Grundsätzlich sind konventionelle Fließpressprodukte rotationssymmetrisch ausgebildet und folgen im Allgemeinen den hier dargestellten Konstruktionsrichtlinien. Durch Kaltmassivumformung lassen sich jedoch auch nicht rotationssymmetrische sowie unter anderen Gesichtspunkten komplexe Bauteile herstellen. Um das Spektrum der realisierbaren Bauteile zu erweitern, werden an Institutionen und in Unternehmen Arbeiten durchgeführt, welche die verschiedenen Verfahrensgrenzen fortschreitend erweitern.
Ungeachtet dessen empfiehlt es sich, den Fertigungsprozess durch Berücksichtigung nachfolgender Richtlinien zu erleichtern. Dadurch lassen sich Kosten minimieren und Fertigungssicherheiten maximieren.
Werkstoffanhäufungen sind bei der Herstellung von Kaltmassivumformteilen nach Möglichkeit zu vermeiden. Hierbei können insbesondere unsymmetrische Massenverteilungen bei der Umformung zu Problemen führen und bedürfen daher besonderer Überprüfung hinsichtlich Notwendigkeit und gegebenenfalls technischer Umsetzbarkeit.
Asymmetrien | ||
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Asymmetrische Materialanhäufungen sind zu vermeiden. Im Einzelfall sind asymmetrische Materialflüsse auf Notwendigkeit und Umsetzbarkeit zu prüfen |
Abbildung 1: Asymmetrische Massenverteilung
Ebenso sind schroffe Übergänge zwischen dicken und dünnen Wandstärken bei Hohlteilen zu vermeiden. Wenn dies nicht möglich ist, sind ausgeprägte Verrundungen vorzusehen.
Wanddickenübergänge | ||
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Schroffe Wanddickenübergänge sollten vermieden werden. Gegebenenfalls sind große Querschnittsänderungen durch entsprechende Radien zu überbrücken. |
Abbildung 2: Anpassung von schroffen Wandstärkenübergängen
Die Oberflächen der Umformteile sollten keine scharfen Kanten und Ecken aufweisen, da der Werkstoff während der Formgebung an entsprechend kleinen Radien der Umformwerkzeuge entlang fließen muss. Je nach Durchmesser des Bauteiles sind während der Umformung Radien von 1,5 – 20 mm anzustreben. Es können auch scharfe Kanten und kleine Radien eingeformt werden, jedoch erfordern diese Maßnahmen meist zusätzliche Arbeitsgänge in denen kein maßgeblicher Stofffluss über diese Kanten stattfindet.
Verrundungungen | ||
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Kleine Kantenradien führen zu mangelhaftem Materialfluss. Notwendige kleine Radien können meist nur in zusätzlichen Prozessschritten gefüllt werde. Auch an Fasen sind Übergangsradien vorzusehen. |
Abbildung 3: Übergangsradien an Absätzen und Fasen
Bei der Herstellung von Sacklöchern durch Napfrückwärtsfließpressoperationen ist weiterhin darauf zu achten, dass aus Materialflussgründen der Napfboden nicht ohne spezielle Maßnahmen im rechten Winkel zur Innenwand ausgeführt werden kann.
Sacklochgeometrien | ||
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Sacklöcher weisen ein Abbild der notwendigen Werkzeuggeometrie auf. Im Allgemeinen gilt hier: |
Abbildung 4: Ausbildung von Sacklochgeometrien beim Napfrückwärtsfließpressen
Hinterschneidungen können prinzipiell durch Querfließpressprozesse oder Kopfstauchen dargestellt werden. Hierbei ist zu prüfen, ob die Entnahme der Bauteile nach der Umformung ohne Teilung der Werkzeuge möglich ist. Freistiche an Wellenabsätzen sind demnach im Detail auf Machbarkeit zu prüfen.
Hinterschneidungen | ||
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Wellenfreistiche lassen sich mit Vollvorwärtsfließpressen nur mit Sondermaßnahmen herstellen. Es ist zu prüfen, ob andere Lösungen ohne Freistich möglich sind. Durch Querfließpressen bzw. Kopfstauchen hergestellte Hinterschnitte weisen Mindestdurchmesserverhältnisse und Übergangsschrägen auf. |
Abbildung 5: Ausbildung von Hinterschneidungen
Nebenformen wie Verzahnung und Längsnuten lassen sich bei entsprechender Auslegung mit der Hauptform gemeinsam herstellen. Axiale Strukturen sind Rändelstrukturen aufgrund des einfacheren Werkstoffflusses vorzuziehen.
Nebenstrukturen | ||
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Rändelstrukturen sind vorzugsweise durch axiale Längsnuten zu ersetzen. |
Abbildung 6: Ausbildung von Nebenformen
Im Gegensatz zu Schmiede- und Gießprozessen ist eine Kegeligkeit von Kaltumformteilen nicht notwendig, um die Entnahme aus dem Gesenk zu gewährleisten. In besonderen Fällen können Kaltfließpressteile kegelig ausgeführt werden. Hierbei ist zu beachten, dass Kraftverteilung und Kraftfluss so ungünstig werden können, dass eine zylindrische Umformung mit nachfolgender spanender Bearbeitung kostengünstiger ist.
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Flache Kegelwinkel sind hinsichtlich der Werkzeugbelastungen zu prüfen. Übersteigen die wirkenden Spannungen in den Werkzeugen deren Belastbarkeit, ist die Notwendigkeit der Geometrie zu prüfen und gegebenenfalls eine spanende Nachbearbeitung in Betracht zu ziehen. |
Abbildung 7: Vermeidung von Kegeligkeit
Durch Hohlfließpressprozesse ist die Herstellung gelochter Bauteile möglich. Eine technologische Beschränkung besteht bei langen Löchern mit geringen Durchmessern. Langlöcher können noch nicht durch Fließpressprozesse hergestellt werden. Bohrungen unter 10 mm sollten vermieden werden. Das darstellbare Durchmesser-Längen-Verhältnis ist im Einzelfall zu prüfen.
Langlöcher | ||
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Langlöcher lassen sich nur begrenzt durch Fließpressverfahren herstellen. Das Durchmesser zu Längenverhältnis ist im Einzelfall zu prüfen. |
Abbildung 8: Langlöcher
An der unbelasteten Seite des Werkstücks kann es durch den freien Werkzeugfluss zur Ausbildung von einfallenden Kanten kommen. Bei napfförmigen Teilen ist zu beachten, dass die Ausbildung des Napfrandes meist zwangsläufig durch den Prozess entsteht und sich hier eine Gratbildung nur in seltenen Fällen vermeiden lässt. Diese Effekte sind bei der Prozessauslegung zu berücksichtigen. Sind eingefallene Kanten kritisch für den Einsatz des Bauteils, ist entweder ein zusätzlicher Kalibrierhub zur exakten Geometrieausformung oder die Entfernung des Grates durch trennende Verfahren vorzusehen.
Stimmt das Einsatzvolumen nicht mit dem notwendigen Volumen überein, kommt es weiterhin zu Über- bzw. Unterfüllungen die Geometrieabweichung bzw. verfrühten Werkzeugverschleiß zur Folge haben können.
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Prozesstypische Ausbildung einer Welle beim Vollvorwärtsfließpressen Asymmetrische Unterfüllung aufgrund eines zu geringen Materialeinsatzes Eingefallener Rand beim Napfrückwärtsfließpressen Unzureichende Formfüllung beim Kugelstauchen |
Abbildung 9: Prozessbedingte Geometrien
Gewinde lassen sich auf zuvor in Verbindung mit Kaltfließpressprozessen auf kalibrierte Außendurchmesser walzen. Bei aufgewalzten Gewinden ergeben sich durch die Veränderung des Materialgefüges im Werkstück im Vergleich zu anderen Fertigungsmethoden erhöhte Festigkeiten des Bauteils gegenüber statischer und dynamischer Belastung [7].
Umfangreiche Forschungsarbeiten beschäftigen sich mit der Verzahnungsherstellung durch umformende Fertigungsprozesse [Näg95, Fri07, Sch93, Swe00]. Geringere Fertigungskosten bei großen Stückzahlen und erhöhte Festigkeiten durch Gefügeveränderungen sind hierbei die Triebfedern der Innovation. Während Mitte des 20. Jahrhunderts lediglich Geradverzahnungen umformtechnisch hergestellt werden konnten, wurden, unterstützt durch die Möglichkeiten der Prozessanalyse durch Finte-Element-Analysen, auch die Fertigung von Außen- und Innen-Schrägverzahnungen der Umformtechnik zugänglich gemacht.
Die fertigungsgerechte Gestaltung von Kaltfließpressteilen ist im Detail komplex und bedarf Erfahrung. Mitgliedsunternehmen der GCFG stehen hierbei gerne als beratende Partner bei der Auslegung und Umsetzung von Umformprozessen zur Verfügung.
Die Mitgliedsunternehmen der GCFG treiben auf Unternehmensebene sowie in nationalen- und internationalen Gemeinschaften die Forschung voran und erschließen unter der Randbedingung steigender Rohstoffpreise zunehmend neue Produktbereiche, die umformtechnisch hergestellt werden können [Tsc05, Vol05].
VDI 3138 Blatt 1-2
DIN 16749
[Fel59] Feldmann, H. D.: Fließpressen von Stahl. Berlin: 1. Aufl. Springer, 1959.
[Lan08] Lange, K.; Kammerer, M.; Pöhlandt, K.; Schöck, J.:
Fließpressen Wirtschaftliche Fertigung metallischer Präzisionswerkstücke. Springer, Berlin: 2008
[Näg95] Nägele, H.: Simulation des Herstellungsprozesses präzisionsgeschmiedeter
Zahnräder mit der Finte-Elemente Methode. Düsseldorf: VDI-Verl: Als Ms. gedr. Aufl. 1995.
[Fri07] Fritsche, D.: Entwicklung eines Näherungsverfahrens zur beschleunigten
Simulation von Prozessen der inkrementellen Massivumformung.
TU-Darmstadt, Institut für Produktionstechnik und Umformmaschinen, 2007
[Sch93] Schmieder, F.: Beitrag zur Fertigung von schrägverzahnten Stirnrädern
durch Querfließpressen. Berlin [u.a.]: Springer, 1993.
[Swe00] Sweeney, K.: Kaltfließpressen von Schrägverzahnungen.
Aachen: Als Ms. gedr. Aufl. Shaker, 2000.
[Tsc05] Tschätsch, H.; Dietrich, J.n: Praxis der Umformtechnik.
Wiesbaden: 8., aktualisierte und erw. Aufl. Aufl. Vieweg, 2005.
[Vol05] Vollertsen, F. (Hrsg.): „Prozessskalierung“ Tagungsband des 2. Kolloquiums
Prozessskalierung im Rahmen des DFG Schwerpunktprogramms Prozessskalierung.
Bremen, 9.-10. November 2005