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Rettungsaktion im Riesending Rückblick auf das Höhlen-Drama: "Europa ist in der Tiefe zusammengewachsen"

Riesending
Hunderte von Menschen halfen im Juni 2014, den ­schwer verletzten Forscher Johann Westhauser aus der ­Riesending-Schachthöhle zu bergen
© Handout / Pressemitteilung / Getty Images
Am 19. Juni 2014 gelang es Dank des Einsatzes Hunderter Helfer, den schwer verletzten Forscher Johann Westhauser aus der Riesending-Schachthöhle zu bergen. Wie das Unglück die Höhlenrettung verändert hat und wie es Westhauser heute geht, erklärt GEO-Reporter Lars Abromeit im Interview

Die Rettungsaktion in der Riesending-Schachthöhle liegt nun genau fünf Jahre zurück. Am 19. Juni 2014, elf Tage nach dem Unfall, erblickte Johann Westhauser endlich wieder das Tageslicht. Hat das Unglück die Höhlenrettung verändert?

Absolut! Für die Rettung sind Hunderte freiwillige Helfer aus ganz Europa zusammengekommen, das hatte es vorher noch nie gegeben. Jedes Team war auf eigene Seiltechniken spezialisiert, hat verschiedene Werkzeuge eingesetzt. Da mussten die Höhlenretter im Untergrund erstmal lernen, einander blind zu vertrauen. Aber sie haben gesehen: Es geht! Gemeinsam können wir einen Verunglückten selbst aus solch einer Tiefe befreien, 1000 Meter unter der Oberfläche! Das schien zu Anfang undenkbar.

Über die ECRA, die „European Cave Rescue Association“, tauschen die Retter sich seither eng aus und treffen sich zu gemeinsamen Übungen. Bei einem Höhlenunfall in der Jack-Daniel´s-Höhle in Österreich konnten sie dieses Wissen dann auch ein Jahr später schon einsetzen – mit Erfolg.

Aus heutiger Sicht kann man sagen: Das Unglück im Riesending war für die Höhlenrettung ein Glücksfall. Es ist alles gut ausgegangen, Europa ist in der Tiefe zusammengewachsen - und jetzt selbst für größere Unfälle unter Tage bereit.

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© Geo

Und was ist mit der Höhlenforschung? Der Eingang zur Riesending-Höhle wurde immerhin unmittelbar nach der Rettung verschlossen...

Ja, das stimmt. Damit keine Schaulustigen dort hinabsteigen und sich in Lebensgefahr bringen, wurde der Höhleneingang mit einem Metallgitter abgesichert. Die Forschung geht aber weiter: Speläologen-Teams können bei der Gemeinde für Expeditionen den Schlüssel bekommen. Jetzt gab es erst einmal einige Touren, um überschüssiges Rettungsmaterial aus der Höhle herauszubringen, zum Beispiel Schlafsäcke, Isomatten und alte Seile. Aber die Höhlenforscher träumen noch immer davon, eine Verbindung zur nahegelegenen Kolowrathöhle im Untersberg aufzuspüren. Das wäre sensationell.

In der aktuellen GEO-Ausgabe hast du das Höhlenunglück minutiös rekonstruiert. Wobei sich der Verunglückte selber doch kaum an seine Rettung erinnern kann...

Ja, Johann selbst hat nur schemenhafte Erinnerungen, zum Beispiel daran, dass die Italiener, die ihn in der Trage durch einige sehr verwinkelte Labyrinthpassagen gebracht haben, dauernd gequatscht hätten.

Aber meine Idee war von Anfang an, die Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven zu rekonstruieren: aus Sicht jener Höhlenforscher, die Johann begleitet haben und ihm nach dem Unfall zunächst als einzige helfen konnten. Aus Sicht der Retter, die sich in das extreme, für sie ja unbekannte Höhlensystem hinabgewagt haben. Und schließlich auch aus der Perspektive der Einsatzleiter, die von Berchtesgaden aus ihre Truppen gelenkt haben.

Insgesamt waren in den elf Tagen 202 Menschen im Untergrund unterwegs! Das ist so gigantisch, dass niemand alleine das überblicken konnte. Auch die Beteiligten, vor allem natürlich auch Johann selbst, haben jetzt durch die GEO-Geschichte viele Aspekte der Rettung und die Konflikte der anderen zum ersten Mal mitbekommen. Das hat sie gefreut.

Warum mussten erst fünf Jahre vergehen, bevor diese Geschichte erzählt werden konnte?

Ich kenne die Höhlenforscher, auch Johann, ganz gut: Einige Jahre, bevor das Unglück passiert ist, war ich mit ihnen – als bislang einziger deutscher Autor – für GEO bei einer Expedition in der Riesending-Höhle dabei. Schon gleich nach der Rettung habe ich dann mit ihnen gesprochen, aber es waren zunächst viele Rechts- und Versicherungsfragen zu klären.

Riesending
Lars Abromeit im Gespräch mit Johann Westhauser
© Mattia Balsamini

Außerdem brauchten einige der Beteiligten etwas Abstand, um das Geschehene zu verarbeiten. Erst 2017 haben sie sich zusammengesetzt und beschlossen: Mit mir zusammen wollen sie das Erlebte noch einmal aufgreifen und das Projekt unterstützen – auch aus Respekt an die vielen Helfer, die sich dafür in Gefahr gebracht haben. Nach mehr als einem Jahr Arbeit ist die Geschichte nun fertig.

Wie konnte ausgerechnet der Einsatz in der Riesending-Höhle gut enden? Unfälle in solcher Tiefe gehen ja längst nicht immer glücklich aus.

Hunderte von Details haben dabei eine Rolle gespielt. Johanns Begleiter haben perfekt reagiert, sie haben Unglaubliches in der Ersthilfe auf sich genommen, den Verunglückten etwa zunächst mit nur 0,5 Liter Wasser, das sie wieder und wieder aufkochten, vor dem Erfrieren geschützt. Und die Retter sind – nach einer ersten, schwierigen Findungsphase – extrem gut zusammengewachsen.

Klar, das Glück hilft den Mutigen: Wenn nur ein einziger Höhlenretter dabei einen groben Fehler gemacht hätte, zum Beispiel in einem Canyon im falschen Moment ausgerutscht wäre, hätte das vielleicht katastrophale Folgen gehabt.

Riesending
Lebensgefährlich verletzt lag Johann Westhauser (2. v. l.) nach einem Unfall in Deutschlands tiefster Höhle. Die Situation schien aussichtlos, doch seine Begleiter weigerten sich, ihn aufzugeben
© Mattia Balsamini

Der entscheidende Schlüssel für das Gelingen der Rettung aber war meiner Meinung nach: Die Helfer haben für einen Verunglückten, den viele persönlich ja gar nicht kannten, Sagenhaftes geleistet – und damit ein Beispiel der Mitmenschlichkeit gesetzt, von dem wir alle viel lernen können, auch für andere Lebenslagen. Sie haben gezeigt: Es lohnt sich, zusammenzustehen und nicht aufzugeben – auch wenn es aussichtslos scheint. Wer in Not ist, wird nicht einfach liegen gelassen.

Was macht Johann Westhauser heute? Geht er wieder in Höhlen?

Johann ist wieder völlig genesen. Und er forscht weiter im Untergrund, unter anderem zu Fragen, die sich mit Trinkwasserwegen und Sedimenttransporten im Berg beschäftigen. Ich glaube, wie viele andere Höhlenforscher hat er eine Neugier, die sich nicht abschütteln lässt.

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