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"Keine Bewohner im Stich gelassen"

Corona-Ausbruch im Pflegeheim: Freispruch für alle Angeklagten

Corona und Senioren: Die Verstorbenen waren alle älter als 60,

Die Pflegekräfte, die wegen eines Coronaausbruchs in einem Großkrotzeburger Pflegeheim angeklagt waren, wurden freigesprochen.

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Main-Kinzig-Kreis. Der vorliegende Fall sei so außergewöhnlich gewesen, dass ihn die Staatsanwaltschaft in einer öffentlichen Verhandlung überprüfen musste, meinte Schulte. Schließlich habe es nirgendwo sonst in einem Pflegeheim ein Ansteckungsquote von 100 Prozent gegeben. Von den 63 Bewohnern hatten sich im Dezember 2020 alle infiziert, 17 Personen waren gestorben; auch der Großteil der Pflegekräfte im Heim infizierte sich mit dem SARS-Virus.

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Dass dafür jedoch die drei Angeklagten, die damals als Geschäftsführerin, Pflegedienstleiter und stellvertretende Pflegedienstleiterin tätig waren, nicht verantwortlich sind, sah das Gericht als erwiesen an. „Es gab keine Blaupause für diesen Fall. Wir bedauern, dass wir nicht schneller gewesen sind“, sagte Schulte.

Kein Nachweis für die Schuld der Angeklagten

Das Gericht habe keine Nachweise für eine Schuld der Angeklagten gefunden. Ab dem Tag, an dem die Infektion bekannt wurde, hätten die Angeklagten alles getan, was sie zum damaligen Zeitpunkt tun konnten. Richter Schulte zitierte häufig den medizinischen Gutachter, dessen Aussage die Angeklagten in den meisten Punkten entlastet hatte. Die Angeklagten hätten sich an die Hygienepflichten gehalten, sowohl was die Symptomkontrolle als auch was Masken, Schutzkleidung, Quarantäne und Personal angeht. Ein Testkonzept sei laut RKI erst ab dem 20. November notwendig geworden und sei bis zum Ausbruch im Pflegeheim Anfang Dezember kaum umsetzbar gewesen; zudem habe es damals gar nicht genügend Tests gegeben.

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Für eine Trennung und Kohortierung der Erkrankten und Gesunden habe das Pflegeheim nicht die baulichen Voraussetzungen gehabt. Der Gutachter hatte gesagt: „Mich hätte es gewundert, wenn es in dieser räumlichen Konstellation NICHT zu einem Ausbruch gekommen wäre.“

Umstrittenes Foto entstand schon im September

Schulte bezog sich weiterhin auf ein umstrittenes Foto für Werbeaufnahmen, das im Herbst entstand und bei dem die damalige Geschäftsführerin ohne Maske im Freien die Hand einer Patientin hält: „Dass sie im September mit einer Bewohnerin Händchen gehalten hat, hat nicht dazu geführt, dass im Dezember Menschen gestorben sind.“

Schulte weiter: „Die drei Angeklagten haben keinen einzigen Bewohner im Stich gelassen. Das ist unsere Überzeugung.“

Pflege darf von Staat und Gesellschaft nicht im Stich gelassen werden, damit sich so etwas nicht wiederholt.

Richter Dr. Mirko Schulte

Der Richter äußerte die Hoffnung, dass „die Geschichte vielleicht für diejenigen eine Lehre ist, die Corona noch immer für ein Märchen halten“. Er nutzte zudem seine Urteilsbegründung, um einen kritischen Blick auf die Pflegesituation in Deutschland zu werfen. Alle Verantwortlichen hätten nach der Katastrophe sofort mit „Abstreitungsmaßnahmen“ reagiert, so dass am Ende die auf der Anklagebank saßen, die die schwächste Lobby hatten: die Pflegekräfte. „Pflege darf von Staat und Gesellschaft nicht im Stich gelassen werden, damit sich so etwas nicht wiederholt“, forderte Schulte abschließend.

GNZ

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