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Umstrittene Studie Führt Feinstaub zur Ausbreitung multiresistenter Keime?

3D-Illustration von resitenten Keimen
Manche Erreger sind unempfindlich gegenüber Antibiotika geworden – eine große Bedrohung für die globale Gesundheit
© nobeastsofierce/Shutterstock
Wo mehr Feinstaub durch die Luft schwirrt, breiten sich gegen Antibiotika resistente Bakterien stärker aus. Zu diesem alarmierendem Ergebnis kommt eine jüngst veröffentlichte Untersuchung. Doch ist der Zusammenhang wirklich so klar?

In der Medizin sind sie ein riesiges Problem und stellen laut der Weltgesundheitsorganisation eine „der größten Bedrohungen für die globale Gesundheit“ dar: multiresistente Keime, die gegen eine Vielzahl von Antibiotika unempfindlich geworden sind. Sie können zu lebensbedrohlichen Entzündungen führen, die sich kaum noch behandeln lassen. Schätzungen zufolge sterben bereits heute jährlich so viele Menschen an solchen Keimen wie an HIV oder Malaria.

Besonders problematisch ist ihre Fähigkeit, sich schnell auszubreiten. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sind häufig Hotspots für diese Keime, da dort viele Menschen mit unterschiedlichen Erkrankungen und geschwächtem Immunsystem auf engem Raum zusammenkommen. Die Verbreitung kann über direkten Kontakt oder kontaminierte Oberflächen erfolgen, was es besonders schwer macht, die Ausbreitung zu kontrollieren.

Mancher Feinstaub könnte mit Erregern belastet sein

Bekannt ist zudem, dass antibiotikaresistente Bakterien über die Nahrung und Wasser oder durch den direkten Kontakt mit infizierten Tieren in den menschlichen Körper gelangen können. Auch scheint es möglich, dass sie sich an Aerosole oder Feinstaubpartikel anheften und so über die Atemluft Schleimhäute infizieren und in Körperzellen eindringen. Allerdings wurde dieser Übertragungsweg bislang vornehmlich unter Laborbedingungen untersucht; inwieweit an Feinstaub angeheftete Keime (oder genetische Bruchstücke davon) beim Einatmen tatsächlich infektiös wirken, muss noch genauer erforscht werden.

Umso mehr horcht die Fachwelt in diesen Tagen auf. Denn eine britisch-chinesische Studie, veröffentlicht im Fachblatt The Lancet Planetary Health, legt nahe, dass die Übertragung per Feinstaub relevanter sein könnte als bislang angenommen. Demnach sei Luftverschmutzung durch Feinstaub in einigen Regionen ein treibender Faktor für Antibiotikaresistenzen. Entsprechend ließe sich das Problem durch geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität mindern. Modellrechnungen hätten ergeben, dass sich dadurch bis 2050 rund 17 Prozent der Resistenzen und 23 Prozent der damit verbundenen Todesfälle vermeiden ließen.

Unabhängige Fachleute kritisieren Ergebnisse

An den Ergebnissen zweifeln jedoch etliche unabhängige Experten. Denn die Studie, die Daten aus 116 Ländern von 2000 bis 2018 berücksichtigt, findet zwar eine statistisch signifikante Korrelation zwischen der Menge an Feinstaub in der Luft und der Zunahme von Resistenzen bei bestimmten bakteriellen Krankheitserregern – ein kausaler Zusammenhang ist damit aber noch nicht bewiesen. Zudem sind die regionalen Unterschiede beträchtlich: In Nordafrika, dem Nahen Osten und Südasien waren die Veränderungen der Antibiotikaresistenz durch Feinstaub am höchsten, in Europa und Nordamerika am niedrigsten.

Dabei schwirren auch hierzulande eine Menge Feinstaubpartikel durch die Luft, vorwiegend stammen sie aus Verbrennungsprozessen und dem Straßenverkehr. Jedoch scheinen wir umsichtiger mit Abwässern und Abluft aus Haushalten, Mastanlagen, Krankenhäusern und landwirtschaftlichen Betrieben zu sein – den wesentlichen Quellen multiresistenter Keime. Mit anderen Worten: Da bei uns offenbar weniger resistente Bakterien in die Umgebung gelangen, spielt Feinstaub als Transport- und Verbreitungsvehikel eine weniger bedeutsame Rolle.

Dieselfahrverbote helfen nicht gegen Infektionskrankheiten

Die Studie begehe jedoch den logischen Fehler, die Gesamtmenge an Feinstaub implizit mit kontaminiertem Feinstaub gleichzusetzen, kritisiert etwa Professor Martin Göttlicher, Direktor des Instituts für Molekulare Toxikologie und Pharmakologie am Helmholtz Zentrum München. Plakativ könne man sie so missverstehen, dass Dieselfahrverbote gegen schwere Infektionskrankheiten helfen könnten. „Und das wäre grober Unfug“, sagt Göttlicher. Gleichwohl zeige die Arbeit, dass es zu einer erheblichen Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen in der gesamten Biosphäre kommen kann, wenn nicht sorgfältig darauf geachtet wird, den Eintrag von Mikrobiota etwa in der Landwirtschaft oder im Trink- und Abwassermanagement zu begrenzen.

Insbesondere in Europa scheint der Faktor Luftqualität unter den möglichen Einflussgrößen für die Resistenzen eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Eine Entwarnung ist die Kritik dennoch nicht. Zumal hinlänglich bekannt ist, wie fatal sich hohe Feinstaubkonzentrationen auf die Gesundheit auswirken – unabhängig davon, ob die Partikel resistente Keime tragen oder nicht. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2020 238.000 Europäerinnen und Europäer vorzeitig starben, weil sie verschmutzter Luft ausgesetzt waren. Noch immer liegen die Grenzwerte für bestimmte Feinstaubartikel in der EU fünfmal höher als von der WHO empfohlen.

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