New-Work-Kolumne

Agiles Arbeiten: Was wir uns von Handwerkern abschauen müssen

Wenn Maschinen uns immer mehr Arbeit abnehmen, müssen Wissensarbeiter wieder wie Handwerker agieren. Was das bedeutet, erklärt unser Kolumnist hier.
Zimmermann bei der Arbeit
New Work: Agilität richtig verstehenGetty Images

Agiles Arbeiten – richtig verstanden – bedeutet, wieder mehr wie ein Handwerker zu arbeiten, erklärt unser Kolumnist

Kann es sein, dass in Ihrem Unternehmen in letzter Zeit auch viel von “Agilität” gesprochen wird? Hierbei handelt es sich nämlich um eines der wichtigsten Buzzwords, wenn es um das “neue Arbeiten” geht. Gemeint ist schlicht die bessere Gestaltung von Prozessen. Abläufe im Unternehmen sollen schneller und vor allem anpassungsfähiger werden. Schaut man sich den Trend Agilität etwas genauer an, stellt man allerdings fest: Oft wird agileres Arbeiten missverstanden und mit “mehr Effizienz” gleichgesetzt. Genau das meint Agilität aber nicht! Oder zumindest nicht ausschließlich. (Lesen Sie auch: Generation KI? Warum Unternehmen jetzt mit ihren jungen Mitarbeitern über künstliche Intelligenz sprechen müssen)

Das Konzept Agilität stammt aus der Softwareentwicklung

Unser neuer Kolumnist Dr. Max Neufeind ist Arbeits- und Organisationswissenschaftler und beschäftigt sich mit der digitalen Transformation von Wirtschaft und GesellschaftAnnika Nagel

Das Konzept der Agilität stammt aus der Softwareentwicklung. Lange Zeit war das eine sehr handwerkliche Angelegenheit. Die Entwickler blickten mit großem persönlichen Stolz auf den Code, den sie geschrieben hatten. Ganz ähnlich wie ein Schmied im Mittelalter, der die härtesten Schwerter schmieden konnte, oder ein Zimmermann, der die solidesten Dächer bauen konnte. In den 1990er-Jahren setzte zunehmend eine Standardisierung der Entwicklung von Software ein, sie wurde zur Fließbandarbeit. 

Das brachte 2001 eine Gruppe von Softwareentwicklern dazu, das “Manifest für agile Softwareentwicklung" zu verfassen. Ihnen ging es darum, dass man modernste und hochleistungsfähige Software entwickelt und zugleich einige Grundprinzipien des Arbeitens beibehalten kann, die ganz ähnlich klingen wie die Prinzipien, nach denen ein Schmied oder Zimmermann im Mittelalter arbeitete: klare Orientierung an Werten und am Nutzen für den Kunden. Kleine autonome Teams und schrittweises Vorgehen. Aber auch eine tiefe Hingabe zur eigenen Arbeit und der Anspruch eine Meisterschaft darin zu entwickeln. Die Verfasser des agilen Manifests wollten die Interaktionen zwischen Menschen besser machen und eben nicht nur Prozesse effizienter gestalten. Sie wollten – überspitzt formuliert – zurück zum Handwerk.

Die Haltung des Handwerkers zu seiner Arbeit ist höchst zukunftsfähig

Wenn Menschen den Begriff Handwerk hören, denken sie oft an eine einfachere, weil händische Arbeit. Sie denken an den Bäcker, den Maurer, den Installateur. Da macht jemand etwas, das man, wenn die Maschinen soweit sind, auch mit viel weniger menschlicher Arbeitskraft machen könnte. Die Zukunft gehört dem Wissensarbeiter, nicht dem Handwerker, könnte man meinen. 

Der Wirtschaftswissenschaftler Jochem Kroezen, der an der Universität Cambridge forscht, formuliert in einer gerade erschienen Studie genau die gegenteilige Position: Die Haltung des Handwerkers zu seiner Arbeit, bei der menschliches Einwirken und menschliche Entscheidungen eine zentrale Rolle spielen, sei in höchstem Maße zukunftsfähig. (Lesenswert: Mal Kumpel, mal Feldwebel: Warum ambivalentes Verhalten des Chefs für ein schlechtes Arbeitsklima sorgt)

Eine handwerkliche Herangehensweise bringt die Stärken des Menschen zum Vorschein

Es ist nichts Neues, dass es Formen der Herstellung gibt, bei der bewusst der Anteil menschlicher Einflussnahme hochgehalten wird. Und das obwohl es technologisch möglich wäre, den Menschen größtenteils aus dem Produktionsprozess herauszunehmen, um die Effizienz zu steigern. Denken Sie an hochwertige Automatikuhren, handgenähte Anzüge oder maßgeschneiderte Innenausstattungen von Autos. 

Auch “Craft Beer” und “Artisan Bakeries” sind Beispiele: Etwas, das industriell mit sehr hoher Präzision und verlässlicher Qualität hergestellt werden kann, aber die Bedürfnisse eines Teils der Konsumenten nicht mehr zu befriedigen vermag. Ich habe an dieser Stelle bereits beschrieben, wie gerade im Zeitalter intelligentester Industrieroboter zugleich die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen zunehmen wird, denen man die menschliche Handarbeit ansehen kann.

Jochem Kroezen geht aber noch weiter und formuliert folgende These: Die für das Handwerk typische und bewusste Spannung zwischen dem, was der Mensch einbringt, und dem, was die Maschine leisten kann, könne zukünftig charakteristisch für viele Berufe werden. Wenn Maschinen repetitive Arbeit übernehmen, so Kroezen, könnten und müssten Menschen wieder mehr wie Handwerker arbeiten. 

Und zwar nicht nur, weil einige Konsumenten dies nachfragen, sondern weil erst die handwerkliche Herangehensweise die Stärken des Menschen gegenüber Maschinen zum Vorschein bringt: individuelle Fertigkeiten und Urteilskraft, die Fähigkeit neue Dinge zu entdecken, ein ganzheitlicher Blick auf das Produkt und dessen Nutzen in der Gesellschaft. (Lesen Sie auch: Warum Feedback im Job nicht immer hilfreich ist)

Agiles Arbeiten: Mitarbeiter müssen den Raum haben, neue Herangehensweisen zu entwickeln

Lange Zeit galt auf den Führungsetagen: Management heißt Prozesse und Rollen zu standardisieren, um sie effizienter zu machen. Dem Urvater des Management, Frederick Taylor, war handwerkliche Arbeit ein Graus: Zu unwissenschaftlich, zu individuell. Wer Agilität nur als neuen Anzug für dieses alte Effizienz-Prinzip versteht, wird wenig erreichen. Weder für die Mitarbeiter noch für die Unternehmensziele. Agilität richtig verstanden bedeutet hingegen: Den Mitarbeiter den Raum schaffen, eine neue Herangehensweise an Arbeit zu entwickelt. Eine Herangehensweise, die konsequent Technologien wie künstliche Intelligenz nutzt – und doch zugleich durch die Prinzipien des Handwerks inspiriert ist. (Lesen Sie auch: 3 Fähigkeiten, die Sie für die Jobs der Zukunft brauchen)

Unser Kolumnist Dr. Max Neufeind ist Arbeits- und Organisationswissenschaftler, New-Work-Experte und beschäftigt sich mit der digitalen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft.

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