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FERNSEHEN - EINMAL ANDERS

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Rasch steigende Teilnehmerzahlen, Vermehrung der wöchent-liehen Programmstunden, Einführung zweiter und weiterer Programme, Erschließung neuer Wellenbereiche — das sind die - weithin sichtbaren Zeichen jener rapiden Entwicklung, die das Fernsehen als Massenmedium in den letzten Jahren in aller Welt genommen hat. Relativ unbemerkt dagegen bleibt die Tatsache, daß sich das Fernsehen auch noch weite andere Bereiche erschlossen hat und dort schon heute zum Teil nicht mehr wegzudenken ist.

Das in technischer Hinsicht Grundlegende am Fernsehen ist ja nicht die drahtlose Übermittlung, deren sich in gleicher Weise auch der Rundfunk und der drahtlose Telegraphie- und Tele-phonieverkehr bedienen. Wesentlich ist das Prinzip der elektrischen Bildübertragung, ist die Tatsache, daß man das Bild eines Vorganges an einer oder mehreren anderen Stellen im gleichen Zeitpunkt beobachten kann, in dem sich dieser Vorgang abspielt. Gerade das, was im Fernsehprogramm als „Live-Sendung“ eine immer geringere Rolle spielt, hat auf anderen Gebieten zu nicht unbeträchtlichen Umwälzungen geführt. Dabei stehen wir hier erst am Anfang einer Entwicklung, deren Ende überhaupt nicht abzusehen ist.

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Eine sehr vielfältige Anwendung hat die elektrische Bildübertragung in der Industrie gefunden. Spezielle elektronische Kameras wurden für die verschiedensten Zwecke entwickelt. Diese Kameras werden — meist über Kabel — mit sogenannten Monitoren verbunden, mit Geräten also, die auf einem Bildschirm das von der Kamera aufgenommene Bild zeigen. Oft werden die Kameras mit einer Fernsteuerung ausgerüstet, so daß man, vor dem Monitor sitzend, Blickrichtung und Blickwinkel verändern kann. So wird es möglich, daß man eine fast beliebig, große Anzahl von Maschinen, Meßgeräten oder Produktionsvorgängen an einer Stelle beobachten und somit von dieser Stelle aus zentral steuern kann. Die einem Kamin entströmenden Abgase lassen sich beispielsweise im Maschinenhaus beobachten, dort also, wo man den Verbrennungsvorgang unmittelbar beeinflussen kann. Aber auch Vorgänge, deren direkte Beobachtung schwierig oder gefährlich ist, können mit Hilfe der elektrischen Bildübertragung jederzeit und ständig kontrolliert werden.

Aus diesen Anwendungen heraus wurde schon vor vielen Jahren der Begriff „industrielles Fernsehen“ geprägt. Aber die Anwendungen der elektrischen Bildübertragung reichen heute weit über diesen Bereich hinaus.

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Es ist naheliegend, daß man sich des „industriellen Fernsehens“ auch in der Forschung bedient. Gerade im Atomzeitalter ist es oft erforderlich, Vorgänge zu verfolgen, die eine unmittelbare Beobachtung wegen der damit verbundenen Gefahr ausschließen. Die Weltraumforschung ist ohne die elektrische Bildübertragung . kaum denkbar. *mM baujttiii bmfilM isd.Joi/srhaJe

Anderseits erschließt die elektrische Bildübertragung auch dem Hochschulunterricht neue Wege. Die weitaus größte Verbreitung hat sie bisher — aus naheliegenden Gründen — im medizinischen Unterricht gefunden. Denn erst durch dieses technische Hilfsmittel ist es möglich geworden, daß eine größere Anzahl von Studenten eine Operation in allen Einzelheiten und „aus der Nähe gesehen“ genau verfolgen kann. Zahlreiche Kliniken sind zu diesem Zweck schon mit „Farbfernsehanlagen“ ausgerüstet. Darüber hinaus bietet sich die Fernsehtechnik auch der medizinischen Diagnostik an; etwa zur Untersuchung von Körperhöhlen durch speziell für den betreffenden Zweck konstruierte elektronische Kameras.

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Damit sind aber die Anwendungen der elektrischen Bildübertragung noch lange nicht erschöpft. So findet sie zum Beispiel allmählich auch in das Alltagsleben Eingang. Ob es sich nun darum handelt, einen Selbstbedienungsladen zu überwachen, oder ob in einer Bankfiliale eine Scheckunterschrift mit dem in der Zentrale aufliegenden Unterschriftsmuster via „Fernsehen“ verglichen wird, überall ermöglicht die elektrische Bildübertragung Rationalisierungen und Vereinfachungen.

In vielen Großstädten (etwa in München) werden größere Verkehrsknotenpunkte vermittels elektronischer Kameras von einer Zentrale aus überwacht, und die Verkehrsampeln können von dort aus, der augenblicklichen Gesamt Verkehrssituation entsprechend, gesteuert werden. In Städten wie Hamburg ist

man dazu übergegangen, in den Stationen der U-Bahn nur einen der beiden Bahnsteige mit einem Bahnsteigschaffner zu besetzen. Dieser Schaffner beobachtet über zwei Monitore auch den gegenüberliegenden Bahnsteig (auf den die direkte Sicht ja durch den dort haltenden Zug verdeckt ist) und fertigt die Züge über Mikrophon und Lautsprecher ab.

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Schon diese wenigen Beispiele lassen ahnen, welch vielfältige Anwendungen die elektrische Bildübertragung in der Zukunft noch finden wird. Schon hat sie in ein Gebiet Eingang gefunden, das sich zur Bildwiedergabe bisher ausschließlich gänzlich anderer Mittel bediente: in das des Films. Schon wird das sogenannte Electronic-Cam-Verfahren in der Filmproduktion praktisch verwendet.

Bei diesem Verfahren wird, ähnlich wie im Fernsehstudio, mit mehreren Filmkameras zugleich gearbeitet. Jede Filmkamera ist mit einer elektronischen Kamera kombiniert, die denselben Bildausschnitt erfaßt wie die zugehörige Filmkamera. Die von den . elektronischen Kameras gelieferten Bilder erscheinen auf den Monitoren eines „Mischpultes“, von dem aus die einzelnen Filmkameras ein- und ausgeschaltet werden können. Hier wird also schon bei der Aufnahme am Mischpult „geschnitten“, ähnlich wie bei einer Fernseh-Live-Sendung.

Auch Filmschneidetische und andere für die Filmproduktion benötigte Geräte werden verschiedentlich mit Einrichtungen für elektronische Bildwiedergabe ausgerüstet. Man kann dann nicht nur Negativfilme unmittelbar als Positiv sehen, sondern auch mehrere Monitore zugleich anschließen und so beispielsweise Synchronisierungen in mehreren Sprachen gleichzeitig durchführen.

Daß man sich bei der Filmproduktion auch der magnetischen Bildaufzeichnung bedienen wird, ist vermutlich nur noch eine Frage der Zeit. Jedenfalls wird auch die magnetische Bild-speicherung über ihre Verwendung zur Aufzeichnung von Fernsehprogrammen hinaus manche revolutionierende Anwendung finden.

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Und so werden sich der elektrischen Bildübertragung im Laufe der Zeit immer neue Anwendungsgebiete erschließen. Und vielleicht wird das „Fernsehen“ von dieser Seite her eines Tages mindestens ebensosehr für die Lebensgewohnheiten und die Lebensformen der Menschen bestimmend sein wie in seiner Funktion als Massenmedium.

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