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Die auslandischen Vorbilder

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In letzter Zeit ist die Diskussion um die Möglichkeiten der Wissenschaft von der Politik zum ersten Male in Oesterreich aktuell geworden, vor allem dank der begrüßenswerten Initiative der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft. Es kann daher nichts näher liegen, als nach einem in Oesterreich kaum bekannten Wegweiser zu greifen, der uns mit der im Ausland schon seit geraumer Zeit währenden Debatte über Ziele und Werte der politischen Wissenschaft vertraut' machen kann. Seit 1950 hat ,sich die sozialwissenschaftliche Abteilung der \lNESCO darum bemüht, die Stellung der Gesellschaftswissenschaften im Hochschulbetrieb vieler Staaten zu studieren und zu vergleichen. Die UNESCO begann vergleichende Studien über die Stellung der Gesellschaftswissenschaften in acht verschiedenen Ländern, nämlich den USA, England, Frankreich, Schweden, Indien, Mexiko, Polen und Aegypten. Aus dem Resultat dieser Untersuchungen wurde die UNESCO-Serie „Unterricht in den Gesellschaftswissenschaften“, in der Monographien über Soziologie, Sozialpsychologie und Ethnologie, Jus, Nationalökonomie, internationale Beziehungen und politische Wissenschaft erschienen sind.

Der vorliegende Band über die politische Wissenschaft („The University of Social Sciences: Political Science.“ A Report prepared by William A. Robson. UNESCO, 1954. 249 Seiten. Preis 400 Francs) gibt eine überaus reiche vergleichende Statistik über den Stand der politischen Wissenschaft in den genannten acht Ländern, eine Statistik, aus der jedoch vor allem eine Lehre gezogen werden kann: daß die Stellung dieses Studiums im Universitätsganzen zuengst mit der Hochschultradition jedes einzelnen Landes verbunden ist, daß es beachtliche Grenzen in der Rezeption der Einrichtungen anderer Länder gibt. In den kontinentaleuropäischen Ländern, mit Ausnahme Schwedens, und in Lateinamerika ist die politische Wissenschaft Stärkstens von der ausgeprägten Bedeutung des lusstudiums bestimmt und überschattet. In den angelsächsischen Ländern und in Indien hat die politische Wissenschaft eine selbständigere Stellung. Dieser Unterschied hängt eng mit Traditionen zusammen, die über die Hochschulen hinaus in die Struktur der Gesellschaft weisen: Der „Staatsdienst“ ist in den angelsächsischen Ländern eine recht junge Erscheinung; das Staatsbeamtentum und das damit zusammenhängende Juristenmonopol des europäischen Kontinents ist in der etwa in Oesterreich oder Frankreich herrschenden Form dort unbekannt, und daher hat auch die Bürokrati-sierung Englands und Amerikas in letzter Zeit in keiner Weise eine Verstärkung der Rechtsstudien mit sich gebracht.

Wesentlich lehrreicher als die statistischen Daten sind die theoretischen Erwägungen, die Professor Robson von der London School of Economics and Political Science anstellt. Robson sieht im Problem der Macht das zentrale Konzept der politischen Wissenschaft, das Konzept,durch das die Einheit dieser Wissenschaft als Disziplin legitimiert wird. Allerdings sieht er das Machtproblem nicht in einer groben, rein auf die Mechanik der Macht gerichteten Weise, sondern im Zusammenhang mit Staatsphilosophie, Verfassungseinrichtungen und mit psychologischen Problemstellungen. Das Konzept der Macht ermöglicht es nach Robson der politischen Wissenschaft, die „politische“ Bedeutung aller möglichen sozialen Erscheinungen, wie politischer Parteien, aber auch wirtschaftlicher Interessengruppen, Gewerkschaften, konfessioneller Gruppen, zu untersuchen. Dies ist es, was den oft gepriesenen „Realismus“ der

politischen Wissenschaft ausmacht, die Möglichkeit, dynamischen Kräften nachzuforschen, die allzuoft von der Verfassungsstruktur eines Staates gar nicht berührt werden — man denke nur an die Stellung der politischen Parteien, der Wirtschaftskammern oder des Gewerkschaftsbundes in Oesterreich! Insbesondere sollten wir wohl die Chancen würdigen, mittels der politischen Wissenschaft die von der Verfassungslehre kaum berührte Rolle der Parteien im heutigen Staatsleben nicht nur in Oesterreich einer objektiveren Betrachtung zu unterziehen, als es der doktrinäre oder gefühlsbetonte Jargon unserer Alltagskonversation erlaubt.

Es scheint allerdings geraten, vor einer Ueberschätzung der politischen Wissenschaft als Training für den öffentlichen Dienst zu warnen. Es ist ein Verdienst von Professor Robsons Ausführungen, die Rolle der politischen Wissenschaft als akademische Disziplin, um ihrer selbst willen des Studiums und der Forschung wert, scharf von der eines für eine bestimmte „Ausbildung“ zurechtgeschneiderten Lehrplanes zu unterscheiden. Wir möchten uns diesen Ausführungen anschließen und betonen, daß das wissenschaftliche Studium der Politik wohl eine Lücke füllt, die in unserem gegenwärtigen Universitätsbetrieb zwischen Rechts- und Wirtschaftswissenschaften klafft, daß dieses Studium aber keineswegs als Ersatz für eine Kenntnis der Wirtschaft oder für eine Schulung im juristischen Denken angesehen werden kann. Es ist der Nachteil einer zu stark auf sich selbst gestellten politischen Wissenschaft, etwa in den Vereinigten Staaten, daß sie ihre Studenten ins Leben oder in die weitere Forschung entläßt, ohne sie genügend mit grundlegenden Elementen der Jurisprudenz und des Wirtschaftslebens vertraut gemacht zu haben. Alle Experimente im Studium der Politik, an deren Schwelle wir — hoffentlich — in Oesterreich stehen mögen, sollten sich dieser Erfahrung bewußt sein.

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