch die derzeit zur Verfügung stehenden Maßnahmen eine relevante Hilfe, besonders wenn das persönliche Engagement des Arztes und des Pflegepersonals mit im Spiel ist, der überspringende Funke der menschlichen Wärme und des Optimismus.

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