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Fernstraßen-Bundesamt siedelt sich in Gießen an: „Wir brauchen weiterhin gute Autobahnen“

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Gießen ist berühmt für seinen Autobahn-Ring. Passenderweise kommt das neue Fernstraßen-Bundesamt jetzt in die mittelhessische Stadt. (Symbolbild)
Gießen ist berühmt für seinen Autobahn-Ring. Passenderweise kommt das neue Fernstraßen-Bundesamt jetzt in die mittelhessische Stadt. (Symbolbild) © MDV-GRAFIK/DPA 

Das Fernstraßen-Bundesamt kommt nach Gießen. Im Gespräch erklärt die Chefin, warum es die Behörde trotz Verkehrswende braucht.

Doris Drescher ist Präsidentin des Fernstraßen-Bundesamts. Im Interview erläutert die 57-jährige Juristin den Aufbau und die Arbeit der neuen Behörde am Standort Gießen.

Frau Drescher, haben Sie schon Bekanntschaft mit dem Gießener Ring gemacht?

Nein. Bisher nicht.

Der Gießener Ring führt uns unweigerlich zur A49. Ein Autobahnteilstück des Rings, die A485, gehörte zur einst verworfenen Planung für die A49. Wie beurteilen Sie als Präsidentin des Fernstraßen-Bundesamtes, was derzeit im Dannenröder Forst passiert?

Dazu kann ich mich nicht äußern. Der Bund übernimmt zum Jahreswechsel von den Ländern Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung und Finanzierung der Autobahnen. Das Fernstraßen-Bundesamt ist dabei insbesondere für die Planfeststellung und rechtliche Genehmigung zuständig, die Autobahn GmbH für Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung, Verwaltung und Finanzierung. Im kommenden Jahr gehen rund 4500 Bauprojekte von den Ländern auf den Bund über. Die A49 als Projekt des Landes Hessen ist dabei ein Sonderfall. Denn Hessen hat als eines von vier Ländern die Option gewählt, die Planfeststellung auch in Zukunft selbst weiterzuführen und nicht vom Bund übernehmen zu lassen. Deswegen kommt es mir nicht zu, eine Beurteilung darüber abzugeben, wie sich die hessischen Behörden verhalten haben.

Die A49 ist allerdings ein heißes Thema in Mittelhessen. Keine Chance auf eine Antwort?

Nein. Bitte haben Sie Verständnis.

Dass vier Länder bei der Autobahn-Reform, die ja auf eine Vereinheitlichung abzielt, ausgeschert sind, kann nicht in Ihrem Interesse sein?

Ziel der Reform der Bundesfernstraßenverwaltung ist, die Leistungsfähigkeit unserer Autobahnen zu stärken, damit alle Nutzer von einer modernen, sicheren Infrastruktur profitieren. Dass die vier Länder ausgeschert sind, ist dem Reformziel nicht zuträglich. Ich würde dennoch eher von einem großen Fortschritt sprechen, denn zwölf Länder übertragen die Planfeststellung an den Bund. Damit erreichen wir eine einheitliche Linie bei Planung, Bau und Betrieb. Beim Thema Planfeststellung gab es im Gesetzgebungsverfahren einen Änderungsantrag von Bayern, der eine Mehrheit fand. Bis Ende 2019 konnten deshalb die Länder entscheiden, ob die Planfeststellung Ländersache bleiben sollte. Bayern, Hamburg, Baden-Württemberg und Hessen haben die Option genutzt.

Inwiefern wird die Arbeit der Behörde dadurch erschwert?

Es wird an Nahtstellen komplex bleiben. Denken Sie an die A7. Dort sind neben dem Bund weiterhin auch Hamburg, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg zuständig. Wenn die Autobahn GmbH einen Planungsabschnitt festlegt, der die Zuständigkeitsgrenze zwischen Ländern und dem Bund überschreitet, gibt es erhöhten Abstimmungsbedarf. Obwohl sich die vier Länder nicht beteiligen, gilt, dass solche Schnittstellen dank der Reform bundesweit weniger werden und wir uns weitgehend an Verkehrsabschnitten statt an Ländergrenzen orientieren.

Und dann sitzen Sie mit einem von vier Standorten ausgerechnet in Gießen, Mitten in Hessen?

Das Fernstraßen-Bundesamt ist ja vorrangig eine Aufsichts- und Genehmigungsbehörde. Dies schließt neben Planfeststellungsverfahren auch Genehmigungsverfahren im unmittelbaren Umfeld der Autobahnen ein, also zum Beispiel das Aufstellen von Hinweisschildern oder Mobilfunkanlagen. Wir haben uns für den zentral gelegenen Standort Gießen entschieden wegen des Bezugs zu den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Ich habe dabei auch die kleine Hoffnung, dass die Hessen es sich bei der Planfeststellung doch noch überlegen, sie an den Bund abzugeben

Richtig glücklich sind Sie mit dem Standort nicht?

Doch. Ich bin zufrieden. Gießen ist ein sehr guter Standort in der Mitte Deutschlands. Das sehen wir auch an der Resonanz auf unsere Stellenausschreibung. Im Nebenraum laufen gerade Bewerbungsgespräche für Gießen.

Für welche Bereiche suchen Sie denn?

Unsere große Aufgabe ist die Planfeststellung von Verkehrsvorhaben im Bereich der Autobahnen. Es geht um neue Projekte oder Veränderungen, Erneuerungen von Brücken, Raststätten und Parkplätze gehören auch dazu. Wir suchen Juristen, Verwaltungswirte, Bauingenieure und Landschaftsplaner. Im Moment sind in Gießen nur vier Mitarbeiter, aber am Ende sind 36 Planstellen vorgesehen.

Da sind anfangs aber ganz andere Zahlen genannt worden.

Man ging davon aus, dass die Hessen die Planfeststellung an das FBA übergeben. Weil Hessen ein großes Bundesland mit vielen Autobahnen ist, hätten wir dann etwa doppelt so viele Stellen benötigt.

Wie schaffen Sie es in Zeiten von Verkehrswende und Klimaschutz überhaupt, junge Menschen dazu zu bewegen, sich bei einer Behörde zu bewerben, die Autobahnen baut?

Als junge Behörde ziehen wir auch junges Personal an. Für Juristen in der Verwaltung ist die Planfeststellung eine Königsdisziplin. Damit habe ich auch angefangen. Der Neubau der A4 und der A17 von Dresden nach Prag war eine sehr spannende Zeit für mich. Man hat viel mit unterschiedlichen Menschen zu tun. Und in Sachen Umweltschutz ist in der Planfeststellung auch sehr viel möglich. Man kann hier vielleicht sogar mehr Einfluss auf eine umweltverträgliche Planung nehmen als in einer Umweltbehörde. Wenn jemand Zugang zur Umweltfachplanung hat und eine umweltverträgliche Autobahnplanung fördern will, ist er hier sicher am richtigen Platz.

Das Fernstraßen-Bundesamt nimmt am 1. Januar die Tätigkeit auf. Wie weit sind Sie beim Aufbau der Behörde?

Der Aufbau liegt im Zeitplan. Wir sind voll arbeitsfähig, auch wenn erst ein Viertel der geplanten Mitarbeiter da ist. Aber es werden ja auch nicht am ersten Tag 200 Anträge für die Planfeststellung reinkommen, denn die laufenden Verfahren führen die Länder zu Ende. Im Moment besetzen wir die Fachabteilungen und die Außenstellen.

Wie hat sich die Corona-Pandemie ausgewirkt?

Das war ein Rückschlag. Wir konnten zehn Wochen lang keine Einstellungen vornehmen.

In der Pandemie steht Home-Office hoch im Kurs. Hat das Ihre Planungen für eine neue Behörde verändert?

Für die Immobiliensuche hat das keine Rolle gespielt. In Gießen haben wir das Objekt für zehn Jahre angemietet. Die Einrichtung von Beratungsräumen als kommunikative Orte für die Beschäftigten ist uns wichtig. Das hat für den Zusammenhalt einer Behörde große Vorteile. Vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Situation arbeiten wir im Home-Office. Wir hoffen aber, bald wieder ins Büro zurückkehren zu können. Der direkte Austausch im Büro oder in der Teeküche ist doch besser als der über den Bildschirm.

Ist der Job beim Fernstraßen-Bundesamt vor dem Hintergrund der »Bedrohung« durch die Verkehrswende krisensicher?

Wir haben und brauchen weiterhin gute Autobahnen. Dazu leisten wir unseren Beitrag, indem wir Lücken schließen, Strecken ertüchtigen oder Spuren erweitern. Ich sehe keine Alternative zum Bundesverkehrswegeplan. Auch bei der Mobilitätswende muss man realistisch bleiben. Bis sich der Autoverkehr reduziert oder der Frachtverkehr überhaupt auf die Schiene verlagern kann, werden viele Jahre vergehen. In meiner Dienst- und wahrscheinlich auch in meiner Lebenszeit sehe ich keine Vollendung dieses Prozesses.

Sind Sie denn eine leidenschaftliche Autobahnfahrerin. Fahren Sie gerne schnell?

Ich fahre einen kleinen Opel Corsa. Allzu schnell kann ich gar nicht fahren (lacht), am liebsten entspannt Richtgeschwindigkeit 130 km/h. Da ich mich zu Beginn meines Berufslebens um den Wiederaufbau der Autobahnen im Osten gekümmert habe, habe ich aber schon ein besonderes Verhältnis dazu.

An was erinnern Sie sich in diesem Zusammenhang noch gerne?

Eine der ersten Fahrten über die Autobahn im Osten war von Dresden über Bautzen nach Weißenberg. Etwa 80 Kilometer. Wir haben fast den ganzen Tag gebraucht. Es war Tempo 30 ausgeschildert, weil es richtige Krater gab. Die zweite Fahrspur war oft überwachsen, unterwegs haben Traktoren die Autobahn gekreuzt. In Weißenberg standen plötzlich Getreidehallen auf der Fahrbahn. Dort hatte die DDR die nationalen Getreidereserven eingelagert, da durch den Betonunterbau die Ratten nicht herankamen.

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