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Genetik Junk-DNA: Enthält der Großteil unseres Erbguts überflüssiges Kauderwelsch?

Das menschliche Erbgut ist ausgelesen, aber längst noch nicht vollständig verstanden
Das menschliche Erbgut ist ausgelesen, aber längst noch nicht vollständig verstanden
© Science Source / mauritius images
Nur zwei Prozent der menschlichen DNA liefern Bauanleitungen für Proteine. Die übrigen 98 Prozent wurden einst abfällig als "Junk DNA" bezeichnet. Heute ist klar: Sie sind kein Müll, sondern übernehmen lebenswichtige Funktionen – und könnten zugleich das Risiko für Autismus, Krebs oder Morbus Crohn erhöhen

Unsere DNA, so lernen wir es im Biologieunterricht, ist das Buch des Lebens. Die Gene, die darin niedergeschrieben sind, liefern die Bauanleitung für Proteine. Diese wiederum bilden die Maschinerie der Zelle: Sie erledigen alle wichtigen Aufgaben und steuern alle wichtigen Prozesse im Körper. Wird ein bestimmtes Protein benötigt, fertigt die Zelle Gen-Abschriften in Form eines RNA-Schnipsels an und schickt diese tausendfach in die Eiweißfabriken der Zelle.

Als das menschliche Erbgut erstmals ausgelesen wurde, hielt es jedoch eine Überraschung bereit. Der Mensch, dieses komplizierte Wesen, besitzt nur etwa 20.000 Gene – weniger als eine Tomatenpflanze. Sie machen nicht ganz zwei Prozent der 3,2 Milliarden Basen in unserem Erbgut aus. Heute bezeichnet man diesen Teil als kodierende DNA. Der gesamte Rest, mehr als 98 Prozent des Erbmaterials, besteht aus nicht-kodierender DNA. Weil ihre Funktion damals weitgehend unbekannt war, erhielt sie den Spitznamen "Junk-DNA".

Der vermeintliche Müll gibt dem Erbgut Struktur

Aber schleppen wir wirklich solche Mengen molekularen Müll mit uns herum? Zellen kopieren bei jeder Teilung das gesamte Erbgut. Dabei 98 Prozent sinnloses Kauderwelsch abzuschreiben, wäre eine unvorstellbare Verschwendung an Ressourcen.

Und wirklich: Bei genauerer Betrachtung erkannten Genetikerinnen und Molekularbiologen, dass der vermeintliche Müll eine Menge nützlicher Informationen enthält. Etwa Strukturelemente, die steuern, wie die DNA-Fäden im Zellkern gefaltet, gewickelt und verpackt werden. Das bekannteste Beispiel sind Telomere. Sie sitzen wie Schutzkappen an den Enden unserer Chromosomen und zeichnen sich durch unzählige Wiederholungen der immergleichen sechs Basen aus. Telomere verhindern, dass beim Kopieren des Erbguts wichtige Informationen verloren gehen. Aber sie werden mit jeder Zellteilung kürzer. Sind sie abgenutzt, hört die Zelle ganz auf, sich zu teilen. Seneszenz heißt dieser Zustand.

Ein weiterer Teil der nicht-kodierenden DNA besteht aus regulatorischer DNA. Diese Bereiche im Erbgut sind nicht Teil eines Gens. Aber sie entscheiden darüber, ob die Zelle Abschriften eines Gens anfertigt, und wenn ja, wie viele. So steuern sie, in welcher Menge das zugehörige Protein hergestellt wird. Diese Bereiche sind von zentraler Bedeutung für die Identität der Zelle. Welche Form besitzt sie, und welche Aufgaben übernimmt sie im Körper? Ist sie Nervenzelle, Fettzelle, Muskelzelle, Keimzelle? Nur mit Hilfe regulatorischer DNA können nach ein und derselben Bauanleitung die verschiedenen Zelltypen des Körpers entstehen. Wie genau die Steuerungsmechanismen arbeiten, ist Gegenstand aktueller Forschung.

Klar ist inzwischen: Nicht nur fehlerhafte Gene können ein Quell von Krankheiten sein. Geschätzte drei Viertel aller genetischen Abweichungen, die uns krank machen können, treten in nicht-kodierenden Abschnitten der DNA auf. In solchen Fällen sind alle Anleitungen in korrekter Form vorhanden. Aber es hapert an der Umsetzung, Proteine werden in zu großer oder zu geringer Menge hergestellt. Nicht-kodierender Elemente namens Short Tandem Repeats etwa stehen im Verdacht, eine Rolle bei der Entstehung von Autismus, Schizophrenie, Krebs und Morbus Crohn zu spielen. Versteht die Medizin, was genau in diesen Fällen schief läuft, hat sie die Chance, mit Medikamenten einzugreifen.

Transposons: Parasiten in unserer DNA

Gut vorstellbar, dass im einst als Müll geschmähten Erbgut weitere unentdeckte Funktionen schlummern. Doch wahr ist auch: Nicht jedes Fitzelchen DNA hat einen Nutzen. Manche Abschnitte sind Relikte vergangener Infektionen. Sie stammt von Viren, die ihre Erbinformationen im Laufe der Entwicklungsgeschichte in unser Genom eingebaut haben. Diese Abschnitte bringen uns keine Vorteile, machen uns aber auch nicht mehr krank.

Weniger harmlos sind sogenannte Transposons. Diese Erbgutabschnitte können sich selbst vervielfältigen und an neuen Stellen ins Erbgut einfügen. Sie nutzen die Ressourcen der Zelle, um möglichst viele Kopien ihrer selbst herzustellen. Deshalb werden sie auch als parasitäre oder eigennützige DNA bezeichnet. Viele Transposon-Kopien haben längst ihre Funktion verloren. Aber einige sind noch aktiv.

Das häufigste Transposon in unserem Erbgut ist Line-1. Allein von ihm gibt es etwa 500.000 Fragmente und Kopien, 100 davon funktionstüchtig. Sie machen 17 Prozent unseres gesamten genetischen Materials aus. Die aktiven Kopien können echten Schaden anrichten – dann nämlich, wenn sie sich in eine Region des Erbguts einfügen, die wichtige Informationen enthält. So verwandeln sie Passagen im Buch des Lebens tatsächlich in unverständliches Kauderwelsch.

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