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Sanfte Riesen Immer mehr Tiere: Der Elch kehrt zurück nach Deutschland

Elch im Wald
Immer wieder wandern Elche aus Osteuropa hinüber nach Deutschland
© Hawk Buckman - Adobe Stock
In Deutschlands Wäldern nimmt die Wildnis zu, einst verschwundene Tierarten wie Wolf und Luchs kehren zurück. Auch der Elch schaut hierzulande immer öfter vorbei, von Polen und Tschechien aus begibt sich das Tier auf Wanderschaft

Wer im südwestlich von Berlin gelegenen Naturpark Nuthe-Nieplitz spazieren geht und die Kühe auf den Weiden grasen sieht, wird unter ihnen mit etwas Glück einen ungewöhnlichen Parkbewohner entdecken: "Bert". Der erste wilde Elch in Deutschland, der sich dauerhaft hier angesiedelt hat, verliebte sich im Jahr 2018 in einige der dort weidenden Kühe. Seitdem zieht es den Riesen immer wieder in das brandenburgische Gebiet, er ist zu einer Art Stammgast geworden.

Mittlerweile trägt der etwa neunjährige Elchbulle ein Halsband mit einem GPS-Sender. Seit fünf Jahren ermöglicht der Peilsender den Wildbiologen der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, Berts Wanderbewegungen wissenschaftlich zu begleiten. Bert ist heute einer der am besten erforschten Elche der Welt.

Zahl der einwandernden Elche steigt seit Jahren

Die aufgezeichneten GPS-Daten zeigen: Im Jahr 2018 zog Bert noch weit umher, von der polnischen Grenze bis nach Sachsen-Anhalt, ein typisches Wanderverhalten für junge Bullen. Dann aber ließ sich der Elch in der Nuthe-Nieplitz-Region südlich von Berlin nieder – und blieb. Lange galt Bert als der einzige Elch, der dauerhaft in Deutschland lebte. Nach Angaben des WWF jedoch könnten es schon bis zu 15 Tiere sein, die heute dauerhaft in Brandenburg leben.

Elch "Bert" liegt zwischen Kühen auf einer Weide
Schloss sich einer Kuhherde an und wirkt ziemlich zufrieden: Elch "Bert" im Jahr 2018
© picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Stephan Schulz

Vor allem im Osten Deutschlands kam es in den vergangenen Jahren immer häufiger zu Elchsichtungen. Die Tiere, die vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Bayern auftauchen, überqueren meist aus Polen und Tschechien kommend die Grenze. Im Sommer durchschwimmen die Tiere Oder und Neiße, im Winter laufen sie einfach über das Eis. Die vielfältigen Landschaften bieten den Pflanzenfressern alles, was sie brauchen: Wälder als Rückzugsgebiet und ein reichhaltiges Nahrungsangebot.

Vor allem Naturschützer hoffen auf die dauerhafte Wiederansiedlung der Großhirsche, die zuletzt im Frühmittelalter über ganz Deutschland verbreitet waren, doch dann vom Menschen weitgehend ausgerottet wurden. Moritz Klose, Programmleiter Wildtiere beim WWF Deutschland sagt: "Die ursprünglichen Lebensräume der Elche haben sich allerdings stark verändert, zum Beispiel durch den Bau von Siedlungen und Straßen und die intensive Land- und Forstwirtschaft."

Dass die Tiere trotzdem zurückkehren, zeige ihre hohe Anpassungsfähigkeit, so Klose weiter. Sichtungen der Tiere in der Nähe von dicht besiedelten Gebieten seien daher auch in Deutschland keine Seltenheit mehr. Deutschland stelle derzeit die westlichste Ausbreitungsgrenze des Elches dar und trage somit eine besondere Verantwortung für die Art.

Monitoring mit Fotofallen und Sendehalsbändern

Wie viele von Berts Artgenossen jedes Jahr die deutsche Grenze passieren, können jedoch auch Fachleute nur grob schätzen. "Das Monitoring umfasst vor allem die Arbeit mit Fotofallen und Sendehalsbändern, welche Aufschluss über das Verhalten und die Bewegung der Tiere in der Landschaft geben. Gelegentlich werden auch genetische Untersuchungen durchgeführt, um Verwandtschaftsverhältnisse aufzuzeigen und den genetischen Austausch verschiedener Elchpopulationen untersuchen zu können", so Mortiz Klose. Eine größere Überwachung der Elchbewegungen gibt es hierzulande aber nicht.

In welchen Lebensräumen sich die sanften Riesen am wahrscheinlichsten aufhalten, weiß man hingegen ziemlich genau. Laut Jennifer Calvi von der Deutschen Wildtier Stiftung führen die Routen der Elche vor allem entlang der Ostseeküste, aus Tschechien kommend und nördlich von Frankfurt (Oder): "Elche gehen dahin, wo sie ansprechende Verhältnisse finden. Sie fressen gern Knospen und Triebe von Weichhölzern wie Pappeln, Birken oder Weiden, im Herbst sind es auch Kieferntriebe oder Blaubeerzweige. Und sie lieben Wasserpflanzen. Das bedeutet: Man findet sie nicht nur an Feld-Waldrändern, da wo frisches Grün sprießt und im Wald, sondern auch in Wassernähe und in Feuchtgebieten."

Sicher ist auch, dass vor allem Elchbullen sich auf den Weg nach Deutschland machen, sie gelten als besonders wanderlustig. Auf der Suche nach einer passenden Partnerin legen die Tiere bis zu 80 Kilometer am Tag zurück.

Könnten Elche in Deutschland Familien gründen?

Wäre es also denkbar, dass sie hier auf eine Elchkuh treffen und eine Familie gründen? Theoretisch ja, mit der steigenden Zahl an Elchen steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Bulle und eine Elchkuh in Deutschland finden und fortpflanzen.

"Viele junge Elchbullen kommen aus Tschechien und Polen über die Grenze, und gerade in Polen hat es in den letzten Jahren einen massiven Populationsaufbau gegeben", so Calvi. Der wachsende Elchbestand hänge vor allem mit der seit 2001 verbotenen Elchjagd in Polen zusammen. Dadurch werde es künftig auch immer häufiger einwandernde Elche in Deutschland geben, die hier irgendwann sicherlich kleinere Populationen gründen werden.

Auch Moritz Klose vom WWF Deutschland hält eine Ausbreitung der Elche in Deutschland in den kommenden Jahren für wahrscheinlich: "Aus ökologischer Sicht gibt es zahlreiche Gebiete sowohl in Polen als auch in Deutschland, die aktuell keine Elchpopulation beherbergen, aber generell geeigneten Lebensraum für die Art bieten können. Im Osten Deutschlands scheint es noch genügend Gebiete zu geben, die eine Rückkehr des Elches ermöglichen."

Vermutet wird außerdem, dass sich im Osten Brandenburgs bereits eine sehr kleine Population von maximal fünf Tieren angesiedelt hat. Sicher dokumentiert wurde das bislang aber nicht.

"Für den Elch hat der Landesbetrieb Forst Brandenburg seit 2017 ein Online-Sichtungsformular eingerichtet. Hier können alle, die einen Elch gesehen haben, Angaben zu Zeit und Ort der Sichtung sowie zum Tier machen", so Moritz Klose vom WWF Deutschland. Das Formular ist online abrufbar.

Herausforderungen für den Straßenverkehr

So schön die Vorstellung der zurückkehrenden Wildnis nach Deutschland ist, so viele Herausforderungen birgt sie auch. Schließlich haben die Deutschen und ihre Behörden bislang wenig bis kaum Erfahrung mit Elchen in freier Wildbahn.

Elche sind ausdauernde Läufer und können es in puncto Geschwindigkeit mit dem Pferd aufnehmen. Die weltweit größte Hirschart erreicht eine Schulterhöhe von bis zu 2,30 Metern und bringt bis zu 800 Kilogramm auf die Waage. Damit können Elche eine Gefahr darstellen, vor allem für den Straßenverkehr. Die durch die vielen Straßen zerschnittene Landschaft zwingt die Tiere dazu, auf ihren Wanderungen auch vielbefahrene Straßen zu überqueren.

Im Jahr 2020 wurde in Brandenburg ein erstes Elch-Warnschild in der Gemeinde Nuthe-Urstromtal aufgestellt. Die riesigen Tiere mit ihren mächtigen Geweihen sind im Straßenverkehr eine Gefahr
Im Jahr 2020 wurde in Brandenburg ein erstes Elch-Warnschild in der Gemeinde Nuthe-Urstromtal aufgestellt. Die riesigen Tiere mit ihren mächtigen Geweihen sind im Straßenverkehr eine Gefahr
© picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Cevin Dettlaff

Elche gelten als unfallträchtig: In Schweden werden Jahr für Jahr zwischen 4.000 und 5.000 Verkehrsunfälle mit dem Großhirsch gemeldet. Allerdings leben dort auch 300.000 bis 400.000 Exemplare, berichtet der Naturschutzbund Deutschland (NABU).

"Elche haben diese Eigenart: Sie sind sich ihrer Größe bewusst und bei Gefahr bleiben sie oft erst einmal wie angewurzelt stehen. Dann knallt es", so Calvi. "Grünbrücken können hier Abhilfe schaffen. Breitet sich der Elch langfristig in Deutschland aus, braucht es Elch-Managementpläne, die regeln, wie man mit dem Elch umgehen möchte, so wie es sie für unsere anderen heimischen Wildarten, etwa das Reh- und Rotwild, ja auch gibt."

Damit die Rückkehr der Elche möglichst konfliktfrei verläuft, wurde im Jahr 2019 ein durch das EU-Kooperationsprogramm Interreg gefördertes Projekt gestartet, dass eine Verbesserung des grenzüberschreitenden
Wildtiermanagements für Wisente und Elche sicherstellen soll.

Das deutsch-polnische Projekt "ŁośBonasus – Crossing!" ("Elch und Wisent – queren!") an dem die Humboldt-Universität zu Berlin, die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, der WWF sowie die polnische Naturschutzorganisation Westpommersche Naturgesellschaft beteiligt sind, führt auf polnischer und deutscher Seite Lebensraumanaylsen und eine Überwachung der Population durch. So soll das Zusammenleben von Mensch und Elch erleichtert und den Wildtieren eine Rückkehr nach Deutschland ermöglicht werden. Dazu arbeiten Fachleute mit den entsprechenden Behörden, Landnutzern und anderen Beteiligten zusammen.

Bei einer Elch-Sichtung Abstand halten

Besonders im Frühling und Herbst unternehmen viele Elche Wanderungen in Richtung Deutschland. Im September und Oktober haben Elche Paarungszeit, in dieser Zeit sind die jungen Elchbullen verstärkt unterwegs.

Was also tun, wenn man einem solchen Riesen im Auto auf der Landstraße begegnet? "Man sollte umgehend die Polizei informieren, wenn Elche in der Nähe von Straßen beobachtet werden", rät Moritz Klose vom WWF Deutschland.

Jennifer Calvi von der Deutschen Wildtier Stiftung fügt hinzu: "Für Elche gilt, was für alle Wildtiere gilt: Am besten achtet man als Autofahrer auf die Warnschilder an Landstraßen und auf Autobahnen, die vor Wildwechsel warnen, egal, wie eilig man es hat, und fährt bremsbereit. Hupen nutzt übrigens nichts, der Elch lässt sich nicht vertreiben."

Und wenn man einem solchen Tier plötzlich bei einem Spaziergang gegenübersteht? Auf jeden Fall Abstand halten, rät Moritz Klose. "In der Regel fliehen Elche bei Begegnungen mit Menschen. Bei einer Begegnung in freier Natur sollte man sich leise von dem Tier entfernen oder direkt einen großen Bogen machen. Hat der Elch einen Menschen bemerkt, sollte man sich, wenn möglich, ohne ihm den Rücken zuzukehren, entfernen."

Etwa für ein Foto auf den Elch zugehen, sei keine gute Idee. Fühlten sich Elche bedroht, könnten sie gereizt reagieren. Sollte der Elch Zeichen von Aggression zeigen oder gar einen Angriff antäuschen, sei es ratsam, Zuflucht hinter einem großen Baumstamm zu suchen oder sich zügig zu entfernen, so Klose.

Und nicht zuletzt sollte man bei einer Elchsichtung einfach "staunen und sich freuen!", meint Calvi. "Einen Elch sieht man nicht alle Tage. Er wird gelassen weitertraben – aber Sie haben eine unvergessliche Begegnung gehabt."

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